1. Den drei Beziehungsgesetzen stehen ebenso viele psychologische Entwicklungsgesetze gegenüber, die sich zu- gleich als Anwendungen der ersteren auf umfassendere psy- chische Zusammenhänge betrachten lassen. Wir bezeichnen dieselben als das Gesetz des geistigen Wachsthums, das Gesetz der Heterogonie der Zwecke und das Ge- setz der Entwicklung in Gegensätzen.
2. Das Gesetz des geistigen Wachsthums ist ebenso wenig wie irgend ein anderes der psychologischen Entwicklungsgesetze ein überall und auf alle psychischen Erfahrungsinhalte anwendbares Princip. Vielmehr gilt es unter der beschränkenden Bedingung, unter der das Resul- tantengesetz, dessen Anwendung es ist, ebenfalls gilt, näm- lich unter der Voraussetzung der Continuität der Vor- gänge. (Siehe oben S. 378.) Da aber Umstände, die dieser Bedingung entgegenwirken, bei den eine große An- zahl psychischer Synthesen umfassenden geistigen Entwick- lungen selbstverständlich viel häufiger vorkommen als bei den einzelnen Synthesen selbst, so lässt sich das Gesetz des geistigen Wachsthums nur an bestimmten unter nor- malen Bedingungen erfolgenden Entwicklungen und auch hier nur zwischen gewissen Grenzen nachweisen. Inner- halb dieser Grenzen haben jedoch gerade die umfassenderen Entwicklungen, wie z. B. die geistige Entwicklung des nor- malen einzelnen Menschen, die Entwicklung geistiger Ge- meinschaften, offenbar die frühesten Bewährungen des diesen Entwicklungen zu Grunde liegenden fundamentalen Gesetzes der Resultanten gebildet.
3. Das Gesetz der Heterogonie der Zwecke steht in nächster Verbindung mit dem Gesetz der Relationen, gründet sich aber zugleich auf das in einem größeren Zu-
§ 24. Die psychologischen Entwicklungsgesetze.
§ 24. Die psychologischen Entwicklungsgesetze.
1. Den drei Beziehungsgesetzen stehen ebenso viele psychologische Entwicklungsgesetze gegenüber, die sich zu- gleich als Anwendungen der ersteren auf umfassendere psy- chische Zusammenhänge betrachten lassen. Wir bezeichnen dieselben als das Gesetz des geistigen Wachsthums, das Gesetz der Heterogonie der Zwecke und das Ge- setz der Entwicklung in Gegensätzen.
2. Das Gesetz des geistigen Wachsthums ist ebenso wenig wie irgend ein anderes der psychologischen Entwicklungsgesetze ein überall und auf alle psychischen Erfahrungsinhalte anwendbares Princip. Vielmehr gilt es unter der beschränkenden Bedingung, unter der das Resul- tantengesetz, dessen Anwendung es ist, ebenfalls gilt, näm- lich unter der Voraussetzung der Continuität der Vor- gänge. (Siehe oben S. 378.) Da aber Umstände, die dieser Bedingung entgegenwirken, bei den eine große An- zahl psychischer Synthesen umfassenden geistigen Entwick- lungen selbstverständlich viel häufiger vorkommen als bei den einzelnen Synthesen selbst, so lässt sich das Gesetz des geistigen Wachsthums nur an bestimmten unter nor- malen Bedingungen erfolgenden Entwicklungen und auch hier nur zwischen gewissen Grenzen nachweisen. Inner- halb dieser Grenzen haben jedoch gerade die umfassenderen Entwicklungen, wie z. B. die geistige Entwicklung des nor- malen einzelnen Menschen, die Entwicklung geistiger Ge- meinschaften, offenbar die frühesten Bewährungen des diesen Entwicklungen zu Grunde liegenden fundamentalen Gesetzes der Resultanten gebildet.
3. Das Gesetz der Heterogonie der Zwecke steht in nächster Verbindung mit dem Gesetz der Relationen, gründet sich aber zugleich auf das in einem größeren Zu-
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§ 24. Die psychologischen Entwicklungsgesetze.
§ 24. Die psychologischen Entwicklungsgesetze.
1. Den drei Beziehungsgesetzen stehen ebenso viele
psychologische Entwicklungsgesetze gegenüber, die sich zu-
gleich als Anwendungen der ersteren auf umfassendere psy-
chische Zusammenhänge betrachten lassen. Wir bezeichnen
dieselben als das Gesetz des geistigen Wachsthums,
das Gesetz der Heterogonie der Zwecke und das Ge-
setz der Entwicklung in Gegensätzen.
2. Das Gesetz des geistigen Wachsthums ist
ebenso wenig wie irgend ein anderes der psychologischen
Entwicklungsgesetze ein überall und auf alle psychischen
Erfahrungsinhalte anwendbares Princip. Vielmehr gilt es
unter der beschränkenden Bedingung, unter der das Resul-
tantengesetz, dessen Anwendung es ist, ebenfalls gilt, näm-
lich unter der Voraussetzung der Continuität der Vor-
gänge. (Siehe oben S. 378.) Da aber Umstände, die
dieser Bedingung entgegenwirken, bei den eine große An-
zahl psychischer Synthesen umfassenden geistigen Entwick-
lungen selbstverständlich viel häufiger vorkommen als bei
den einzelnen Synthesen selbst, so lässt sich das Gesetz
des geistigen Wachsthums nur an bestimmten unter nor-
malen Bedingungen erfolgenden Entwicklungen und auch
hier nur zwischen gewissen Grenzen nachweisen. Inner-
halb dieser Grenzen haben jedoch gerade die umfassenderen
Entwicklungen, wie z. B. die geistige Entwicklung des nor-
malen einzelnen Menschen, die Entwicklung geistiger Ge-
meinschaften, offenbar die frühesten Bewährungen des diesen
Entwicklungen zu Grunde liegenden fundamentalen Gesetzes
der Resultanten gebildet.
3. Das Gesetz der Heterogonie der Zwecke steht
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/397>, abgerufen am 24.11.2024.
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