Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes. Dritttheil des ersten Lebensjahres zu beginnen pflegt, einegroße Rolle, da das Gehen nach bestimmten Zielen beson- ders häufig den Anlass zur Entstehung einer Mehrheit mit einander streitender Motive bildet. Das Gehenlernen selbst ist aber als ein Vorgang aufzufassen, bei dem die Entwicklung des Willens und die Wirksamkeit vererbter Anlagen zu be- stimmten combinirten Bewegungen fortwährend in einander eingreifen. Dabei geht der erste Impuls zur Bewegung von Willensmotiven aus, die zweckmäßige Art der Ausführung ist aber dann zunächst eine Wirkung der centralen Coordi- nationsmechanismen, und diese gestalten sich endlich wieder in Folge der unter der Leitung des Willens stattfindenden individuellen Uebung fortwährend zweckmäßiger. 8. Die Sprache des Kindes schließt sich in ihrer § 20. Die psychische Entwicklung des Kindes. Dritttheil des ersten Lebensjahres zu beginnen pflegt, einegroße Rolle, da das Gehen nach bestimmten Zielen beson- ders häufig den Anlass zur Entstehung einer Mehrheit mit einander streitender Motive bildet. Das Gehenlernen selbst ist aber als ein Vorgang aufzufassen, bei dem die Entwicklung des Willens und die Wirksamkeit vererbter Anlagen zu be- stimmten combinirten Bewegungen fortwährend in einander eingreifen. Dabei geht der erste Impuls zur Bewegung von Willensmotiven aus, die zweckmäßige Art der Ausführung ist aber dann zunächst eine Wirkung der centralen Coordi- nationsmechanismen, und diese gestalten sich endlich wieder in Folge der unter der Leitung des Willens stattfindenden individuellen Uebung fortwährend zweckmäßiger. 8. Die Sprache des Kindes schließt sich in ihrer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0357" n="341"/><fw place="top" type="header">§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes.</fw><lb/> Dritttheil des ersten Lebensjahres zu beginnen pflegt, eine<lb/> große Rolle, da das Gehen nach bestimmten Zielen beson-<lb/> ders häufig den Anlass zur Entstehung einer Mehrheit mit<lb/> einander streitender Motive bildet. Das Gehenlernen selbst<lb/> ist aber als ein Vorgang aufzufassen, bei dem die Entwicklung<lb/> des Willens und die Wirksamkeit vererbter Anlagen zu be-<lb/> stimmten combinirten Bewegungen fortwährend in einander<lb/> eingreifen. Dabei geht der erste Impuls zur Bewegung von<lb/> Willensmotiven aus, die zweckmäßige Art der Ausführung<lb/> ist aber dann zunächst eine Wirkung der centralen Coordi-<lb/> nationsmechanismen, und diese gestalten sich endlich wieder<lb/> in Folge der unter der Leitung des Willens stattfindenden<lb/> individuellen Uebung fortwährend zweckmäßiger.</p><lb/> <p>8. Die <hi rendition="#g">Sprache</hi> des Kindes schließt sich in ihrer<lb/> Entwicklung den übrigen Willenshandlungen an. Auch sie<lb/> beruht auf einem Zusammenwirken vererbter, in den Cen-<lb/> tralorganen des Nervensystems begründeter Anlagen, und<lb/> der durch die Lebenseinflüsse, in diesem Fall insbesondere<lb/> durch die Einflüsse der redenden Umgebung gesetzten Ein-<lb/> wirkungen. In dieser Beziehung entspricht die Entwicklung<lb/> der Sprache durchaus derjenigen der übrigen Ausdrucks-<lb/> bewegungen, zu denen sie nach ihrem allgemeinen psycho-<lb/> physischen Charakter gehört. Die frühesten articulirten<lb/> Lautbildungen der Sprachorgane treten als reflexartige Er-<lb/> scheinungen, namentlich in Begleitung angenehmer Gefühle<lb/> und Affecte, schon im Laufe des 2. Lebensmonats auf; sie<lb/> nehmen in der folgenden Zeit an Mannigfaltigkeit zu, auch<lb/> zeigt sich immer mehr die Neigung zu Lautwiederholungen<lb/> (wie ba-ba-ba, da-da-da-da u. dergl.). Diese Ausdruckslaute<lb/> unterscheiden sich nur durch ihre größere und immer wech-<lb/> selnde Mannigfaltigkeit von den Ausdruckslauten zahlreicher<lb/> Thiere. Sie haben, da sie bei allen möglichen Gelegen-<lb/> heiten und ohne jede Absicht der Mittheilung hervorge-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [341/0357]
§ 20. Die psychische Entwicklung des Kindes.
Dritttheil des ersten Lebensjahres zu beginnen pflegt, eine
große Rolle, da das Gehen nach bestimmten Zielen beson-
ders häufig den Anlass zur Entstehung einer Mehrheit mit
einander streitender Motive bildet. Das Gehenlernen selbst
ist aber als ein Vorgang aufzufassen, bei dem die Entwicklung
des Willens und die Wirksamkeit vererbter Anlagen zu be-
stimmten combinirten Bewegungen fortwährend in einander
eingreifen. Dabei geht der erste Impuls zur Bewegung von
Willensmotiven aus, die zweckmäßige Art der Ausführung
ist aber dann zunächst eine Wirkung der centralen Coordi-
nationsmechanismen, und diese gestalten sich endlich wieder
in Folge der unter der Leitung des Willens stattfindenden
individuellen Uebung fortwährend zweckmäßiger.
8. Die Sprache des Kindes schließt sich in ihrer
Entwicklung den übrigen Willenshandlungen an. Auch sie
beruht auf einem Zusammenwirken vererbter, in den Cen-
tralorganen des Nervensystems begründeter Anlagen, und
der durch die Lebenseinflüsse, in diesem Fall insbesondere
durch die Einflüsse der redenden Umgebung gesetzten Ein-
wirkungen. In dieser Beziehung entspricht die Entwicklung
der Sprache durchaus derjenigen der übrigen Ausdrucks-
bewegungen, zu denen sie nach ihrem allgemeinen psycho-
physischen Charakter gehört. Die frühesten articulirten
Lautbildungen der Sprachorgane treten als reflexartige Er-
scheinungen, namentlich in Begleitung angenehmer Gefühle
und Affecte, schon im Laufe des 2. Lebensmonats auf; sie
nehmen in der folgenden Zeit an Mannigfaltigkeit zu, auch
zeigt sich immer mehr die Neigung zu Lautwiederholungen
(wie ba-ba-ba, da-da-da-da u. dergl.). Diese Ausdruckslaute
unterscheiden sich nur durch ihre größere und immer wech-
selnde Mannigfaltigkeit von den Ausdruckslauten zahlreicher
Thiere. Sie haben, da sie bei allen möglichen Gelegen-
heiten und ohne jede Absicht der Mittheilung hervorge-
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