Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

und erwiderte ruhig: Ich danke für den freundlichen Wunsch, bedaure aber, daß er nicht in Erfüllung gehen wird. Selbst wenn ich so liebte, wie Sie es begehren, würden weder Sie noch irgend Jemand es jemals gewahren. Ich erkenne die Leidenschaft an, aber zu ihrem Sklaven macht sie mich nicht. --

Sternheim's Gegenwart berührte R. anfangs sichtlich sehr unangenehm, er nahte ihm stolz und übermüthig ; Jener war weder kalt noch warm, sondern völlig gelassen. Nie sah ich zwei Menschen mit so verschiedenen, aber hervorleuchtenden Eigenschaften. Beide sind ihrer Muttersprache auf eine Weise mächtig, wie man dieses selten anzutreffen pflegt. R. spricht stets mit vollkommenem Bewußtsein seines Gegenstandes, der gleich dem Entwurf eines Gemäldes sich vor ihm darstellt, an welchem er mit Geschick und Gewandtheit die verschiedenartigsten Farben anbringt. Die ganze Reichhaltigkeit unserer Sprache sich zu Nutzen machend, fesselt er durch die lebendigste Darstellungsart, hin und wieder auch den weniger gewählten Ausdruck nicht verschmähend. Sternheim dagegen, dessen tiefe Bildung unverkennbar ist, hat eine einfache, angenehme Wortsetzung, welche ihm durchaus eigenthümlich ist und unwillkürlich den Gedanken einflößt, daß er die Rede für seine Zwecke brauche, aber nicht mißbrauche. -- Er ist jetzt mittheilender und, durch R. angeregt, zuweilen heiter und launig. Diesen haben wir in der letzten Zeit weniger gesehen; er ist überall wohl aufgenommen und

und erwiderte ruhig: Ich danke für den freundlichen Wunsch, bedaure aber, daß er nicht in Erfüllung gehen wird. Selbst wenn ich so liebte, wie Sie es begehren, würden weder Sie noch irgend Jemand es jemals gewahren. Ich erkenne die Leidenschaft an, aber zu ihrem Sklaven macht sie mich nicht. —

Sternheim's Gegenwart berührte R. anfangs sichtlich sehr unangenehm, er nahte ihm stolz und übermüthig ; Jener war weder kalt noch warm, sondern völlig gelassen. Nie sah ich zwei Menschen mit so verschiedenen, aber hervorleuchtenden Eigenschaften. Beide sind ihrer Muttersprache auf eine Weise mächtig, wie man dieses selten anzutreffen pflegt. R. spricht stets mit vollkommenem Bewußtsein seines Gegenstandes, der gleich dem Entwurf eines Gemäldes sich vor ihm darstellt, an welchem er mit Geschick und Gewandtheit die verschiedenartigsten Farben anbringt. Die ganze Reichhaltigkeit unserer Sprache sich zu Nutzen machend, fesselt er durch die lebendigste Darstellungsart, hin und wieder auch den weniger gewählten Ausdruck nicht verschmähend. Sternheim dagegen, dessen tiefe Bildung unverkennbar ist, hat eine einfache, angenehme Wortsetzung, welche ihm durchaus eigenthümlich ist und unwillkürlich den Gedanken einflößt, daß er die Rede für seine Zwecke brauche, aber nicht mißbrauche. — Er ist jetzt mittheilender und, durch R. angeregt, zuweilen heiter und launig. Diesen haben wir in der letzten Zeit weniger gesehen; er ist überall wohl aufgenommen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter">
        <p><pb facs="#f0042"/>
und erwiderte ruhig: Ich danke für den freundlichen Wunsch, bedaure aber, daß er      nicht in Erfüllung gehen wird. Selbst wenn ich so liebte, wie Sie es begehren, würden weder Sie      noch irgend Jemand es jemals gewahren. Ich erkenne die Leidenschaft an, aber zu ihrem Sklaven      macht sie mich nicht. &#x2014; </p><lb/>
        <p>Sternheim's Gegenwart berührte R. anfangs sichtlich sehr unangenehm, er nahte ihm stolz und      übermüthig ; Jener war weder kalt noch warm, sondern völlig gelassen. Nie sah ich zwei Menschen      mit so verschiedenen, aber hervorleuchtenden Eigenschaften. Beide sind ihrer Muttersprache auf      eine Weise mächtig, wie man dieses selten anzutreffen pflegt. R. spricht stets mit vollkommenem      Bewußtsein seines Gegenstandes, der gleich dem Entwurf eines Gemäldes sich vor ihm darstellt,      an welchem er mit Geschick und Gewandtheit die verschiedenartigsten Farben anbringt. Die ganze      Reichhaltigkeit unserer Sprache sich zu Nutzen machend, fesselt er durch die lebendigste      Darstellungsart, hin und wieder auch den weniger gewählten Ausdruck nicht verschmähend.      Sternheim dagegen, dessen tiefe Bildung unverkennbar ist, hat eine einfache, angenehme      Wortsetzung, welche ihm durchaus eigenthümlich ist und unwillkürlich den Gedanken einflößt, daß      er die Rede für seine Zwecke brauche, aber nicht mißbrauche. &#x2014; Er ist jetzt mittheilender und,      durch R. angeregt, zuweilen heiter und launig. Diesen haben wir in der letzten Zeit weniger      gesehen; er ist überall wohl aufgenommen und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0042] und erwiderte ruhig: Ich danke für den freundlichen Wunsch, bedaure aber, daß er nicht in Erfüllung gehen wird. Selbst wenn ich so liebte, wie Sie es begehren, würden weder Sie noch irgend Jemand es jemals gewahren. Ich erkenne die Leidenschaft an, aber zu ihrem Sklaven macht sie mich nicht. — Sternheim's Gegenwart berührte R. anfangs sichtlich sehr unangenehm, er nahte ihm stolz und übermüthig ; Jener war weder kalt noch warm, sondern völlig gelassen. Nie sah ich zwei Menschen mit so verschiedenen, aber hervorleuchtenden Eigenschaften. Beide sind ihrer Muttersprache auf eine Weise mächtig, wie man dieses selten anzutreffen pflegt. R. spricht stets mit vollkommenem Bewußtsein seines Gegenstandes, der gleich dem Entwurf eines Gemäldes sich vor ihm darstellt, an welchem er mit Geschick und Gewandtheit die verschiedenartigsten Farben anbringt. Die ganze Reichhaltigkeit unserer Sprache sich zu Nutzen machend, fesselt er durch die lebendigste Darstellungsart, hin und wieder auch den weniger gewählten Ausdruck nicht verschmähend. Sternheim dagegen, dessen tiefe Bildung unverkennbar ist, hat eine einfache, angenehme Wortsetzung, welche ihm durchaus eigenthümlich ist und unwillkürlich den Gedanken einflößt, daß er die Rede für seine Zwecke brauche, aber nicht mißbrauche. — Er ist jetzt mittheilender und, durch R. angeregt, zuweilen heiter und launig. Diesen haben wir in der letzten Zeit weniger gesehen; er ist überall wohl aufgenommen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/42
Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/42>, abgerufen am 23.11.2024.