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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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teste Leitung. Mit R. kann man ihn allein in der Hinsicht vergleichen; ob er gescheidter ist, weiß ich nicht, jedenfalls darf man ihn wohl ausgezeichnet nennen. Eine angenehmere Unterhaltung läßt sich nicht denken, als diejenige von Männern, welche mit Kenntnissen feine Weltsitte verbinden. Herr von Steinberg entfaltet gleich einem Chamäleon alle Farben; Ernst, Heiterkeit und Spott weiß er auf gleich anziehende Weise geltend zu machen. Die raschesten Uebergänge stellen sich bei ihm wie in ganz natürlicher Folge dar. Herr Steffano lud ihn sehr höflich auf den folgenden Tag ein, und aus diesem Tage sind im allmählichen Zugeben achte geworden, welche er größtentheils hier im Hause verlebt hat. So artig und gescheidt mir das Wesen des Mannes auch vorkommt, so liegt indessen dennoch Etwas in seiner Art zu sein, welches mich, mir selber unerklärlich, einigermaßen von ihm zurückstößt. Gegen Sophie hatte er eine einnehmende Artigkeit, betrachtete sie oft nachdenklich, ich möchte sagen, wehmüthig, und begegnete ihr mit wahrer Hochachtung. Sternheim widmete er eine sehr ernste Beobachtung, welche Diesem sichtlich nicht entging und mit gehaltenem Benehmen erwidert wurde. Mir schenkte unser Gast eine freundliche Aufmerksamkeit, und ich hörte ihn einmal gegen Sternheim äußern: Sie ist ganz entzückend, eine wahre kleine Fee! -- Dessenungeachtet fühlte ich mich nicht mehr zu ihm hingezogen, vielleicht in der Voraussetzung, R. habe ihm mit all der Eitelkeit von mir gesprochen, die ihm

teste Leitung. Mit R. kann man ihn allein in der Hinsicht vergleichen; ob er gescheidter ist, weiß ich nicht, jedenfalls darf man ihn wohl ausgezeichnet nennen. Eine angenehmere Unterhaltung läßt sich nicht denken, als diejenige von Männern, welche mit Kenntnissen feine Weltsitte verbinden. Herr von Steinberg entfaltet gleich einem Chamäleon alle Farben; Ernst, Heiterkeit und Spott weiß er auf gleich anziehende Weise geltend zu machen. Die raschesten Uebergänge stellen sich bei ihm wie in ganz natürlicher Folge dar. Herr Steffano lud ihn sehr höflich auf den folgenden Tag ein, und aus diesem Tage sind im allmählichen Zugeben achte geworden, welche er größtentheils hier im Hause verlebt hat. So artig und gescheidt mir das Wesen des Mannes auch vorkommt, so liegt indessen dennoch Etwas in seiner Art zu sein, welches mich, mir selber unerklärlich, einigermaßen von ihm zurückstößt. Gegen Sophie hatte er eine einnehmende Artigkeit, betrachtete sie oft nachdenklich, ich möchte sagen, wehmüthig, und begegnete ihr mit wahrer Hochachtung. Sternheim widmete er eine sehr ernste Beobachtung, welche Diesem sichtlich nicht entging und mit gehaltenem Benehmen erwidert wurde. Mir schenkte unser Gast eine freundliche Aufmerksamkeit, und ich hörte ihn einmal gegen Sternheim äußern: Sie ist ganz entzückend, eine wahre kleine Fee! — Dessenungeachtet fühlte ich mich nicht mehr zu ihm hingezogen, vielleicht in der Voraussetzung, R. habe ihm mit all der Eitelkeit von mir gesprochen, die ihm

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/59>, abgerufen am 21.11.2024.