Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.Die alle trägt Gott, nun schon so viel Jahrtaufende, mit eben dem Allmachtsworte, mit dem er sie aus dem Nichts hervorrief; zählt jeden Staub, den sie enthalten, und jeden Blutstropfen eines Wurms, wie die Gedanken und Thaten des erhabensten Gei- stes! Scheint das zu viel gesagt? das seiner Ma- jestät unwürdig? O, wie sehr ist doch das, was wir groß und ehrwürdig nennen, von dem, was in der That groß und ehrwürdig ist, unter- schieden! -- Wenn vor unsern Augen eine gan- ze Welt untergienge; wenn die Sonne aus ihrer Bahn wiche; wenn volkreiche blühende Länder im Erdbeben verschüttet, in einer Meeresfluth verschlun- gen werden; wenn mächtige Reiche durch Kriege verwüstet sind; wenn Seuchen und Hungersnoth hereinbrechen; wenn ein großer Regent, Gesetzge- ber, Weiser, stirbt: -- diese Begebenheiten nennen wir groß. Ob ein Wurm unter unsern Füs- sen im Staube zerdrückt wird; ob ein Saamenkorn mehr oder weniger Früchte trägt; ob ein Verlaßner, der keinen Freund hat, ein abgelebter Greis an dem die Welt nichts zu verlieren scheint, ein Siech- hafter, der Jahrelang schon auf dem Bette der Schmerzen geschmachtet hat, einen Tag früher oder später stirbt: -- das scheinen uns zwar oft unbedeutende Kleinigkeiten. -- Und dennoch: -- was
Die alle trägt Gott, nun ſchon ſo viel Jahrtaufende, mit eben dem Allmachtsworte, mit dem er ſie aus dem Nichts hervorrief; zählt jeden Staub, den ſie enthalten, und jeden Blutstropfen eines Wurms, wie die Gedanken und Thaten des erhabenſten Gei- ſtes! Scheint das zu viel geſagt? das ſeiner Ma- jeſtät unwürdig? O, wie ſehr iſt doch das, was wir groß und ehrwürdig nennen, von dem, was in der That groß und ehrwürdig iſt, unter- ſchieden! — Wenn vor unſern Augen eine gan- ze Welt untergienge; wenn die Sonne aus ihrer Bahn wiche; wenn volkreiche blühende Länder im Erdbeben verſchüttet, in einer Meeresfluth verſchlun- gen werden; wenn mächtige Reiche durch Kriege verwüſtet ſind; wenn Seuchen und Hungersnoth hereinbrechen; wenn ein großer Regent, Geſetzge- ber, Weiſer, ſtirbt: — dieſe Begebenheiten nennen wir groß. Ob ein Wurm unter unſern Füſ- ſen im Staube zerdrückt wird; ob ein Saamenkorn mehr oder weniger Früchte trägt; ob ein Verlaßner, der keinen Freund hat, ein abgelebter Greis an dem die Welt nichts zu verlieren ſcheint, ein Siech- hafter, der Jahrelang ſchon auf dem Bette der Schmerzen geſchmachtet hat, einen Tag früher oder ſpäter ſtirbt: — das ſcheinen uns zwar oft unbedeutende Kleinigkeiten. — Und dennoch: — was
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Die alle trägt Gott, nun ſchon ſo viel Jahrtaufende,
mit eben dem Allmachtsworte, mit dem er ſie aus
dem Nichts hervorrief; zählt jeden Staub, den ſie
enthalten, und jeden Blutstropfen eines Wurms,
wie die Gedanken und Thaten des erhabenſten Gei-
ſtes! Scheint das zu viel geſagt? das ſeiner Ma-
jeſtät unwürdig? O, wie ſehr iſt doch das,
was wir groß und ehrwürdig nennen, von dem,
was in der That groß und ehrwürdig iſt, unter-
ſchieden! — Wenn vor unſern Augen eine gan-
ze Welt untergienge; wenn die Sonne aus ihrer
Bahn wiche; wenn volkreiche blühende Länder im
Erdbeben verſchüttet, in einer Meeresfluth verſchlun-
gen werden; wenn mächtige Reiche durch Kriege
verwüſtet ſind; wenn Seuchen und Hungersnoth
hereinbrechen; wenn ein großer Regent, Geſetzge-
ber, Weiſer, ſtirbt: — dieſe Begebenheiten
nennen wir groß. Ob ein Wurm unter unſern Füſ-
ſen im Staube zerdrückt wird; ob ein Saamenkorn
mehr oder weniger Früchte trägt; ob ein Verlaßner,
der keinen Freund hat, ein abgelebter Greis an
dem die Welt nichts zu verlieren ſcheint, ein Siech-
hafter, der Jahrelang ſchon auf dem Bette der
Schmerzen geſchmachtet hat, einen Tag früher
oder ſpäter ſtirbt: — das ſcheinen uns zwar oft
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