Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Die psychische Causalität und ihre Gesetze.
schaften annehmen. Bei den apperceptiven Functionen
endlich, den Phantasie- und Verstandesthätigkeiten, kommt
das nämliche Gesetz in einer klarbewussten Form zum Aus-
druck, indem die durch apperceptive Synthese verbundenen
Bestandtheile neben der Bedeutung, die sie im isolirten
Zustand besitzen, nicht nur selbst in der durch ihre Ver-
bindung entstehenden Gesammtvorstellung zum Theil eine
neue Bedeutung gewinnen, sondern indem namentlich auch
die Gesammtvorstellung selbst ein neuer psychischer Inhalt
ist, der zwar durch jene Bestandtheile ermöglicht wird, da-
rum aber doch in ihnen noch nicht enthalten ist. Dies
zeigt sich wieder am augenfälligsten an den verwickelteren
Erzeugnissen apperceptiver Synthese, wie an dem Kunst-
werk, an dem logischen Gedankenzusammenhang.

3. In dem Gesetz der psychischen Resultanten kommt
auf diese Weise ein Princip zum Ausdruck, welches wir im
Hinblick auf die entstehenden Wirkungen als ein Princip
schöpferischer Synthese
bezeichnen können. Für die
höheren geistigen Schöpfungen längst anerkannt, ist es
zumeist für die Gesammtheit der übrigen psychischen Pro-
cesse nicht zureichend gewürdigt, ja durch eine falsche
Vermengung mit den Gesetzen der physischen Causalität
geradezu in sein Gegentheil verkehrt worden. Auf einer
ähnlichen Vermengung beruht es, wenn man zuweilen
zwischen dem Princip der schöpferischen Synthese auf gei-
stigem Gebiet und den allgemeinsten Naturgesetzen, nament-
lich dem der Erhaltung der Energie, einen Widerspruch hat
finden wollen. Ein solcher Widerspruch ist schon deshalb
von vornherein ausgeschlossen, weil überall die Gesichts-
punkte der Beurtheilung und darum auch die Gesichtspunkte
der Maßbestimmungen, wo etwa solche in Frage kommen,
beidemal andere sind und andere sein müssen, da sich
Naturwissenschaft und Psychologie nicht mit verschiedenen

V. Die psychische Causalität und ihre Gesetze.
schaften annehmen. Bei den apperceptiven Functionen
endlich, den Phantasie- und Verstandesthätigkeiten, kommt
das nämliche Gesetz in einer klarbewussten Form zum Aus-
druck, indem die durch apperceptive Synthese verbundenen
Bestandtheile neben der Bedeutung, die sie im isolirten
Zustand besitzen, nicht nur selbst in der durch ihre Ver-
bindung entstehenden Gesammtvorstellung zum Theil eine
neue Bedeutung gewinnen, sondern indem namentlich auch
die Gesammtvorstellung selbst ein neuer psychischer Inhalt
ist, der zwar durch jene Bestandtheile ermöglicht wird, da-
rum aber doch in ihnen noch nicht enthalten ist. Dies
zeigt sich wieder am augenfälligsten an den verwickelteren
Erzeugnissen apperceptiver Synthese, wie an dem Kunst-
werk, an dem logischen Gedankenzusammenhang.

3. In dem Gesetz der psychischen Resultanten kommt
auf diese Weise ein Princip zum Ausdruck, welches wir im
Hinblick auf die entstehenden Wirkungen als ein Princip
schöpferischer Synthese
bezeichnen können. Für die
höheren geistigen Schöpfungen längst anerkannt, ist es
zumeist für die Gesammtheit der übrigen psychischen Pro-
cesse nicht zureichend gewürdigt, ja durch eine falsche
Vermengung mit den Gesetzen der physischen Causalität
geradezu in sein Gegentheil verkehrt worden. Auf einer
ähnlichen Vermengung beruht es, wenn man zuweilen
zwischen dem Princip der schöpferischen Synthese auf gei-
stigem Gebiet und den allgemeinsten Naturgesetzen, nament-
lich dem der Erhaltung der Energie, einen Widerspruch hat
finden wollen. Ein solcher Widerspruch ist schon deshalb
von vornherein ausgeschlossen, weil überall die Gesichts-
punkte der Beurtheilung und darum auch die Gesichtspunkte
der Maßbestimmungen, wo etwa solche in Frage kommen,
beidemal andere sind und andere sein müssen, da sich
Naturwissenschaft und Psychologie nicht mit verschiedenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0392" n="376"/><fw place="top" type="header">V. Die psychische Causalität und ihre Gesetze.</fw><lb/>
schaften annehmen. Bei den apperceptiven Functionen<lb/>
endlich, den Phantasie- und Verstandesthätigkeiten, kommt<lb/>
das nämliche Gesetz in einer klarbewussten Form zum Aus-<lb/>
druck, indem die durch apperceptive Synthese verbundenen<lb/>
Bestandtheile neben der Bedeutung, die sie im isolirten<lb/>
Zustand besitzen, nicht nur selbst in der durch ihre Ver-<lb/>
bindung entstehenden Gesammtvorstellung zum Theil eine<lb/>
neue Bedeutung gewinnen, sondern indem namentlich auch<lb/>
die Gesammtvorstellung selbst ein neuer psychischer Inhalt<lb/>
ist, der zwar durch jene Bestandtheile ermöglicht wird, da-<lb/>
rum aber doch in ihnen noch nicht enthalten ist. Dies<lb/>
zeigt sich wieder am augenfälligsten an den verwickelteren<lb/>
Erzeugnissen apperceptiver Synthese, wie an dem Kunst-<lb/>
werk, an dem logischen Gedankenzusammenhang.</p><lb/>
          <p>3. In dem Gesetz der psychischen Resultanten kommt<lb/>
auf diese Weise ein Princip zum Ausdruck, welches wir im<lb/>
Hinblick auf die entstehenden Wirkungen als ein <hi rendition="#g">Princip<lb/>
schöpferischer Synthese</hi> bezeichnen können. Für die<lb/>
höheren geistigen Schöpfungen längst anerkannt, ist es<lb/>
zumeist für die Gesammtheit der übrigen psychischen Pro-<lb/>
cesse nicht zureichend gewürdigt, ja durch eine falsche<lb/>
Vermengung mit den Gesetzen der physischen Causalität<lb/>
geradezu in sein Gegentheil verkehrt worden. Auf einer<lb/>
ähnlichen Vermengung beruht es, wenn man zuweilen<lb/>
zwischen dem Princip der schöpferischen Synthese auf gei-<lb/>
stigem Gebiet und den allgemeinsten Naturgesetzen, nament-<lb/>
lich dem der Erhaltung der Energie, einen Widerspruch hat<lb/>
finden wollen. Ein solcher Widerspruch ist schon deshalb<lb/>
von vornherein ausgeschlossen, weil überall die Gesichts-<lb/>
punkte der Beurtheilung und darum auch die Gesichtspunkte<lb/>
der Maßbestimmungen, wo etwa solche in Frage kommen,<lb/>
beidemal andere sind und andere sein müssen, da sich<lb/>
Naturwissenschaft und Psychologie nicht mit verschiedenen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[376/0392] V. Die psychische Causalität und ihre Gesetze. schaften annehmen. Bei den apperceptiven Functionen endlich, den Phantasie- und Verstandesthätigkeiten, kommt das nämliche Gesetz in einer klarbewussten Form zum Aus- druck, indem die durch apperceptive Synthese verbundenen Bestandtheile neben der Bedeutung, die sie im isolirten Zustand besitzen, nicht nur selbst in der durch ihre Ver- bindung entstehenden Gesammtvorstellung zum Theil eine neue Bedeutung gewinnen, sondern indem namentlich auch die Gesammtvorstellung selbst ein neuer psychischer Inhalt ist, der zwar durch jene Bestandtheile ermöglicht wird, da- rum aber doch in ihnen noch nicht enthalten ist. Dies zeigt sich wieder am augenfälligsten an den verwickelteren Erzeugnissen apperceptiver Synthese, wie an dem Kunst- werk, an dem logischen Gedankenzusammenhang. 3. In dem Gesetz der psychischen Resultanten kommt auf diese Weise ein Princip zum Ausdruck, welches wir im Hinblick auf die entstehenden Wirkungen als ein Princip schöpferischer Synthese bezeichnen können. Für die höheren geistigen Schöpfungen längst anerkannt, ist es zumeist für die Gesammtheit der übrigen psychischen Pro- cesse nicht zureichend gewürdigt, ja durch eine falsche Vermengung mit den Gesetzen der physischen Causalität geradezu in sein Gegentheil verkehrt worden. Auf einer ähnlichen Vermengung beruht es, wenn man zuweilen zwischen dem Princip der schöpferischen Synthese auf gei- stigem Gebiet und den allgemeinsten Naturgesetzen, nament- lich dem der Erhaltung der Energie, einen Widerspruch hat finden wollen. Ein solcher Widerspruch ist schon deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil überall die Gesichts- punkte der Beurtheilung und darum auch die Gesichtspunkte der Maßbestimmungen, wo etwa solche in Frage kommen, beidemal andere sind und andere sein müssen, da sich Naturwissenschaft und Psychologie nicht mit verschiedenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/392
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/392>, abgerufen am 24.11.2024.