Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.liche gränzenlose Ewigkeit, mit allen ihren ver- schiednen Auftritten, übersehn können; als ich beim Erwachen am heutigen Morgen, die be- sondern Vorfallenheiten des angetretenen Jahres im voraus wißen konnte. Wie der Leidende, dem der heutige Morgen in seiner armseligen ver- fallnen Hütte, im Kerker, auf seinem Kran- kenlager, oder unter andern leidenvollen Umstän- den aufgeht, wohl mit thränenvollen Seufzern seine Errettung wünscht, und dennoch voll ban- ger Schwermuth meistentheils nur neue Erfah- rungen des Leidens ahndet; und neben ihm, der Glückliche, im Besitz der Freuden des Ueberflus- ses, der Ehre, der Gesundheit, voll froher Hoff- nung künftiger größrer Freuden, die erste Mor- gensonne begrüßt: so werden an jenem ewigen Morgen, die Unglücklichen, peinvoll und trost- los, dem gewißen, und dennoch unübersehbaren Jammer, der sie erwartet, entgegensehn; wenn an ihrer Seite, die erwachten Seligen, schon durch die zuversichtliche Hoffnung namenloser ihnen bevorstehender Freuden, unaussprechlich entzückt werden. Wohin ich mich heute wende, da seh ich froh
liche gränzenloſe Ewigkeit, mit allen ihren ver- ſchiednen Auftritten, überſehn können; als ich beim Erwachen am heutigen Morgen, die be- ſondern Vorfallenheiten des angetretenen Jahres im voraus wißen konnte. Wie der Leidende, dem der heutige Morgen in ſeiner armſeligen ver- fallnen Hütte, im Kerker, auf ſeinem Kran- kenlager, oder unter andern leidenvollen Umſtän- den aufgeht, wohl mit thränenvollen Seufzern ſeine Errettung wünſcht, und dennoch voll ban- ger Schwermuth meiſtentheils nur neue Erfah- rungen des Leidens ahndet; und neben ihm, der Glückliche, im Beſitz der Freuden des Ueberfluſ- ſes, der Ehre, der Geſundheit, voll froher Hoff- nung künftiger größrer Freuden, die erſte Mor- genſonne begrüßt: ſo werden an jenem ewigen Morgen, die Unglücklichen, peinvoll und troſt- los, dem gewißen, und dennoch unüberſehbaren Jammer, der ſie erwartet, entgegenſehn; wenn an ihrer Seite, die erwachten Seligen, ſchon durch die zuverſichtliche Hoffnung namenloſer ihnen bevorſtehender Freuden, unausſprechlich entzückt werden. Wohin ich mich heute wende, da ſeh ich froh
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liche gränzenloſe Ewigkeit, mit allen ihren ver-
ſchiednen Auftritten, überſehn können; als ich
beim Erwachen am heutigen Morgen, die be-
ſondern Vorfallenheiten des angetretenen Jahres
im voraus wißen konnte. Wie der Leidende,
dem der heutige Morgen in ſeiner armſeligen ver-
fallnen Hütte, im Kerker, auf ſeinem Kran-
kenlager, oder unter andern leidenvollen Umſtän-
den aufgeht, wohl mit thränenvollen Seufzern
ſeine Errettung wünſcht, und dennoch voll ban-
ger Schwermuth meiſtentheils nur neue Erfah-
rungen des Leidens ahndet; und neben ihm, der
Glückliche, im Beſitz der Freuden des Ueberfluſ-
ſes, der Ehre, der Geſundheit, voll froher Hoff-
nung künftiger größrer Freuden, die erſte Mor-
genſonne begrüßt: ſo werden an jenem ewigen
Morgen, die Unglücklichen, peinvoll und troſt-
los, dem gewißen, und dennoch unüberſehbaren
Jammer, der ſie erwartet, entgegenſehn; wenn
an ihrer Seite, die erwachten Seligen, ſchon
durch die zuverſichtliche Hoffnung namenloſer
ihnen bevorſtehender Freuden, unausſprechlich
entzückt werden.
Wohin ich mich heute wende, da ſeh ich
Menſchen, wenigſtens dem äuſſern Scheine nach,
froh
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Zitationshilfe: | Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/406>, abgerufen am 16.02.2025. |