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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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IV. Die psychischen Entwicklungen.
Bedeutungswandel der Wörter nicht möglich wäre, selbst
erst ein Erzeugniss jener psychischen und psychophysischen
Wechselwirkungen ist, aus denen die fortschreitende Ent-
wicklung der Sprache hervorgeht.

6. Wie die Bestandtheile der Sprache, die Wörter, in
Laut und Bedeutung einer fortwährenden Entwicklung unter-
worfen sind, so vollziehen sich aber auch allmähliche, wenn-
gleich im allgemeinen langsamere Veränderungen in der
Verbindung dieser Bestandtheile zu einem zusammengesetzten
Ganzen, dem Satze. Keine Sprache ist ohne eine solche
syntaktische Wortfolge zu denken. Satz und Wort sind
daher gleich ursprüngliche psychologische Formen des Den-
kens, ja in gewissem Sinne kann der Satz die ursprüng-
lichere Form genannt werden, da namentlich auf unvoll-
kommeneren Sprachstufen die Wörter eines Satzes oft nur
unsicher gegen einander abzugrenzen sind, so dass sie erst
als Producte der Zerlegung des ursprünglich einheitlichen,
durch den Satz ausgedrückten Gedankens erscheinen. Auch
für die Wortfolge gibt es nun, so wenig wie für das Ver-
hältniss von Laut und Bedeutung, irgend eine allgemein-
gültige Norm. Insbesondere hat daher diejenige Wortfolge,
die von der Logik mit Rücksicht auf die Verhältnisse der
wechselseitigen logischen Abhängigkeit der Begriffe bevor-
zugt wird, keine psychologische Allgemeingültigkeit; ja sie
erscheint als ein ziemlich spätes und zum Theil durch will-
kürliche Convention entstandenes Entwicklungsproduct, dem
nur manche der neueren, syntaktisch beinahe erstarrten
Sprachformen in dem gewöhnlichen Prosastil nahe kommen.
Das ursprüngliche Princip, dem die sprachlichen Apper-
ceptionsverbindungen folgen, ist dagegen sichtlich dieses,
dass die Wortfolge der Vorstellungsfolge entspricht,
und dass daher namentlich diejenigen Redetheile voraus-
gehen, welche die am stärksten das Gefühl erregenden und

IV. Die psychischen Entwicklungen.
Bedeutungswandel der Wörter nicht möglich wäre, selbst
erst ein Erzeugniss jener psychischen und psychophysischen
Wechselwirkungen ist, aus denen die fortschreitende Ent-
wicklung der Sprache hervorgeht.

6. Wie die Bestandtheile der Sprache, die Wörter, in
Laut und Bedeutung einer fortwährenden Entwicklung unter-
worfen sind, so vollziehen sich aber auch allmähliche, wenn-
gleich im allgemeinen langsamere Veränderungen in der
Verbindung dieser Bestandtheile zu einem zusammengesetzten
Ganzen, dem Satze. Keine Sprache ist ohne eine solche
syntaktische Wortfolge zu denken. Satz und Wort sind
daher gleich ursprüngliche psychologische Formen des Den-
kens, ja in gewissem Sinne kann der Satz die ursprüng-
lichere Form genannt werden, da namentlich auf unvoll-
kommeneren Sprachstufen die Wörter eines Satzes oft nur
unsicher gegen einander abzugrenzen sind, so dass sie erst
als Producte der Zerlegung des ursprünglich einheitlichen,
durch den Satz ausgedrückten Gedankens erscheinen. Auch
für die Wortfolge gibt es nun, so wenig wie für das Ver-
hältniss von Laut und Bedeutung, irgend eine allgemein-
gültige Norm. Insbesondere hat daher diejenige Wortfolge,
die von der Logik mit Rücksicht auf die Verhältnisse der
wechselseitigen logischen Abhängigkeit der Begriffe bevor-
zugt wird, keine psychologische Allgemeingültigkeit; ja sie
erscheint als ein ziemlich spätes und zum Theil durch will-
kürliche Convention entstandenes Entwicklungsproduct, dem
nur manche der neueren, syntaktisch beinahe erstarrten
Sprachformen in dem gewöhnlichen Prosastil nahe kommen.
Das ursprüngliche Princip, dem die sprachlichen Apper-
ceptionsverbindungen folgen, ist dagegen sichtlich dieses,
dass die Wortfolge der Vorstellungsfolge entspricht,
und dass daher namentlich diejenigen Redetheile voraus-
gehen, welche die am stärksten das Gefühl erregenden und

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[354/0370] IV. Die psychischen Entwicklungen. Bedeutungswandel der Wörter nicht möglich wäre, selbst erst ein Erzeugniss jener psychischen und psychophysischen Wechselwirkungen ist, aus denen die fortschreitende Ent- wicklung der Sprache hervorgeht. 6. Wie die Bestandtheile der Sprache, die Wörter, in Laut und Bedeutung einer fortwährenden Entwicklung unter- worfen sind, so vollziehen sich aber auch allmähliche, wenn- gleich im allgemeinen langsamere Veränderungen in der Verbindung dieser Bestandtheile zu einem zusammengesetzten Ganzen, dem Satze. Keine Sprache ist ohne eine solche syntaktische Wortfolge zu denken. Satz und Wort sind daher gleich ursprüngliche psychologische Formen des Den- kens, ja in gewissem Sinne kann der Satz die ursprüng- lichere Form genannt werden, da namentlich auf unvoll- kommeneren Sprachstufen die Wörter eines Satzes oft nur unsicher gegen einander abzugrenzen sind, so dass sie erst als Producte der Zerlegung des ursprünglich einheitlichen, durch den Satz ausgedrückten Gedankens erscheinen. Auch für die Wortfolge gibt es nun, so wenig wie für das Ver- hältniss von Laut und Bedeutung, irgend eine allgemein- gültige Norm. Insbesondere hat daher diejenige Wortfolge, die von der Logik mit Rücksicht auf die Verhältnisse der wechselseitigen logischen Abhängigkeit der Begriffe bevor- zugt wird, keine psychologische Allgemeingültigkeit; ja sie erscheint als ein ziemlich spätes und zum Theil durch will- kürliche Convention entstandenes Entwicklungsproduct, dem nur manche der neueren, syntaktisch beinahe erstarrten Sprachformen in dem gewöhnlichen Prosastil nahe kommen. Das ursprüngliche Princip, dem die sprachlichen Apper- ceptionsverbindungen folgen, ist dagegen sichtlich dieses, dass die Wortfolge der Vorstellungsfolge entspricht, und dass daher namentlich diejenigen Redetheile voraus- gehen, welche die am stärksten das Gefühl erregenden und

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/370>, abgerufen am 24.11.2024.