Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.IV. Die psychischen Entwicklungen. chische Entwicklungsgeschichte im allgemeinen zu einem diephysische Entwicklungstheorie bestätigenden Ergebnisse, so darf aber doch nicht übersehen werden, dass die psychi- schen Unterschiedsmerkmale zwischen Mensch und Thier, wie sie in den von den Apperceptionsverbindungen ausgehen- den intellectuellen und Gemüthsvorgängen ihren Ausdruck finden, ungleich tiefer greifen als die physischen Merkmale. Zugleich macht es die große Stabilität in dem psychischen Zustand der Thiere, welcher sogar durch die Einflüsse der Züchtung nur geringe Veränderungen erfährt, äußerst un- wahrscheinlich, dass jemals eine der jetzt lebenden Thier- formen erheblich die in psychischer Beziehung erreichten Grenzen überschreiten werde. 5a. Die Versuche, das Verhältniss zwischen Mensch und IV. Die psychischen Entwicklungen. chische Entwicklungsgeschichte im allgemeinen zu einem diephysische Entwicklungstheorie bestätigenden Ergebnisse, so darf aber doch nicht übersehen werden, dass die psychi- schen Unterschiedsmerkmale zwischen Mensch und Thier, wie sie in den von den Apperceptionsverbindungen ausgehen- den intellectuellen und Gemüthsvorgängen ihren Ausdruck finden, ungleich tiefer greifen als die physischen Merkmale. Zugleich macht es die große Stabilität in dem psychischen Zustand der Thiere, welcher sogar durch die Einflüsse der Züchtung nur geringe Veränderungen erfährt, äußerst un- wahrscheinlich, dass jemals eine der jetzt lebenden Thier- formen erheblich die in psychischer Beziehung erreichten Grenzen überschreiten werde. 5a. Die Versuche, das Verhältniss zwischen Mensch und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0346" n="330"/><fw place="top" type="header">IV. Die psychischen Entwicklungen.</fw><lb/> chische Entwicklungsgeschichte im allgemeinen zu einem die<lb/> physische Entwicklungstheorie bestätigenden Ergebnisse, so<lb/> darf aber doch nicht übersehen werden, dass die <hi rendition="#g">psychi-<lb/> schen</hi> Unterschiedsmerkmale zwischen Mensch und Thier,<lb/> wie sie in den von den Apperceptionsverbindungen ausgehen-<lb/> den intellectuellen und Gemüthsvorgängen ihren Ausdruck<lb/> finden, ungleich tiefer greifen als die physischen Merkmale.<lb/> Zugleich macht es die große Stabilität in dem psychischen<lb/> Zustand der Thiere, welcher sogar durch die Einflüsse der<lb/> Züchtung nur geringe Veränderungen erfährt, äußerst un-<lb/> wahrscheinlich, dass jemals eine der jetzt lebenden Thier-<lb/> formen erheblich die in psychischer Beziehung erreichten<lb/> Grenzen überschreiten werde.</p><lb/> <p>5a. Die Versuche, das Verhältniss zwischen Mensch und<lb/> Thier psychologisch zu definiren, schwanken zwischen zwei Ex-<lb/> tremen, nämlich zwischen der in der alten Psychologie herrschen-<lb/> den Anschauung, dass die höheren »Seelenvermögen«, namentlich<lb/> die »Vernunft«, dem Thiere vollständig fehlen, und der bei Ver-<lb/> tretern der speciellen Thierpsychologie verbreiteten Meinung, dass<lb/> die Thiere in allem, auch in der Fähigkeit zu überlegen, zu<lb/> urtheilen und zu schließen, in ihren moralischen Gefühlen u. s. w.,<lb/> vollständig dem Menschen gleichen. Mit der Beseitigung der<lb/> Vermögenspsychologie ist die erste dieser Anschauungen unhalt-<lb/> bar geworden. Die zweite beruht auf der in der populären<lb/> Psychologie verbreiteten Neigung, alle möglichen objectiv be-<lb/> obachteten Erscheinungen in menschliche Denkweisen und nament-<lb/> lich in logische Reflexionen umzudeuten. Die nähere psycho-<lb/> logische Untersuchung der so genannten Intelligenzäußerungen<lb/> der Thiere zeigt aber durchweg, dass sie vollständig aus ein-<lb/> fachen sinnlichen Wiedererkennungsacten und Associationen zu<lb/> begreifen sind, wogegen ihnen die den eigentlichen Begriffen und<lb/> logischen Operationen zukommenden Merkmale fehlen. Da nun<lb/> die associativen in die apperceptiven Processe continuirlich über-<lb/> gehen, und da Anfänge der letzteren, einfache active Aufmerk-<lb/> samkeits- und Wahlacte, bei den höheren Thieren zweifelsohne<lb/> vorkommen, so ist übrigens auch diese Differenz schließlich mehr<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [330/0346]
IV. Die psychischen Entwicklungen.
chische Entwicklungsgeschichte im allgemeinen zu einem die
physische Entwicklungstheorie bestätigenden Ergebnisse, so
darf aber doch nicht übersehen werden, dass die psychi-
schen Unterschiedsmerkmale zwischen Mensch und Thier,
wie sie in den von den Apperceptionsverbindungen ausgehen-
den intellectuellen und Gemüthsvorgängen ihren Ausdruck
finden, ungleich tiefer greifen als die physischen Merkmale.
Zugleich macht es die große Stabilität in dem psychischen
Zustand der Thiere, welcher sogar durch die Einflüsse der
Züchtung nur geringe Veränderungen erfährt, äußerst un-
wahrscheinlich, dass jemals eine der jetzt lebenden Thier-
formen erheblich die in psychischer Beziehung erreichten
Grenzen überschreiten werde.
5a. Die Versuche, das Verhältniss zwischen Mensch und
Thier psychologisch zu definiren, schwanken zwischen zwei Ex-
tremen, nämlich zwischen der in der alten Psychologie herrschen-
den Anschauung, dass die höheren »Seelenvermögen«, namentlich
die »Vernunft«, dem Thiere vollständig fehlen, und der bei Ver-
tretern der speciellen Thierpsychologie verbreiteten Meinung, dass
die Thiere in allem, auch in der Fähigkeit zu überlegen, zu
urtheilen und zu schließen, in ihren moralischen Gefühlen u. s. w.,
vollständig dem Menschen gleichen. Mit der Beseitigung der
Vermögenspsychologie ist die erste dieser Anschauungen unhalt-
bar geworden. Die zweite beruht auf der in der populären
Psychologie verbreiteten Neigung, alle möglichen objectiv be-
obachteten Erscheinungen in menschliche Denkweisen und nament-
lich in logische Reflexionen umzudeuten. Die nähere psycho-
logische Untersuchung der so genannten Intelligenzäußerungen
der Thiere zeigt aber durchweg, dass sie vollständig aus ein-
fachen sinnlichen Wiedererkennungsacten und Associationen zu
begreifen sind, wogegen ihnen die den eigentlichen Begriffen und
logischen Operationen zukommenden Merkmale fehlen. Da nun
die associativen in die apperceptiven Processe continuirlich über-
gehen, und da Anfänge der letzteren, einfache active Aufmerk-
samkeits- und Wahlacte, bei den höheren Thieren zweifelsohne
vorkommen, so ist übrigens auch diese Differenz schließlich mehr
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