Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Die psychischen Gebilde.
Als letzte Gefühlscomponenten ergeben sich hierbei stets
einfache sinnliche Gefühle; doch können einzelne der letz-
teren zunächst eine partielle Resultante bilden, die dann als
zusammengesetzte Componente in das ganze Gefühl eingeht.

Jedes zusammengesetzte Gefühl lässt sich somit zer-
legen: 1) in ein aus der Verbindung aller seiner Bestand-
theile resultirendes Totalgefühl, und 2) in die einzelnen
Partialgefühle, welche die Componenten dieses Totalge-
fühls bilden, und welche wieder in Partialgefühle verschie-
dener Ordnung zerfallen, je nachdem sie aus einfachen sinn-
lichen Gefühlen bestehen (Partialgefühle erster Ordnung oder
selbst schon Totalgefühle sind Partialgefühle zweiter und
höherer Ordnung). Wo Partialgefühle höherer Ordnung vor-
kommen, können dann außerdem mehrseitige Verbindungen
oder Verwebungen der in sie eingehenden Elemente statt-
finden, indem das nämliche Partialgefühl niederer Ordnung
gleichzeitig in mehrere Partialgefühle höherer Ordnung ein-
geht. Durch solche Verwebungen kann der Aufbau des
Totalgefühls ein äußerst verwickelter werden; und zugleich
kann dasselbe trotz der unveränderten Beschaffenheit seiner
Elemente einen variabeln Charakter annehmen, je nachdem
die eine oder andere der möglichen Verwebungen der Par-
tialgefühle vorwiegt.

3a. So entspricht z. B. dem musikalischen Dreiklang c e g
ein Totalgefühl der Harmonie, dessen letzte Elemente als Partial-
gefühle erster Ordnung die den einzelnen Klängen c, e und g
entsprechenden Klanggefühle sind. Zwischen ihnen und dem resul-
tirenden Totalgefühl stehen aber als Partialgefühle zweiter Ord-
nung die drei harmonischen Zweiklanggefühle c e, e g und c g,
und je nachdem entweder eines derselben überwiegt oder sämmt-
liche in annähernd gleicher Stärke auftreten, hat demnach auch
der Charakter des Totalgefühls in diesem Fall eine vierfach ver-
schiedene Nuance. Ein Anlass zum Ueberwiegen irgend eines
complexen Partialgefühls kann bald in der größeren Intensität

II. Die psychischen Gebilde.
Als letzte Gefühlscomponenten ergeben sich hierbei stets
einfache sinnliche Gefühle; doch können einzelne der letz-
teren zunächst eine partielle Resultante bilden, die dann als
zusammengesetzte Componente in das ganze Gefühl eingeht.

Jedes zusammengesetzte Gefühl lässt sich somit zer-
legen: 1) in ein aus der Verbindung aller seiner Bestand-
theile resultirendes Totalgefühl, und 2) in die einzelnen
Partialgefühle, welche die Componenten dieses Totalge-
fühls bilden, und welche wieder in Partialgefühle verschie-
dener Ordnung zerfallen, je nachdem sie aus einfachen sinn-
lichen Gefühlen bestehen (Partialgefühle erster Ordnung oder
selbst schon Totalgefühle sind Partialgefühle zweiter und
höherer Ordnung). Wo Partialgefühle höherer Ordnung vor-
kommen, können dann außerdem mehrseitige Verbindungen
oder Verwebungen der in sie eingehenden Elemente statt-
finden, indem das nämliche Partialgefühl niederer Ordnung
gleichzeitig in mehrere Partialgefühle höherer Ordnung ein-
geht. Durch solche Verwebungen kann der Aufbau des
Totalgefühls ein äußerst verwickelter werden; und zugleich
kann dasselbe trotz der unveränderten Beschaffenheit seiner
Elemente einen variabeln Charakter annehmen, je nachdem
die eine oder andere der möglichen Verwebungen der Par-
tialgefühle vorwiegt.

3a. So entspricht z. B. dem musikalischen Dreiklang c e g
ein Totalgefühl der Harmonie, dessen letzte Elemente als Partial-
gefühle erster Ordnung die den einzelnen Klängen c, e und g
entsprechenden Klanggefühle sind. Zwischen ihnen und dem resul-
tirenden Totalgefühl stehen aber als Partialgefühle zweiter Ord-
nung die drei harmonischen Zweiklanggefühle c e, e g und c g,
und je nachdem entweder eines derselben überwiegt oder sämmt-
liche in annähernd gleicher Stärke auftreten, hat demnach auch
der Charakter des Totalgefühls in diesem Fall eine vierfach ver-
schiedene Nuance. Ein Anlass zum Ueberwiegen irgend eines
complexen Partialgefühls kann bald in der größeren Intensität

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0204" n="188"/><fw place="top" type="header">II. Die psychischen Gebilde.</fw><lb/>
Als letzte Gefühlscomponenten ergeben sich hierbei stets<lb/>
einfache sinnliche Gefühle; doch können einzelne der letz-<lb/>
teren zunächst eine partielle Resultante bilden, die dann als<lb/>
zusammengesetzte Componente in das ganze Gefühl eingeht.</p><lb/>
          <p>Jedes zusammengesetzte Gefühl lässt sich somit zer-<lb/>
legen: 1) in ein aus der Verbindung aller seiner Bestand-<lb/>
theile resultirendes <hi rendition="#g">Totalgefühl</hi>, und 2) in die einzelnen<lb/><hi rendition="#g">Partialgefühle</hi>, welche die Componenten dieses Totalge-<lb/>
fühls bilden, und welche wieder in Partialgefühle verschie-<lb/>
dener Ordnung zerfallen, je nachdem sie aus einfachen sinn-<lb/>
lichen Gefühlen bestehen (Partialgefühle erster Ordnung oder<lb/>
selbst schon Totalgefühle sind Partialgefühle zweiter und<lb/>
höherer Ordnung). Wo Partialgefühle höherer Ordnung vor-<lb/>
kommen, können dann außerdem mehrseitige Verbindungen<lb/>
oder <hi rendition="#g">Verwebungen</hi> der in sie eingehenden Elemente statt-<lb/>
finden, indem das nämliche Partialgefühl niederer Ordnung<lb/>
gleichzeitig in mehrere Partialgefühle höherer Ordnung ein-<lb/>
geht. Durch solche Verwebungen kann der Aufbau des<lb/>
Totalgefühls ein äußerst verwickelter werden; und zugleich<lb/>
kann dasselbe trotz der unveränderten Beschaffenheit seiner<lb/>
Elemente einen variabeln Charakter annehmen, je nachdem<lb/>
die eine oder andere der möglichen Verwebungen der Par-<lb/>
tialgefühle vorwiegt.</p><lb/>
          <p>3a. So entspricht z. B. dem musikalischen Dreiklang <hi rendition="#i">c e g</hi><lb/>
ein Totalgefühl der Harmonie, dessen letzte Elemente als Partial-<lb/>
gefühle erster Ordnung die den einzelnen Klängen <hi rendition="#i">c, e</hi> und <hi rendition="#i">g</hi><lb/>
entsprechenden Klanggefühle sind. Zwischen ihnen und dem resul-<lb/>
tirenden Totalgefühl stehen aber als Partialgefühle zweiter Ord-<lb/>
nung die drei harmonischen Zweiklanggefühle <hi rendition="#i">c e, e g</hi> und <hi rendition="#i">c g</hi>,<lb/>
und je nachdem entweder eines derselben überwiegt oder sämmt-<lb/>
liche in annähernd gleicher Stärke auftreten, hat demnach auch<lb/>
der Charakter des Totalgefühls in diesem Fall eine vierfach ver-<lb/>
schiedene Nuance. Ein Anlass zum Ueberwiegen irgend eines<lb/>
complexen Partialgefühls kann bald in der größeren Intensität<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0204] II. Die psychischen Gebilde. Als letzte Gefühlscomponenten ergeben sich hierbei stets einfache sinnliche Gefühle; doch können einzelne der letz- teren zunächst eine partielle Resultante bilden, die dann als zusammengesetzte Componente in das ganze Gefühl eingeht. Jedes zusammengesetzte Gefühl lässt sich somit zer- legen: 1) in ein aus der Verbindung aller seiner Bestand- theile resultirendes Totalgefühl, und 2) in die einzelnen Partialgefühle, welche die Componenten dieses Totalge- fühls bilden, und welche wieder in Partialgefühle verschie- dener Ordnung zerfallen, je nachdem sie aus einfachen sinn- lichen Gefühlen bestehen (Partialgefühle erster Ordnung oder selbst schon Totalgefühle sind Partialgefühle zweiter und höherer Ordnung). Wo Partialgefühle höherer Ordnung vor- kommen, können dann außerdem mehrseitige Verbindungen oder Verwebungen der in sie eingehenden Elemente statt- finden, indem das nämliche Partialgefühl niederer Ordnung gleichzeitig in mehrere Partialgefühle höherer Ordnung ein- geht. Durch solche Verwebungen kann der Aufbau des Totalgefühls ein äußerst verwickelter werden; und zugleich kann dasselbe trotz der unveränderten Beschaffenheit seiner Elemente einen variabeln Charakter annehmen, je nachdem die eine oder andere der möglichen Verwebungen der Par- tialgefühle vorwiegt. 3a. So entspricht z. B. dem musikalischen Dreiklang c e g ein Totalgefühl der Harmonie, dessen letzte Elemente als Partial- gefühle erster Ordnung die den einzelnen Klängen c, e und g entsprechenden Klanggefühle sind. Zwischen ihnen und dem resul- tirenden Totalgefühl stehen aber als Partialgefühle zweiter Ord- nung die drei harmonischen Zweiklanggefühle c e, e g und c g, und je nachdem entweder eines derselben überwiegt oder sämmt- liche in annähernd gleicher Stärke auftreten, hat demnach auch der Charakter des Totalgefühls in diesem Fall eine vierfach ver- schiedene Nuance. Ein Anlass zum Ueberwiegen irgend eines complexen Partialgefühls kann bald in der größeren Intensität

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/204
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/204>, abgerufen am 09.11.2024.