Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Begriff einer Theorie
selben erklärt werden. Da hingegen diejenigen
Veränderungen die ihren Grund außer dem Kör-
per oder in Dingen wenigstens die nicht zum Kör-
per gehören, kurz die ihren Grnnd nicht in der
Natur und dem Wesen des Körpers haben, zur
Pathologie hingerechnet werden. Da man auch
Funktionen diejenige Veränderungen eines orga-
nischen Körpers nennt, die ihren hinreichenden
Grund in der Natur und dem Wesen desselben ha-
ben, so können Sie sich kürzer ausdrücken, in-
dem Sie sagen, die Physiologie ist eine Wissenschaft
von den Funktionen des organischen Körpers.

Nunmehr vergleichen Sie diesen Begriff der
Physiologie, welcher richtig ist, mit dem Begriff
meiner Theorie und sehen Sie ob diese beyden Be-
griffe einerley sind. Jst denn die Wissenschaft von
den Funktionen eines organisirten Körpers und die
Wissenschaft eben dieses Körpers selbst, oder der
Zusammensetzung und der Strucktur seiner Theile
le ein und eben dasselbe Ding? Diese beyde Wissen-
schaften sind nicht nur sehr von einander unterschie-
den, sondern sie haben auch gar nichts ähnliches
mit einander. Die Verhältnisse zwischen der Ana-
tomie, der Lehre von der Generation, und der
Physiologie werden ungefehr diese seyn. Jn der
Anatomie lernen wir aus der Erfahrung die Zu-
sammensetzung und die Strucktur eines organischen
Körpers. Wir können aber diese Zusammensetzung
und Strucktur nicht erklären, wir wissen nur, daß
sie so ist, und weiter wissen wir nichts. Nun

kommt

Begriff einer Theorie
ſelben erklaͤrt werden. Da hingegen diejenigen
Veraͤnderungen die ihren Grund außer dem Koͤr-
per oder in Dingen wenigſtens die nicht zum Koͤr-
per gehoͤren, kurz die ihren Grnnd nicht in der
Natur und dem Weſen des Koͤrpers haben, zur
Pathologie hingerechnet werden. Da man auch
Funktionen diejenige Veraͤnderungen eines orga-
niſchen Koͤrpers nennt, die ihren hinreichenden
Grund in der Natur und dem Weſen deſſelben ha-
ben, ſo koͤnnen Sie ſich kuͤrzer ausdruͤcken, in-
dem Sie ſagen, die Phyſiologie iſt eine Wiſſenſchaft
von den Funktionen des organiſchen Koͤrpers.

Nunmehr vergleichen Sie dieſen Begriff der
Phyſiologie, welcher richtig iſt, mit dem Begriff
meiner Theorie und ſehen Sie ob dieſe beyden Be-
griffe einerley ſind. Jſt denn die Wiſſenſchaft von
den Funktionen eines organiſirten Koͤrpers und die
Wiſſenſchaft eben dieſes Koͤrpers ſelbſt, oder der
Zuſammenſetzung und der Strucktur ſeiner Theile
le ein und eben daſſelbe Ding? Dieſe beyde Wiſſen-
ſchaften ſind nicht nur ſehr von einander unterſchie-
den, ſondern ſie haben auch gar nichts aͤhnliches
mit einander. Die Verhaͤltniſſe zwiſchen der Ana-
tomie, der Lehre von der Generation, und der
Phyſiologie werden ungefehr dieſe ſeyn. Jn der
Anatomie lernen wir aus der Erfahrung die Zu-
ſammenſetzung und die Strucktur eines organiſchen
Koͤrpers. Wir koͤnnen aber dieſe Zuſammenſetzung
und Strucktur nicht erklaͤren, wir wiſſen nur, daß
ſie ſo iſt, und weiter wiſſen wir nichts. Nun

kommt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="12"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Begriff einer Theorie</hi></fw><lb/>
&#x017F;elben erkla&#x0364;rt werden. Da hingegen diejenigen<lb/>
Vera&#x0364;nderungen die ihren Grund außer dem Ko&#x0364;r-<lb/>
per oder in Dingen wenig&#x017F;tens die nicht zum Ko&#x0364;r-<lb/>
per geho&#x0364;ren, kurz die ihren Grnnd nicht in der<lb/>
Natur und dem We&#x017F;en des Ko&#x0364;rpers haben, zur<lb/><hi rendition="#aq">Pathologie</hi> hingerechnet werden. Da man auch<lb/>
Funktionen diejenige Vera&#x0364;nderungen eines orga-<lb/>
ni&#x017F;chen Ko&#x0364;rpers nennt, die ihren hinreichenden<lb/>
Grund in der Natur und dem We&#x017F;en de&#x017F;&#x017F;elben ha-<lb/>
ben, &#x017F;o ko&#x0364;nnen Sie &#x017F;ich ku&#x0364;rzer ausdru&#x0364;cken, in-<lb/>
dem Sie &#x017F;agen, die Phy&#x017F;iologie i&#x017F;t eine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
von den Funktionen des organi&#x017F;chen Ko&#x0364;rpers.</p><lb/>
          <p>Nunmehr vergleichen Sie die&#x017F;en Begriff der<lb/>
Phy&#x017F;iologie, welcher richtig i&#x017F;t, mit dem Begriff<lb/>
meiner Theorie und &#x017F;ehen Sie ob die&#x017F;e beyden Be-<lb/>
griffe einerley &#x017F;ind. J&#x017F;t denn die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft von<lb/>
den Funktionen eines organi&#x017F;irten Ko&#x0364;rpers und die<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft eben die&#x017F;es Ko&#x0364;rpers &#x017F;elb&#x017F;t, oder der<lb/>
Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung und der Strucktur &#x017F;einer Theile<lb/>
le ein und eben da&#x017F;&#x017F;elbe Ding? Die&#x017F;e beyde Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaften &#x017F;ind nicht nur &#x017F;ehr von einander unter&#x017F;chie-<lb/>
den, &#x017F;ondern &#x017F;ie haben auch gar nichts a&#x0364;hnliches<lb/>
mit einander. Die Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e zwi&#x017F;chen der Ana-<lb/>
tomie, der Lehre von der Generation, und der<lb/>
Phy&#x017F;iologie werden ungefehr die&#x017F;e &#x017F;eyn. Jn der<lb/>
Anatomie lernen wir aus der Erfahrung die Zu-<lb/>
&#x017F;ammen&#x017F;etzung und die Strucktur eines organi&#x017F;chen<lb/>
Ko&#x0364;rpers. Wir ko&#x0364;nnen aber die&#x017F;e Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung<lb/>
und Strucktur nicht erkla&#x0364;ren, wir wi&#x017F;&#x017F;en nur, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;o i&#x017F;t, und weiter wi&#x017F;&#x017F;en wir nichts. Nun<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kommt</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0034] Begriff einer Theorie ſelben erklaͤrt werden. Da hingegen diejenigen Veraͤnderungen die ihren Grund außer dem Koͤr- per oder in Dingen wenigſtens die nicht zum Koͤr- per gehoͤren, kurz die ihren Grnnd nicht in der Natur und dem Weſen des Koͤrpers haben, zur Pathologie hingerechnet werden. Da man auch Funktionen diejenige Veraͤnderungen eines orga- niſchen Koͤrpers nennt, die ihren hinreichenden Grund in der Natur und dem Weſen deſſelben ha- ben, ſo koͤnnen Sie ſich kuͤrzer ausdruͤcken, in- dem Sie ſagen, die Phyſiologie iſt eine Wiſſenſchaft von den Funktionen des organiſchen Koͤrpers. Nunmehr vergleichen Sie dieſen Begriff der Phyſiologie, welcher richtig iſt, mit dem Begriff meiner Theorie und ſehen Sie ob dieſe beyden Be- griffe einerley ſind. Jſt denn die Wiſſenſchaft von den Funktionen eines organiſirten Koͤrpers und die Wiſſenſchaft eben dieſes Koͤrpers ſelbſt, oder der Zuſammenſetzung und der Strucktur ſeiner Theile le ein und eben daſſelbe Ding? Dieſe beyde Wiſſen- ſchaften ſind nicht nur ſehr von einander unterſchie- den, ſondern ſie haben auch gar nichts aͤhnliches mit einander. Die Verhaͤltniſſe zwiſchen der Ana- tomie, der Lehre von der Generation, und der Phyſiologie werden ungefehr dieſe ſeyn. Jn der Anatomie lernen wir aus der Erfahrung die Zu- ſammenſetzung und die Strucktur eines organiſchen Koͤrpers. Wir koͤnnen aber dieſe Zuſammenſetzung und Strucktur nicht erklaͤren, wir wiſſen nur, daß ſie ſo iſt, und weiter wiſſen wir nichts. Nun kommt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/34
Zitationshilfe: Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/34>, abgerufen am 03.12.2024.