vermuthete Einwilligung, oder das vermuthete Wollen und nicht Wol- len falsch seyn (trügen); und folglich kann sie nicht wahr genannt werden; aber sie wird, wie alles wahrschein- liche, so lange vor wahr gehalten, bis man das Gegentheil beweiset. Wenn also das Gegentheil bewiesen wird, so daß gewiß ist, dasjenige sey falsch, was man für wahr hielt; so überwindet die Wahrheit die Vermuthung, so daß diese denn aufhöret.
§. 31.
Die stillschweigende Genehmhal-Die Ei- genschaff- ten der Genehm- haltung. tung erfordert die Kentnis der Hand- lung, die genehmgehalten wird; weil derjenige, welcher eine Handlung des an- dern genehmhält, seine Einwilligung nach- her anzeigt (§. 29.): und weil die still- schweigende Einwilligung aus dem, was man gethan, oder unterlassen, geschlossen wird; so erfordert die stillschweigende Genehmhaltung, daß die genehmhal- tende Person etwas thut, oder unter- läßt, welches sie nicht hätte thun, oder unterlassen können, wenn man dasje- nige nicht voraus setzet, was genehm- gehalten werden soll.
§. 32.
Die Unwissenheit(ignorantiam) nenntDie Un- wissen- heit. man den Mangel eines Begriffes von einer Sache an sich, oder von einem Ur-
theile,
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und ihrer Zurechnung.
vermuthete Einwilligung, oder das vermuthete Wollen und nicht Wol- len falſch ſeyn (truͤgen); und folglich kann ſie nicht wahr genannt werden; aber ſie wird, wie alles wahrſchein- liche, ſo lange vor wahr gehalten, bis man das Gegentheil beweiſet. Wenn alſo das Gegentheil bewieſen wird, ſo daß gewiß iſt, dasjenige ſey falſch, was man fuͤr wahr hielt; ſo uͤberwindet die Wahrheit die Vermuthung, ſo daß dieſe denn aufhoͤret.
§. 31.
Die ſtillſchweigende Genehmhal-Die Ei- genſchaff- ten der Genehm- haltung. tung erfordert die Kentnis der Hand- lung, die genehmgehalten wird; weil derjenige, welcher eine Handlung des an- dern genehmhaͤlt, ſeine Einwilligung nach- her anzeigt (§. 29.): und weil die ſtill- ſchweigende Einwilligung aus dem, was man gethan, oder unterlaſſen, geſchloſſen wird; ſo erfordert die ſtillſchweigende Genehmhaltung, daß die genehmhal- tende Perſon etwas thut, oder unter- laͤßt, welches ſie nicht haͤtte thun, oder unterlaſſen koͤnnen, wenn man dasje- nige nicht voraus ſetzet, was genehm- gehalten werden ſoll.
§. 32.
Die Unwiſſenheit(ignorantiam) nenntDie Un- wiſſen- heit. man den Mangel eines Begriffes von einer Sache an ſich, oder von einem Ur-
theile,
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und ihrer Zurechnung.
vermuthete Einwilligung, oder das
vermuthete Wollen und nicht Wol-
len falſch ſeyn (truͤgen); und folglich
kann ſie nicht wahr genannt werden;
aber ſie wird, wie alles wahrſchein-
liche, ſo lange vor wahr gehalten,
bis man das Gegentheil beweiſet.
Wenn alſo das Gegentheil bewieſen wird,
ſo daß gewiß iſt, dasjenige ſey falſch, was
man fuͤr wahr hielt; ſo uͤberwindet die
Wahrheit die Vermuthung, ſo daß
dieſe denn aufhoͤret.
§. 31.
Die ſtillſchweigende Genehmhal-
tung erfordert die Kentnis der Hand-
lung, die genehmgehalten wird; weil
derjenige, welcher eine Handlung des an-
dern genehmhaͤlt, ſeine Einwilligung nach-
her anzeigt (§. 29.): und weil die ſtill-
ſchweigende Einwilligung aus dem, was
man gethan, oder unterlaſſen, geſchloſſen
wird; ſo erfordert die ſtillſchweigende
Genehmhaltung, daß die genehmhal-
tende Perſon etwas thut, oder unter-
laͤßt, welches ſie nicht haͤtte thun, oder
unterlaſſen koͤnnen, wenn man dasje-
nige nicht voraus ſetzet, was genehm-
gehalten werden ſoll.
Die Ei-
genſchaff-
ten der
Genehm-
haltung.
§. 32.
Die Unwiſſenheit (ignorantiam) nennt
man den Mangel eines Begriffes von
einer Sache an ſich, oder von einem Ur-
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Die Un-
wiſſen-
heit.
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Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/57>, abgerufen am 21.11.2024.
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