F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Lebewohl, theure, geliebte Sophie, und glaube es deinem Freunde, daß er an dich denkt, wie an den Engel seines Lebens. -- Emmy an Charlotte. Monate sind vergangen, seit ich dir schrieb, ich ließ sie ruhig dahin eilen, wohl fühlend, daß ich der Fassung bedürfe, dir alles mittheilen zu können, was ich erlebt, wie es sich begeben und mein Herz getroffen hat. Meine Bitten, meine Vorstellungen vermochten endlich Victor zu einer aufrichtigen Antwort. Die Art der Mittheilung, welche er mir zu machen hatte, erklärt die Scheu, mit welcher er sie verschob. -- Er schrieb mir, sichtlich gebeugt, gedemüthigt, daß Zeit und Entfernung, nebst der Ueberzeugung, daß ich ihn nie geliebt habe, wie er mich, mein Bild aus seiner Seele verdrängt hätten; daß er eine Andere liebe und volle Erwiderung seiner Neigung gefunden habe. -- Ich war bei Lesung dieses Bekenntnisses so vernichtet, so beschämt, als ob ich die Schuldige sei. Meine Achtung für seinen Charakter, für seine unwandelbare Rechtlichkeit, hatten ihm die Zusage meiner Hand erworben, und er, ein Freund jenes geliebten Verlornen, der mich ihm mit Ruhe, mit unendlichem Vertrauen übergeben hatte, er verläßt mich aus dem Grunde, daß eine Andere ihm mehr gefällt! -- Mein Entschluß war schnell gefaßt, ich antwortete ihm ohne Groll, mild wie eine Lebewohl, theure, geliebte Sophie, und glaube es deinem Freunde, daß er an dich denkt, wie an den Engel seines Lebens. — Emmy an Charlotte. Monate sind vergangen, seit ich dir schrieb, ich ließ sie ruhig dahin eilen, wohl fühlend, daß ich der Fassung bedürfe, dir alles mittheilen zu können, was ich erlebt, wie es sich begeben und mein Herz getroffen hat. Meine Bitten, meine Vorstellungen vermochten endlich Victor zu einer aufrichtigen Antwort. Die Art der Mittheilung, welche er mir zu machen hatte, erklärt die Scheu, mit welcher er sie verschob. — Er schrieb mir, sichtlich gebeugt, gedemüthigt, daß Zeit und Entfernung, nebst der Ueberzeugung, daß ich ihn nie geliebt habe, wie er mich, mein Bild aus seiner Seele verdrängt hätten; daß er eine Andere liebe und volle Erwiderung seiner Neigung gefunden habe. — Ich war bei Lesung dieses Bekenntnisses so vernichtet, so beschämt, als ob ich die Schuldige sei. Meine Achtung für seinen Charakter, für seine unwandelbare Rechtlichkeit, hatten ihm die Zusage meiner Hand erworben, und er, ein Freund jenes geliebten Verlornen, der mich ihm mit Ruhe, mit unendlichem Vertrauen übergeben hatte, er verläßt mich aus dem Grunde, daß eine Andere ihm mehr gefällt! — Mein Entschluß war schnell gefaßt, ich antwortete ihm ohne Groll, mild wie eine <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <pb facs="#f0069"/> <p>Lebewohl, theure, geliebte Sophie, und glaube es deinem Freunde, daß er an dich denkt, wie an den Engel seines Lebens. —</p><lb/> </div> <div type="letter"> <head>Emmy an Charlotte.</head> <p>Monate sind vergangen, seit ich dir schrieb, ich ließ sie ruhig dahin eilen, wohl fühlend, daß ich der Fassung bedürfe, dir alles mittheilen zu können, was ich erlebt, wie es sich begeben und mein Herz getroffen hat. Meine Bitten, meine Vorstellungen vermochten endlich Victor zu einer aufrichtigen Antwort. Die Art der Mittheilung, welche er mir zu machen hatte, erklärt die Scheu, mit welcher er sie verschob. — Er schrieb mir, sichtlich gebeugt, gedemüthigt, daß Zeit und Entfernung, nebst der Ueberzeugung, daß ich ihn nie geliebt habe, wie er mich, mein Bild aus seiner Seele verdrängt hätten; daß er eine Andere liebe und volle Erwiderung seiner Neigung gefunden habe. — Ich war bei Lesung dieses Bekenntnisses so vernichtet, so beschämt, als ob ich die Schuldige sei. Meine Achtung für seinen Charakter, für seine unwandelbare Rechtlichkeit, hatten ihm die Zusage meiner Hand erworben, und er, ein Freund jenes geliebten Verlornen, der mich ihm mit Ruhe, mit unendlichem Vertrauen übergeben hatte, er verläßt mich aus dem Grunde, daß eine Andere ihm mehr gefällt! — Mein Entschluß war schnell gefaßt, ich antwortete ihm ohne Groll, mild wie eine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0069]
Lebewohl, theure, geliebte Sophie, und glaube es deinem Freunde, daß er an dich denkt, wie an den Engel seines Lebens. —
Emmy an Charlotte. Monate sind vergangen, seit ich dir schrieb, ich ließ sie ruhig dahin eilen, wohl fühlend, daß ich der Fassung bedürfe, dir alles mittheilen zu können, was ich erlebt, wie es sich begeben und mein Herz getroffen hat. Meine Bitten, meine Vorstellungen vermochten endlich Victor zu einer aufrichtigen Antwort. Die Art der Mittheilung, welche er mir zu machen hatte, erklärt die Scheu, mit welcher er sie verschob. — Er schrieb mir, sichtlich gebeugt, gedemüthigt, daß Zeit und Entfernung, nebst der Ueberzeugung, daß ich ihn nie geliebt habe, wie er mich, mein Bild aus seiner Seele verdrängt hätten; daß er eine Andere liebe und volle Erwiderung seiner Neigung gefunden habe. — Ich war bei Lesung dieses Bekenntnisses so vernichtet, so beschämt, als ob ich die Schuldige sei. Meine Achtung für seinen Charakter, für seine unwandelbare Rechtlichkeit, hatten ihm die Zusage meiner Hand erworben, und er, ein Freund jenes geliebten Verlornen, der mich ihm mit Ruhe, mit unendlichem Vertrauen übergeben hatte, er verläßt mich aus dem Grunde, daß eine Andere ihm mehr gefällt! — Mein Entschluß war schnell gefaßt, ich antwortete ihm ohne Groll, mild wie eine
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T13:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T13:52:17Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |