Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 14. Die Willensvorgänge.
der Willenshandlungen zu. Dies geht schon daraus hervor,
dass die Gefühle integrirende Bestandtheile der Willens-
vorgänge selbst sind, während die Vorstellungen nur in-
direct, nämlich durch ihre Verbindungen mit den Gefühlen,
dieselben beeinflussen können. Die Annahme eines aus rein
intellectuellen Erwägungen entspringenden Wollens, einer
Willensentscheidung im Widerspruch mit den in den Ge-
fühlen zum Ausdruck kommenden Neigungen u. s. w. schließt
daher einen psychologischen Widerspruch in sich. Sie be-
ruht auf dem abstracten Begriff eines transcendenten, von
den realen psychischen Willensvorgängen absolut verschie-
denen Willens.

5. In der Verbindung einer Mannigfaltigkeit von Motiven,
d. h. von Vorstellungen und Gefühlen, die aus einem zu-
sammengesetzten Affectverlauf als die für den Abschluss
einer Handlung maßgebenden hervortreten, liegt nun die
wesentlichste Bedingung einerseits für die Entwicklung
des Willens
, anderseits für die Unterscheidung der ein-
zelnen Formen von Willenshandlungen
.

Der einfachste Fall eines Willensvorganges liegt dann
vor, wenn innerhalb eines Affectes von geeigneter Be-
schaffenheit ein einziges Gefühl mit begleitender Vorstellung
zum Motiv wird und mit einer ihm entsprechenden äußeren
Bewegung den Vorgang zum Abschlusse bringt. Solche von
einem Motiv bestimmte Willensvorgänge können wir ein-
fache Willensvorgänge
nennen. Die Bewegungen, in
denen sie endigen, werden häufig auch als Triebhand-
lungen
bezeichnet, ohne dass jedoch in dem populären Be-
griff des Triebes diese Unterscheidung nach der Einfachheit
des Willensmotivs zureichend durchgeführt wäre, da sich
hier meist noch ein anderer Gesichtspunkt, nämlich die Be-
schaffenheit der als Triebfedern wirkenden Gefühle, ein-
mengt. Nach diesem hat man alle Handlungen, die bloß

§ 14. Die Willensvorgänge.
der Willenshandlungen zu. Dies geht schon daraus hervor,
dass die Gefühle integrirende Bestandtheile der Willens-
vorgänge selbst sind, während die Vorstellungen nur in-
direct, nämlich durch ihre Verbindungen mit den Gefühlen,
dieselben beeinflussen können. Die Annahme eines aus rein
intellectuellen Erwägungen entspringenden Wollens, einer
Willensentscheidung im Widerspruch mit den in den Ge-
fühlen zum Ausdruck kommenden Neigungen u. s. w. schließt
daher einen psychologischen Widerspruch in sich. Sie be-
ruht auf dem abstracten Begriff eines transcendenten, von
den realen psychischen Willensvorgängen absolut verschie-
denen Willens.

5. In der Verbindung einer Mannigfaltigkeit von Motiven,
d. h. von Vorstellungen und Gefühlen, die aus einem zu-
sammengesetzten Affectverlauf als die für den Abschluss
einer Handlung maßgebenden hervortreten, liegt nun die
wesentlichste Bedingung einerseits für die Entwicklung
des Willens
, anderseits für die Unterscheidung der ein-
zelnen Formen von Willenshandlungen
.

Der einfachste Fall eines Willensvorganges liegt dann
vor, wenn innerhalb eines Affectes von geeigneter Be-
schaffenheit ein einziges Gefühl mit begleitender Vorstellung
zum Motiv wird und mit einer ihm entsprechenden äußeren
Bewegung den Vorgang zum Abschlusse bringt. Solche von
einem Motiv bestimmte Willensvorgänge können wir ein-
fache Willensvorgänge
nennen. Die Bewegungen, in
denen sie endigen, werden häufig auch als Triebhand-
lungen
bezeichnet, ohne dass jedoch in dem populären Be-
griff des Triebes diese Unterscheidung nach der Einfachheit
des Willensmotivs zureichend durchgeführt wäre, da sich
hier meist noch ein anderer Gesichtspunkt, nämlich die Be-
schaffenheit der als Triebfedern wirkenden Gefühle, ein-
mengt. Nach diesem hat man alle Handlungen, die bloß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0235" n="219"/><fw place="top" type="header">§ 14. Die Willensvorgänge.</fw><lb/>
der Willenshandlungen zu. Dies geht schon daraus hervor,<lb/>
dass die Gefühle integrirende Bestandtheile der Willens-<lb/>
vorgänge selbst sind, während die Vorstellungen nur in-<lb/>
direct, nämlich durch ihre Verbindungen mit den Gefühlen,<lb/>
dieselben beeinflussen können. Die Annahme eines aus rein<lb/>
intellectuellen Erwägungen entspringenden Wollens, einer<lb/>
Willensentscheidung im Widerspruch mit den in den Ge-<lb/>
fühlen zum Ausdruck kommenden Neigungen u. s. w. schließt<lb/>
daher einen psychologischen Widerspruch in sich. Sie be-<lb/>
ruht auf dem abstracten Begriff eines transcendenten, von<lb/>
den realen psychischen Willensvorgängen absolut verschie-<lb/>
denen Willens.</p><lb/>
          <p>5. In der Verbindung einer Mannigfaltigkeit von Motiven,<lb/>
d. h. von Vorstellungen und Gefühlen, die aus einem zu-<lb/>
sammengesetzten Affectverlauf als die für den Abschluss<lb/>
einer Handlung maßgebenden hervortreten, liegt nun die<lb/>
wesentlichste Bedingung einerseits für die <hi rendition="#g">Entwicklung<lb/>
des Willens</hi>, anderseits für die Unterscheidung der <hi rendition="#g">ein-<lb/>
zelnen Formen von Willenshandlungen</hi>.</p><lb/>
          <p>Der einfachste Fall eines Willensvorganges liegt dann<lb/>
vor, wenn innerhalb eines Affectes von geeigneter Be-<lb/>
schaffenheit ein einziges Gefühl mit begleitender Vorstellung<lb/>
zum Motiv wird und mit einer ihm entsprechenden äußeren<lb/>
Bewegung den Vorgang zum Abschlusse bringt. Solche von<lb/><hi rendition="#g">einem</hi> Motiv bestimmte Willensvorgänge können wir <hi rendition="#g">ein-<lb/>
fache Willensvorgänge</hi> nennen. Die Bewegungen, in<lb/>
denen sie endigen, werden häufig auch als <hi rendition="#g">Triebhand-<lb/>
lungen</hi> bezeichnet, ohne dass jedoch in dem populären Be-<lb/>
griff des Triebes diese Unterscheidung nach der Einfachheit<lb/>
des Willensmotivs zureichend durchgeführt wäre, da sich<lb/>
hier meist noch ein anderer Gesichtspunkt, nämlich die Be-<lb/>
schaffenheit der als Triebfedern wirkenden Gefühle, ein-<lb/>
mengt. Nach diesem hat man alle Handlungen, die bloß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0235] § 14. Die Willensvorgänge. der Willenshandlungen zu. Dies geht schon daraus hervor, dass die Gefühle integrirende Bestandtheile der Willens- vorgänge selbst sind, während die Vorstellungen nur in- direct, nämlich durch ihre Verbindungen mit den Gefühlen, dieselben beeinflussen können. Die Annahme eines aus rein intellectuellen Erwägungen entspringenden Wollens, einer Willensentscheidung im Widerspruch mit den in den Ge- fühlen zum Ausdruck kommenden Neigungen u. s. w. schließt daher einen psychologischen Widerspruch in sich. Sie be- ruht auf dem abstracten Begriff eines transcendenten, von den realen psychischen Willensvorgängen absolut verschie- denen Willens. 5. In der Verbindung einer Mannigfaltigkeit von Motiven, d. h. von Vorstellungen und Gefühlen, die aus einem zu- sammengesetzten Affectverlauf als die für den Abschluss einer Handlung maßgebenden hervortreten, liegt nun die wesentlichste Bedingung einerseits für die Entwicklung des Willens, anderseits für die Unterscheidung der ein- zelnen Formen von Willenshandlungen. Der einfachste Fall eines Willensvorganges liegt dann vor, wenn innerhalb eines Affectes von geeigneter Be- schaffenheit ein einziges Gefühl mit begleitender Vorstellung zum Motiv wird und mit einer ihm entsprechenden äußeren Bewegung den Vorgang zum Abschlusse bringt. Solche von einem Motiv bestimmte Willensvorgänge können wir ein- fache Willensvorgänge nennen. Die Bewegungen, in denen sie endigen, werden häufig auch als Triebhand- lungen bezeichnet, ohne dass jedoch in dem populären Be- griff des Triebes diese Unterscheidung nach der Einfachheit des Willensmotivs zureichend durchgeführt wäre, da sich hier meist noch ein anderer Gesichtspunkt, nämlich die Be- schaffenheit der als Triebfedern wirkenden Gefühle, ein- mengt. Nach diesem hat man alle Handlungen, die bloß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/235
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/235>, abgerufen am 24.11.2024.