dürstendes, und unbefriedigtes Geschöpf, ist doch der Mensch! Sollten wir nicht das viel weniger begehrende und viel eher gesättigte Thier beneiden?
Doch nein: wir sind zur Freude von Gott geschaffen: wie sollten wir sie verfehlen, wenn wir sie nur auf dem rechten Wege suchen? Je höher wir unser Ziel setzen, desto weniger schwe- ben wir in Gefahr, in unserm Bestreben zurük- ke zu sinken; je mehr wir begehren, desto mehr erreichen wir. Nur über alles was Unbestand und Vergänglichkeit, Zerstörung und Tod heißt, müßen wir uns empor schwingen; mehr als Him- mel und Erde, als Welt und Zeit uns darbie- ten, müßen wir begehren: damit Unbestand und Vergänglichkeit Zerstörung und Tod, uns mit ihren Pfeilen nicht erreichen können, damit Himmel und Erde, Welt und Zeit uns entbehrlich werden. Gott selbst, der Allselige, und Allge- nugsame, muß unser Verlangen seyn: wie kön- te es dem fehlen, der aus i[h]m, dem unerschöpfli- chen Meere der Seligkeit, sich sättigt? Die Ewig- keit muß das Ziel unsrer Aussicht seyn: wie kön- ten die mühevollsten traurigsten Auftritte der Zeit, die unser Auge trübe machen, das Ziel ver- drängen? Wer sich an Gott hält, und in die
Ewig-
dürſtendes, und unbefriedigtes Geſchöpf, iſt doch der Menſch! Sollten wir nicht das viel weniger begehrende und viel eher geſättigte Thier beneiden?
Doch nein: wir ſind zur Freude von Gott geſchaffen: wie ſollten wir ſie verfehlen, wenn wir ſie nur auf dem rechten Wege ſuchen? Je höher wir unſer Ziel ſetzen, deſto weniger ſchwe- ben wir in Gefahr, in unſerm Beſtreben zurük- ke zu ſinken; je mehr wir begehren, deſto mehr erreichen wir. Nur über alles was Unbeſtand und Vergänglichkeit, Zerſtörung und Tod heißt, müßen wir uns empor ſchwingen; mehr als Him- mel und Erde, als Welt und Zeit uns darbie- ten, müßen wir begehren: damit Unbeſtand und Vergänglichkeit Zerſtörung und Tod, uns mit ihren Pfeilen nicht erreichen können, damit Himmel und Erde, Welt und Zeit uns entbehrlich werden. Gott ſelbſt, der Allſelige, und Allge- nugſame, muß unſer Verlangen ſeyn: wie kön- te es dem fehlen, der aus i[h]m, dem unerſchöpfli- chen Meere der Seligkeit, ſich ſättigt? Die Ewig- keit muß das Ziel unſrer Ausſicht ſeyn: wie kön- ten die mühevollſten traurigſten Auftritte der Zeit, die unſer Auge trübe machen, das Ziel ver- drängen? Wer ſich an Gott hält, und in die
Ewig-
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dürſtendes, und unbefriedigtes Geſchöpf, iſt
doch der Menſch! Sollten wir nicht das viel
weniger begehrende und viel eher geſättigte Thier
beneiden?
Doch nein: wir ſind zur Freude von Gott
geſchaffen: wie ſollten wir ſie verfehlen, wenn
wir ſie nur auf dem rechten Wege ſuchen? Je
höher wir unſer Ziel ſetzen, deſto weniger ſchwe-
ben wir in Gefahr, in unſerm Beſtreben zurük-
ke zu ſinken; je mehr wir begehren, deſto mehr
erreichen wir. Nur über alles was Unbeſtand
und Vergänglichkeit, Zerſtörung und Tod heißt,
müßen wir uns empor ſchwingen; mehr als Him-
mel und Erde, als Welt und Zeit uns darbie-
ten, müßen wir begehren: damit Unbeſtand
und Vergänglichkeit Zerſtörung und Tod, uns
mit ihren Pfeilen nicht erreichen können, damit
Himmel und Erde, Welt und Zeit uns entbehrlich
werden. Gott ſelbſt, der Allſelige, und Allge-
nugſame, muß unſer Verlangen ſeyn: wie kön-
te es dem fehlen, der aus ihm, dem unerſchöpfli-
chen Meere der Seligkeit, ſich ſättigt? Die Ewig-
keit muß das Ziel unſrer Ausſicht ſeyn: wie kön-
ten die mühevollſten traurigſten Auftritte der Zeit,
die unſer Auge trübe machen, das Ziel ver-
drängen? Wer ſich an Gott hält, und in die
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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/114>, abgerufen am 04.12.2024.
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