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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 18. Psychische Zustände.
das Bewusstsein im allgemeimen ein zwischen Wachen und
Schlaf in der Mitte stehendes Verhalten darbietet. Die
hauptsächlichste Entstehungsursache der Hypnose ist die
Suggestion, d. h. die Mittheilung einer gefühlsstarken
Vorstellung, welche in der Regel von einer fremden Per-
sönlichkeit in Form eines Befehles mitgetheilt wird (Fremd-
suggestion), zuweilen aber auch von dem Hypnotisirten selbst
hervorgebracht werden kann (Autosuggestion). Der Befehl
oder Vorsatz zu schlafen, bestimmte Bewegungen auszufüh-
ren, nicht vorhandene Gegenstände zu sehen oder vorhan-
dene nicht zu sehen u. dgl. sind die häufigsten derartigen
Suggestionen. Gleichförmige Sinnesreize, namentlich Tast-
reize, wirken unterstützend. Außerdem ist der Eintritt der
Hypnose an eine bestimmte, in ihrer Natur noch unbekannte
Disposition des Nervensystems gebunden, die aber durch
wiederholtes Hypnotisiren gesteigert wird.

Das nächste Symptom der Hypnose besteht in einer
mehr oder minder vollständigen Willenshemmung, welche
zugleich mit einer einseitigen Richtung der Aufmerksamkeit,
meist auf die vom Hypnotisator gegebenen Befehle, ver-
bunden ist (Befehlsautomatie). Der Hypnotisirte schläft
nicht nur auf Befehl, sondern behält auch in diesem Zu-
stande jede noch so gezwungene Stellung bei, die man ihm
gibt (hypnotische Katalepsie). Steigert sich der Zustand,
so führt der Hypnotische ihm aufgetragene Bewegungen
anscheinend automatisch aus und gibt zu erkennen, dass er
Vorstellungen, die ihm suggerirt werden, hallucinatorisch für
wirkliche Gegenstände hält (Somnambulie). In diesem Zu-
stand der Somnambulie können endlich motorische oder
sensorische Suggestionen für den Eintritt des Erwachens
oder sogar für einen bestimmten späteren Zeitpunkt (Ter-
minsuggestionen) gegeben werden. Die solche "posthypno-
tische Wirkungen" begleitenden Erscheinungen machen es

Wundt, Psychologie. 21

§ 18. Psychische Zustände.
das Bewusstsein im allgemeimen ein zwischen Wachen und
Schlaf in der Mitte stehendes Verhalten darbietet. Die
hauptsächlichste Entstehungsursache der Hypnose ist die
Suggestion, d. h. die Mittheilung einer gefühlsstarken
Vorstellung, welche in der Regel von einer fremden Per-
sönlichkeit in Form eines Befehles mitgetheilt wird (Fremd-
suggestion), zuweilen aber auch von dem Hypnotisirten selbst
hervorgebracht werden kann (Autosuggestion). Der Befehl
oder Vorsatz zu schlafen, bestimmte Bewegungen auszufüh-
ren, nicht vorhandene Gegenstände zu sehen oder vorhan-
dene nicht zu sehen u. dgl. sind die häufigsten derartigen
Suggestionen. Gleichförmige Sinnesreize, namentlich Tast-
reize, wirken unterstützend. Außerdem ist der Eintritt der
Hypnose an eine bestimmte, in ihrer Natur noch unbekannte
Disposition des Nervensystems gebunden, die aber durch
wiederholtes Hypnotisiren gesteigert wird.

Das nächste Symptom der Hypnose besteht in einer
mehr oder minder vollständigen Willenshemmung, welche
zugleich mit einer einseitigen Richtung der Aufmerksamkeit,
meist auf die vom Hypnotisator gegebenen Befehle, ver-
bunden ist (Befehlsautomatie). Der Hypnotisirte schläft
nicht nur auf Befehl, sondern behält auch in diesem Zu-
stande jede noch so gezwungene Stellung bei, die man ihm
gibt (hypnotische Katalepsie). Steigert sich der Zustand,
so führt der Hypnotische ihm aufgetragene Bewegungen
anscheinend automatisch aus und gibt zu erkennen, dass er
Vorstellungen, die ihm suggerirt werden, hallucinatorisch für
wirkliche Gegenstände hält (Somnambulie). In diesem Zu-
stand der Somnambulie können endlich motorische oder
sensorische Suggestionen für den Eintritt des Erwachens
oder sogar für einen bestimmten späteren Zeitpunkt (Ter-
minsuggestionen) gegeben werden. Die solche »posthypno-
tische Wirkungen« begleitenden Erscheinungen machen es

Wundt, Psychologie. 21
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[321/0337] § 18. Psychische Zustände. das Bewusstsein im allgemeimen ein zwischen Wachen und Schlaf in der Mitte stehendes Verhalten darbietet. Die hauptsächlichste Entstehungsursache der Hypnose ist die Suggestion, d. h. die Mittheilung einer gefühlsstarken Vorstellung, welche in der Regel von einer fremden Per- sönlichkeit in Form eines Befehles mitgetheilt wird (Fremd- suggestion), zuweilen aber auch von dem Hypnotisirten selbst hervorgebracht werden kann (Autosuggestion). Der Befehl oder Vorsatz zu schlafen, bestimmte Bewegungen auszufüh- ren, nicht vorhandene Gegenstände zu sehen oder vorhan- dene nicht zu sehen u. dgl. sind die häufigsten derartigen Suggestionen. Gleichförmige Sinnesreize, namentlich Tast- reize, wirken unterstützend. Außerdem ist der Eintritt der Hypnose an eine bestimmte, in ihrer Natur noch unbekannte Disposition des Nervensystems gebunden, die aber durch wiederholtes Hypnotisiren gesteigert wird. Das nächste Symptom der Hypnose besteht in einer mehr oder minder vollständigen Willenshemmung, welche zugleich mit einer einseitigen Richtung der Aufmerksamkeit, meist auf die vom Hypnotisator gegebenen Befehle, ver- bunden ist (Befehlsautomatie). Der Hypnotisirte schläft nicht nur auf Befehl, sondern behält auch in diesem Zu- stande jede noch so gezwungene Stellung bei, die man ihm gibt (hypnotische Katalepsie). Steigert sich der Zustand, so führt der Hypnotische ihm aufgetragene Bewegungen anscheinend automatisch aus und gibt zu erkennen, dass er Vorstellungen, die ihm suggerirt werden, hallucinatorisch für wirkliche Gegenstände hält (Somnambulie). In diesem Zu- stand der Somnambulie können endlich motorische oder sensorische Suggestionen für den Eintritt des Erwachens oder sogar für einen bestimmten späteren Zeitpunkt (Ter- minsuggestionen) gegeben werden. Die solche »posthypno- tische Wirkungen« begleitenden Erscheinungen machen es Wundt, Psychologie. 21

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/337>, abgerufen am 24.11.2024.