Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Sprache. Wüßtest du, mit wie viel Widerstreben er über meine Lippen kam, du würdest mir gut dafür sein. Wer den Namen des theuersten Wesens leicht auszusprechen vermag wie einen andern, der hat nie geliebt. Es war mir, als sei es Entheiligung, ihn da zu hören, wo auch viel leichtsinnige Worte mein Ohr berührt hatten. Er tadelte meinen Entschluß und sagte kalt: Du willst nie etwas mit ganzer Seele; hattest du die Pläne, welche du jetzt ausführst, wie konntest, wie durftest du über dein Herz verfügen? -- Ich benutzte die Zeit meines Aufenthalts auch dazu, die reizenden Elbgegenden kennen zu lernen. Eines Morgens war ich sehr früh nach Ottensen gefahren, dort verließ ich den Wagen und ging weiter, Alles ungebundener, ungestörter zu genießen. Das Leben, welches ich jetzt regte, war mehr dasjenige des Getriebes und Gewerbes. Der weiche Duft des Morgens, der leichte Wassernebel breitete noch seinen magischen Flor über die Ferne, und der schöne Strom floß, die Fahrzeuge aller Welttheile tragend, ruhig spielend dahin. An den Zweigen hing noch der frische Thau, aus Allem athmete noch jugendliches Leben; die schönsten Frühlingsblüten waren namentlich an den Gesträuchen in der anmuthigsten Fülle vorhanden; die ersten Sonnenstrahlen beschienen die weißen Kieswege der vortrefflich gehaltenen Gärten, und tief aufathmend freute ich mich des Balsamhauches der Lüste. Halb unbewußt, sinnend, träumend, aber innerlich beglückt, ging ich weiter; ein Landhäuschen, denn

Sprache. Wüßtest du, mit wie viel Widerstreben er über meine Lippen kam, du würdest mir gut dafür sein. Wer den Namen des theuersten Wesens leicht auszusprechen vermag wie einen andern, der hat nie geliebt. Es war mir, als sei es Entheiligung, ihn da zu hören, wo auch viel leichtsinnige Worte mein Ohr berührt hatten. Er tadelte meinen Entschluß und sagte kalt: Du willst nie etwas mit ganzer Seele; hattest du die Pläne, welche du jetzt ausführst, wie konntest, wie durftest du über dein Herz verfügen? — Ich benutzte die Zeit meines Aufenthalts auch dazu, die reizenden Elbgegenden kennen zu lernen. Eines Morgens war ich sehr früh nach Ottensen gefahren, dort verließ ich den Wagen und ging weiter, Alles ungebundener, ungestörter zu genießen. Das Leben, welches ich jetzt regte, war mehr dasjenige des Getriebes und Gewerbes. Der weiche Duft des Morgens, der leichte Wassernebel breitete noch seinen magischen Flor über die Ferne, und der schöne Strom floß, die Fahrzeuge aller Welttheile tragend, ruhig spielend dahin. An den Zweigen hing noch der frische Thau, aus Allem athmete noch jugendliches Leben; die schönsten Frühlingsblüten waren namentlich an den Gesträuchen in der anmuthigsten Fülle vorhanden; die ersten Sonnenstrahlen beschienen die weißen Kieswege der vortrefflich gehaltenen Gärten, und tief aufathmend freute ich mich des Balsamhauches der Lüste. Halb unbewußt, sinnend, träumend, aber innerlich beglückt, ging ich weiter; ein Landhäuschen, denn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter">
        <p><pb facs="#f0049"/>
Sprache. Wüßtest du, mit wie viel Widerstreben er über meine Lippen kam, du würdest mir gut      dafür sein. Wer den Namen des theuersten Wesens leicht auszusprechen vermag wie einen andern,      der hat nie geliebt. Es war mir, als sei es Entheiligung, ihn da zu hören, wo auch viel      leichtsinnige Worte mein Ohr berührt hatten. Er tadelte meinen Entschluß und sagte kalt: Du      willst nie etwas mit ganzer Seele; hattest du die Pläne, welche du jetzt ausführst, wie      konntest, wie durftest du über dein Herz verfügen? &#x2014; Ich benutzte die Zeit meines Aufenthalts      auch dazu, die reizenden Elbgegenden kennen zu lernen. Eines Morgens war ich sehr früh nach      Ottensen gefahren, dort verließ ich den Wagen und ging weiter, Alles ungebundener, ungestörter      zu genießen. Das Leben, welches ich jetzt regte, war mehr dasjenige des Getriebes und Gewerbes.      Der weiche Duft des Morgens, der leichte Wassernebel breitete noch seinen magischen Flor über      die Ferne, und der schöne Strom floß, die Fahrzeuge aller Welttheile tragend, ruhig spielend      dahin. An den Zweigen hing noch der frische Thau, aus Allem athmete noch jugendliches Leben;      die schönsten Frühlingsblüten waren namentlich an den Gesträuchen in der anmuthigsten Fülle      vorhanden; die ersten Sonnenstrahlen beschienen die weißen Kieswege der vortrefflich gehaltenen      Gärten, und tief aufathmend freute ich mich des Balsamhauches der Lüste. Halb unbewußt,      sinnend, träumend, aber innerlich beglückt, ging ich weiter; ein Landhäuschen, denn<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Sprache. Wüßtest du, mit wie viel Widerstreben er über meine Lippen kam, du würdest mir gut dafür sein. Wer den Namen des theuersten Wesens leicht auszusprechen vermag wie einen andern, der hat nie geliebt. Es war mir, als sei es Entheiligung, ihn da zu hören, wo auch viel leichtsinnige Worte mein Ohr berührt hatten. Er tadelte meinen Entschluß und sagte kalt: Du willst nie etwas mit ganzer Seele; hattest du die Pläne, welche du jetzt ausführst, wie konntest, wie durftest du über dein Herz verfügen? — Ich benutzte die Zeit meines Aufenthalts auch dazu, die reizenden Elbgegenden kennen zu lernen. Eines Morgens war ich sehr früh nach Ottensen gefahren, dort verließ ich den Wagen und ging weiter, Alles ungebundener, ungestörter zu genießen. Das Leben, welches ich jetzt regte, war mehr dasjenige des Getriebes und Gewerbes. Der weiche Duft des Morgens, der leichte Wassernebel breitete noch seinen magischen Flor über die Ferne, und der schöne Strom floß, die Fahrzeuge aller Welttheile tragend, ruhig spielend dahin. An den Zweigen hing noch der frische Thau, aus Allem athmete noch jugendliches Leben; die schönsten Frühlingsblüten waren namentlich an den Gesträuchen in der anmuthigsten Fülle vorhanden; die ersten Sonnenstrahlen beschienen die weißen Kieswege der vortrefflich gehaltenen Gärten, und tief aufathmend freute ich mich des Balsamhauches der Lüste. Halb unbewußt, sinnend, träumend, aber innerlich beglückt, ging ich weiter; ein Landhäuschen, denn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/49
Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/49>, abgerufen am 21.11.2024.