nen, wofern wir nicht unsere Gedan- cken verbergen, oder moralisch falsch re- den (§. 49.); und alsdann ist die Un- wahrheit keine Lügen (§. 351.). Und weil nach der natürlichen Freyheit niemanden verwehret werden kann, in der Bestimmung seiner Handlungen sich nach seinem Urtheile zu richten, wenn er nur nichts thut, zu dessen Unterlassung er uns verbunden ist (§. 78.), die natürliche Freyheit aber die natürliche Verbindlichkeit nicht aufhebt (§. 77.); so ist auch erlaubt, wenn wir nicht verbun- den sind dem andern unsere Gedancken zu sagen, noch auch eine Pflicht gegen uns selbst oder gegen andere solches er- fordert, die Wahrheit zu verheelen.
§. 353.
Von der Zwey- deutig- keit im Reden.
Zweydeutig redet derjenige (ambigue loqvitur), welcher sich solcher Worte bedie- net, so nach dem gemeinen Gebrauch im Re- den mehr als eine Bedeutung haben können. Dieses ist wieder die Klugheit, wenn wir einem andern unsere Gedancken eröfnen wollen (§. 21.), und folglich zu vermeiden. Wenn wir aber voraus sehen, es werde ein anderer, dem wir unsere Gedancken zu eröfnen verbun- den sind, sie in einer Bedeutung neh- men, die von unserer Meinung unter- schieden ist, und wir dieses vorsätzlich zur Absicht haben (§. 17.), so ist die Zweydeutigkeit im Reden einer Lügen
gleich
II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
nen, wofern wir nicht unſere Gedan- cken verbergen, oder moraliſch falſch re- den (§. 49.); und alsdann iſt die Un- wahrheit keine Luͤgen (§. 351.). Und weil nach der natuͤrlichen Freyheit niemanden verwehret werden kann, in der Beſtimmung ſeiner Handlungen ſich nach ſeinem Urtheile zu richten, wenn er nur nichts thut, zu deſſen Unterlaſſung er uns verbunden iſt (§. 78.), die natuͤrliche Freyheit aber die natuͤrliche Verbindlichkeit nicht aufhebt (§. 77.); ſo iſt auch erlaubt, wenn wir nicht verbun- den ſind dem andern unſere Gedancken zu ſagen, noch auch eine Pflicht gegen uns ſelbſt oder gegen andere ſolches er- fordert, die Wahrheit zu verheelen.
§. 353.
Von der Zwey- deutig- keit im Reden.
Zweydeutig redet derjenige (ambigue loqvitur), welcher ſich ſolcher Worte bedie- net, ſo nach dem gemeinen Gebrauch im Re- den mehr als eine Bedeutung haben koͤnnen. Dieſes iſt wieder die Klugheit, wenn wir einem andern unſere Gedancken eroͤfnen wollen (§. 21.), und folglich zu vermeiden. Wenn wir aber voraus ſehen, es werde ein anderer, dem wir unſere Gedancken zu eroͤfnen verbun- den ſind, ſie in einer Bedeutung neh- men, die von unſerer Meinung unter- ſchieden iſt, und wir dieſes vorſaͤtzlich zur Abſicht haben (§. 17.), ſo iſt die Zweydeutigkeit im Reden einer Luͤgen
gleich
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II. Th. 6. H. Von der Eroͤfnung
nen, wofern wir nicht unſere Gedan-
cken verbergen, oder moraliſch falſch re-
den (§. 49.); und alsdann iſt die Un-
wahrheit keine Luͤgen (§. 351.). Und
weil nach der natuͤrlichen Freyheit niemanden
verwehret werden kann, in der Beſtimmung
ſeiner Handlungen ſich nach ſeinem Urtheile
zu richten, wenn er nur nichts thut, zu deſſen
Unterlaſſung er uns verbunden iſt (§. 78.),
die natuͤrliche Freyheit aber die natuͤrliche
Verbindlichkeit nicht aufhebt (§. 77.); ſo iſt
auch erlaubt, wenn wir nicht verbun-
den ſind dem andern unſere Gedancken
zu ſagen, noch auch eine Pflicht gegen
uns ſelbſt oder gegen andere ſolches er-
fordert, die Wahrheit zu verheelen.
§. 353.
Zweydeutig redet derjenige (ambigue
loqvitur), welcher ſich ſolcher Worte bedie-
net, ſo nach dem gemeinen Gebrauch im Re-
den mehr als eine Bedeutung haben koͤnnen.
Dieſes iſt wieder die Klugheit, wenn
wir einem andern unſere Gedancken
eroͤfnen wollen (§. 21.), und folglich zu
vermeiden. Wenn wir aber voraus
ſehen, es werde ein anderer, dem wir
unſere Gedancken zu eroͤfnen verbun-
den ſind, ſie in einer Bedeutung neh-
men, die von unſerer Meinung unter-
ſchieden iſt, und wir dieſes vorſaͤtzlich
zur Abſicht haben (§. 17.), ſo iſt die
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/252>, abgerufen am 21.11.2024.
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