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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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II. Die psychischen Gebilde.
und sobald die durch rhythmische Eindrücke erzeugten Ge-
fühle irgend lebhafter sind, wie das namentlich dann statt-
zufinden pflegt, wenn sich der Rhythmus noch mit einem
das Gefühl stark erregenden Empfindungsinhalte verbindet,
so werden die rhythmischen Gefühle thatsächlich zu Affecten.
Darum bilden die rhythmischen Gefühle in der Musik wie
in der Poesie wichtige Hülfsmittel, um Affecte zu schildern,
und um solche in dem Hörer hervorzurufen.

2. Die Sprache hat die verschiedenen Affecte mit Namen
belegt, die, gerade so wie die Bezeichnungen der Gefühle,
nicht individuelle Vorgänge, sondern Gattungsbegriffe be-
deuten, unter deren jedem sich eine Fülle einzelner Ge-
müthsbewegungen nach gewissen gemeinsamen Merkmalen
zusammenfassen lässt. Affecte wie die der Freude, der
Hoffnung, der Sorge, des Kummers, des Zornes u. s. w. sind
nicht bloß in jedem einzelnen Fall, wo sie vorkommen, von
eigenthümlichen Vorstellungsinhalten begleitet, sondern auch
ihre Gefühlsinhalte und selbst ihre Verlaufsweisen können
von Fall zu Fall mannigfach wechseln. Je zusammen-
gesetzter ein psychischer Vorgang ist, um so eigenartiger
gestaltet er sich im einzelnen: ein individueller Affect wird
daher noch weniger als ein individuelles Gefühl jemals in
identischer Form sich wiederholen. Jene allgemeinen Affect-
bezeichnungen haben also höchstens die Bedeutung, dass sie
gewisse typische Verlaufsformen von verwandtem
Gefühlsinhalte
zusammenfassen.

3. Nicht jeder irgendwie zusammenhängende Verlauf
von Gefühlen ist nun aber ein Affect und kann als solcher
einer der durch die Sprache fixirten typischen Formen
subsumirt werden. Auch der Affect besitzt vielmehr den
Charakter eines einheitlichen Ganzen, das sich von dem
zusammengesetzten Gefühl nur durch die zwei Merkmale
unterscheidet, dass es einen bestimmten zeitlichen Verlauf

II. Die psychischen Gebilde.
und sobald die durch rhythmische Eindrücke erzeugten Ge-
fühle irgend lebhafter sind, wie das namentlich dann statt-
zufinden pflegt, wenn sich der Rhythmus noch mit einem
das Gefühl stark erregenden Empfindungsinhalte verbindet,
so werden die rhythmischen Gefühle thatsächlich zu Affecten.
Darum bilden die rhythmischen Gefühle in der Musik wie
in der Poesie wichtige Hülfsmittel, um Affecte zu schildern,
und um solche in dem Hörer hervorzurufen.

2. Die Sprache hat die verschiedenen Affecte mit Namen
belegt, die, gerade so wie die Bezeichnungen der Gefühle,
nicht individuelle Vorgänge, sondern Gattungsbegriffe be-
deuten, unter deren jedem sich eine Fülle einzelner Ge-
müthsbewegungen nach gewissen gemeinsamen Merkmalen
zusammenfassen lässt. Affecte wie die der Freude, der
Hoffnung, der Sorge, des Kummers, des Zornes u. s. w. sind
nicht bloß in jedem einzelnen Fall, wo sie vorkommen, von
eigenthümlichen Vorstellungsinhalten begleitet, sondern auch
ihre Gefühlsinhalte und selbst ihre Verlaufsweisen können
von Fall zu Fall mannigfach wechseln. Je zusammen-
gesetzter ein psychischer Vorgang ist, um so eigenartiger
gestaltet er sich im einzelnen: ein individueller Affect wird
daher noch weniger als ein individuelles Gefühl jemals in
identischer Form sich wiederholen. Jene allgemeinen Affect-
bezeichnungen haben also höchstens die Bedeutung, dass sie
gewisse typische Verlaufsformen von verwandtem
Gefühlsinhalte
zusammenfassen.

3. Nicht jeder irgendwie zusammenhängende Verlauf
von Gefühlen ist nun aber ein Affect und kann als solcher
einer der durch die Sprache fixirten typischen Formen
subsumirt werden. Auch der Affect besitzt vielmehr den
Charakter eines einheitlichen Ganzen, das sich von dem
zusammengesetzten Gefühl nur durch die zwei Merkmale
unterscheidet, dass es einen bestimmten zeitlichen Verlauf

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[200/0216] II. Die psychischen Gebilde. und sobald die durch rhythmische Eindrücke erzeugten Ge- fühle irgend lebhafter sind, wie das namentlich dann statt- zufinden pflegt, wenn sich der Rhythmus noch mit einem das Gefühl stark erregenden Empfindungsinhalte verbindet, so werden die rhythmischen Gefühle thatsächlich zu Affecten. Darum bilden die rhythmischen Gefühle in der Musik wie in der Poesie wichtige Hülfsmittel, um Affecte zu schildern, und um solche in dem Hörer hervorzurufen. 2. Die Sprache hat die verschiedenen Affecte mit Namen belegt, die, gerade so wie die Bezeichnungen der Gefühle, nicht individuelle Vorgänge, sondern Gattungsbegriffe be- deuten, unter deren jedem sich eine Fülle einzelner Ge- müthsbewegungen nach gewissen gemeinsamen Merkmalen zusammenfassen lässt. Affecte wie die der Freude, der Hoffnung, der Sorge, des Kummers, des Zornes u. s. w. sind nicht bloß in jedem einzelnen Fall, wo sie vorkommen, von eigenthümlichen Vorstellungsinhalten begleitet, sondern auch ihre Gefühlsinhalte und selbst ihre Verlaufsweisen können von Fall zu Fall mannigfach wechseln. Je zusammen- gesetzter ein psychischer Vorgang ist, um so eigenartiger gestaltet er sich im einzelnen: ein individueller Affect wird daher noch weniger als ein individuelles Gefühl jemals in identischer Form sich wiederholen. Jene allgemeinen Affect- bezeichnungen haben also höchstens die Bedeutung, dass sie gewisse typische Verlaufsformen von verwandtem Gefühlsinhalte zusammenfassen. 3. Nicht jeder irgendwie zusammenhängende Verlauf von Gefühlen ist nun aber ein Affect und kann als solcher einer der durch die Sprache fixirten typischen Formen subsumirt werden. Auch der Affect besitzt vielmehr den Charakter eines einheitlichen Ganzen, das sich von dem zusammengesetzten Gefühl nur durch die zwei Merkmale unterscheidet, dass es einen bestimmten zeitlichen Verlauf

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/216>, abgerufen am 09.11.2024.