Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.chen Gedanken? wenn gleich nicht alle sich der stillen Aufmerksamkeit, dem sorgfältigen Nach- denken und den rührenden Empfindungen überlas- sen, welche diese wichtige Veränderung in ihnen hervorbringen könnte und sollte. Allen ist es doch an sich selbst merkwürdig: daß sie nun so viel Tage alter geworden sind: der Jüngling freut sich, so viel weiter sich von dem kindischen Alter entfernt zu haben: der reifere Mann weiß es doch wenigstens, daß die Zeit zur Ausführung seiner irdischen Absichten wieder um ein Großes abgekürzt ist: der Greis fühlt an dem heutigen Neujahrsmorgen, die Schwachheiten des Alters schon zahlreicher und drückender, als am leztver- floßnen: der Gesunde und Fröhliche denkt vielleicht mit geheimer Furcht an die beträchtliche Vermin- derung seiner irdischen Freudenzeit; der Krän- kelnde und Leidende ist dagegen froh, daß das verlaufne Jahr, ihn dem Ziel seines Duldens näher gebracht hat. -- Jedem bringt doch wohl dieser Neujahrsmorgen irgend eine oder die andre nicht unwichtige Veränderung seiner äußern Um- stände, aus dem verfloßnen Jahre, ins Gedächt- niß. Heute rinnt vielleicht noch hie und da in der Stille, die Thräne des Kummers vom Auge einer verlaßnen Wittwe, einer einsamen Mutter, ei-
chen Gedanken? wenn gleich nicht alle ſich der ſtillen Aufmerkſamkeit, dem ſorgfältigen Nach- denken und den rührenden Empfindungen überlaſ- ſen, welche dieſe wichtige Veränderung in ihnen hervorbringen könnte und ſollte. Allen iſt es doch an ſich ſelbſt merkwürdig: daß ſie nun ſo viel Tage álter geworden ſind: der Jüngling freut ſich, ſo viel weiter ſich von dem kindiſchen Alter entfernt zu haben: der reifere Mann weiß es doch wenigſtens, daß die Zeit zur Ausführung ſeiner irdiſchen Abſichten wieder um ein Großes abgekürzt iſt: der Greis fühlt an dem heutigen Neujahrsmorgen, die Schwachheiten des Alters ſchon zahlreicher und drückender, als am leztver- floßnen: der Geſunde und Fröhliche denkt vielleicht mit geheimer Furcht an die beträchtliche Vermin- derung ſeiner irdiſchen Freudenzeit; der Krän- kelnde und Leidende iſt dagegen froh, daß das verlaufne Jahr, ihn dem Ziel ſeines Duldens näher gebracht hat. — Jedem bringt doch wohl dieſer Neujahrsmorgen irgend eine oder die andre nicht unwichtige Veränderung ſeiner äußern Um- ſtände, aus dem verfloßnen Jahre, ins Gedächt- niß. Heute rinnt vielleicht noch hie und da in der Stille, die Thräne des Kummers vom Auge einer verlaßnen Wittwe, einer einſamen Mutter, ei-
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denken und den rührenden Empfindungen überlaſ-
ſen, welche dieſe wichtige Veränderung in ihnen
hervorbringen könnte und ſollte. Allen iſt es
doch an ſich ſelbſt merkwürdig: daß ſie nun ſo
viel Tage álter geworden ſind: der Jüngling
freut ſich, ſo viel weiter ſich von dem kindiſchen
Alter entfernt zu haben: der reifere Mann weiß
es doch wenigſtens, daß die Zeit zur Ausführung
ſeiner irdiſchen Abſichten wieder um ein Großes
abgekürzt iſt: der Greis fühlt an dem heutigen
Neujahrsmorgen, die Schwachheiten des Alters
ſchon zahlreicher und drückender, als am leztver-
floßnen: der Geſunde und Fröhliche denkt vielleicht
mit geheimer Furcht an die beträchtliche Vermin-
derung ſeiner irdiſchen Freudenzeit; der Krän-
kelnde und Leidende iſt dagegen froh, daß das
verlaufne Jahr, ihn dem Ziel ſeines Duldens
näher gebracht hat. — Jedem bringt doch wohl
dieſer Neujahrsmorgen irgend eine oder die andre
nicht unwichtige Veränderung ſeiner äußern Um-
ſtände, aus dem verfloßnen Jahre, ins Gedächt-
niß. Heute rinnt vielleicht noch hie und da in
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