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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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Einleitung.
man willkürlich gewisse Bedingungen weglässt oder hinzu-
fügt oder auch in ihrer Größe verändert.

Anders verhält es sich mit den Naturgegenständen.
Da sie relativ constante Objecte sind, die nicht erst in
einem bestimmten Moment hervorgebracht werden müssen,
sondern jederzeit dem Beobachter zur Verfügung stehen und
der Betrachtung desselben Stand halten, so ist bei ihnen eine
experimentelle Untersuchung meist nur dann erforderlich,
wenn man die Processe ihrer Entstehung oder ihrer Ver-
änderungen erforschen will, wo die bei dem Studium der
Naturvorgänge obwaltenden Gesichtspunkte auch auf sie An-
wendung finden, indem sie in diesem Fall entweder als Pro-
ducte oder als Bestandtheile von Naturvorgängen betrachtet
werden. Wo es sich dagegen nur um die thatsächliche Be-
schaffenheit von Naturgegenständen handelt, ohne Rücksicht
auf ihre Entstehung und ihre Veränderungen, da reicht im
allgemeinen die bloße Beobachtung aus. In diesem Sinne
sind z. B. die Mineralogie, Botanik, Zoologie, Anatomie, Geo-
graphie u. a. reine Beobachtungswissenschaften, so lange
nicht, was freilich häufig vorkommt, physikalische, chemische,
physiologische, kurz solche Probleme in sie hineingetragen
werden, die auf gewisse Naturvorgänge zurückgehen.

2. Wenden wir diese Gesichtspunkte auf die Psychologie
an, so springt in die Augen, dass sie durch ihren Inhalt
direct auf die Wege derjenigen Gebiete hingewiesen ist, in
denen eine exacte Beobachtung nur in der Form der ex-
perimentellen
Beobachtung möglich ist, dass sie dagegen
eine reine Beobachtungswissenschaft nimmermehr sein kann.
Denn den Inhalt der Psychologie bilden ausschließlich Vor-
gänge
, nicht dauernde Objecte. Um den Eintritt und den
Verlauf dieser Vorgänge, ihre Zusammensetzung aus ver-
schiedenen Bestandtheilen und die Wechselbeziehungen dieser
Bestandtheile exact zu untersuchen, müssen wir vor allem

Einleitung.
man willkürlich gewisse Bedingungen weglässt oder hinzu-
fügt oder auch in ihrer Größe verändert.

Anders verhält es sich mit den Naturgegenständen.
Da sie relativ constante Objecte sind, die nicht erst in
einem bestimmten Moment hervorgebracht werden müssen,
sondern jederzeit dem Beobachter zur Verfügung stehen und
der Betrachtung desselben Stand halten, so ist bei ihnen eine
experimentelle Untersuchung meist nur dann erforderlich,
wenn man die Processe ihrer Entstehung oder ihrer Ver-
änderungen erforschen will, wo die bei dem Studium der
Naturvorgänge obwaltenden Gesichtspunkte auch auf sie An-
wendung finden, indem sie in diesem Fall entweder als Pro-
ducte oder als Bestandtheile von Naturvorgängen betrachtet
werden. Wo es sich dagegen nur um die thatsächliche Be-
schaffenheit von Naturgegenständen handelt, ohne Rücksicht
auf ihre Entstehung und ihre Veränderungen, da reicht im
allgemeinen die bloße Beobachtung aus. In diesem Sinne
sind z. B. die Mineralogie, Botanik, Zoologie, Anatomie, Geo-
graphie u. a. reine Beobachtungswissenschaften, so lange
nicht, was freilich häufig vorkommt, physikalische, chemische,
physiologische, kurz solche Probleme in sie hineingetragen
werden, die auf gewisse Naturvorgänge zurückgehen.

2. Wenden wir diese Gesichtspunkte auf die Psychologie
an, so springt in die Augen, dass sie durch ihren Inhalt
direct auf die Wege derjenigen Gebiete hingewiesen ist, in
denen eine exacte Beobachtung nur in der Form der ex-
perimentellen
Beobachtung möglich ist, dass sie dagegen
eine reine Beobachtungswissenschaft nimmermehr sein kann.
Denn den Inhalt der Psychologie bilden ausschließlich Vor-
gänge
, nicht dauernde Objecte. Um den Eintritt und den
Verlauf dieser Vorgänge, ihre Zusammensetzung aus ver-
schiedenen Bestandtheilen und die Wechselbeziehungen dieser
Bestandtheile exact zu untersuchen, müssen wir vor allem

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[24/0040] Einleitung. man willkürlich gewisse Bedingungen weglässt oder hinzu- fügt oder auch in ihrer Größe verändert. Anders verhält es sich mit den Naturgegenständen. Da sie relativ constante Objecte sind, die nicht erst in einem bestimmten Moment hervorgebracht werden müssen, sondern jederzeit dem Beobachter zur Verfügung stehen und der Betrachtung desselben Stand halten, so ist bei ihnen eine experimentelle Untersuchung meist nur dann erforderlich, wenn man die Processe ihrer Entstehung oder ihrer Ver- änderungen erforschen will, wo die bei dem Studium der Naturvorgänge obwaltenden Gesichtspunkte auch auf sie An- wendung finden, indem sie in diesem Fall entweder als Pro- ducte oder als Bestandtheile von Naturvorgängen betrachtet werden. Wo es sich dagegen nur um die thatsächliche Be- schaffenheit von Naturgegenständen handelt, ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und ihre Veränderungen, da reicht im allgemeinen die bloße Beobachtung aus. In diesem Sinne sind z. B. die Mineralogie, Botanik, Zoologie, Anatomie, Geo- graphie u. a. reine Beobachtungswissenschaften, so lange nicht, was freilich häufig vorkommt, physikalische, chemische, physiologische, kurz solche Probleme in sie hineingetragen werden, die auf gewisse Naturvorgänge zurückgehen. 2. Wenden wir diese Gesichtspunkte auf die Psychologie an, so springt in die Augen, dass sie durch ihren Inhalt direct auf die Wege derjenigen Gebiete hingewiesen ist, in denen eine exacte Beobachtung nur in der Form der ex- perimentellen Beobachtung möglich ist, dass sie dagegen eine reine Beobachtungswissenschaft nimmermehr sein kann. Denn den Inhalt der Psychologie bilden ausschließlich Vor- gänge, nicht dauernde Objecte. Um den Eintritt und den Verlauf dieser Vorgänge, ihre Zusammensetzung aus ver- schiedenen Bestandtheilen und die Wechselbeziehungen dieser Bestandtheile exact zu untersuchen, müssen wir vor allem

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/40>, abgerufen am 21.11.2024.