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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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I. Die psychischen Elemente.
Durch Schallschwingungen werden die Gehörsteine in Oscil-
lationen versetzt, die als eine rasche Folge schwacher Druck-
reize auf die Fasern des Nervenbüschels einwirken müssen. So
ungemein verwickelt nun das Gehörorgan der höheren Thiere
gebaut ist, so erinnert es doch in seinen wesentlichen Ein-
richtungen an diesen Typus eines einfachsten Hörapparates.
In der Schnecke des Menschen und der höheren Thiere
durchsetzen die Hörnerven die von zahlreichen feinen Ca-
nälen durchbohrte Spindel und treten dann durch die nach
dem Hohlraum der Schnecke gekehrten Poren, um sich in
einer diesen Hohlraum in einigen spiraligen Windungen
durchziehenden, straff gespannten und durch besondere
starre Pfeiler (die Corti'schen Bogen) beschwerten Membran
auszubreiten. Da diese Membran, die Grundmembran ge-
nannt, nach akustischen Gesetzen in Mitschwingungen ge-
rathen muss, sobald Schallschwingungen das Ohr treffen,
so spielt dieselbe, wie es scheint, hier die nämliche Rolle,
wie sie den Hörsteinchen bei jener niedersten Form eines
Gehörorgans zukommt. Aber dabei ist noch eine andere
Veränderung eingetreten, die die ungeheure Differenzirung
des Empfindungssystems begreiflich macht. Jene Grund-
membran der Schnecke hat nämlich in ihren verschiedenen
Theilen einen wechselnden Querdurchmesser, indem sie von
der Basis zur Spitze des Schneckenkanals immer breiter
wird. Sie verhält sich also wie ein System gespannter
Saiten von verschiedener Länge, und wie bei einem solchen
unter sonst gleichen Bedingungen die längeren Saiten auf
tiefere, die kürzeren auf höhere Töne abgestimmt sind, so lässt
sich das gleiche auch für die verschiedenen Theile der Grund-
membran annehmen. Während wir also vermuthen dürfen,
dass das den einfachsten mit Otolithen versehenen Gehör-
organen entsprechende Empfindungssystem ein gleichförmiges
ist, analog etwa unserm System der Druckempfindungen, macht

I. Die psychischen Elemente.
Durch Schallschwingungen werden die Gehörsteine in Oscil-
lationen versetzt, die als eine rasche Folge schwacher Druck-
reize auf die Fasern des Nervenbüschels einwirken müssen. So
ungemein verwickelt nun das Gehörorgan der höheren Thiere
gebaut ist, so erinnert es doch in seinen wesentlichen Ein-
richtungen an diesen Typus eines einfachsten Hörapparates.
In der Schnecke des Menschen und der höheren Thiere
durchsetzen die Hörnerven die von zahlreichen feinen Ca-
nälen durchbohrte Spindel und treten dann durch die nach
dem Hohlraum der Schnecke gekehrten Poren, um sich in
einer diesen Hohlraum in einigen spiraligen Windungen
durchziehenden, straff gespannten und durch besondere
starre Pfeiler (die Corti’schen Bogen) beschwerten Membran
auszubreiten. Da diese Membran, die Grundmembran ge-
nannt, nach akustischen Gesetzen in Mitschwingungen ge-
rathen muss, sobald Schallschwingungen das Ohr treffen,
so spielt dieselbe, wie es scheint, hier die nämliche Rolle,
wie sie den Hörsteinchen bei jener niedersten Form eines
Gehörorgans zukommt. Aber dabei ist noch eine andere
Veränderung eingetreten, die die ungeheure Differenzirung
des Empfindungssystems begreiflich macht. Jene Grund-
membran der Schnecke hat nämlich in ihren verschiedenen
Theilen einen wechselnden Querdurchmesser, indem sie von
der Basis zur Spitze des Schneckenkanals immer breiter
wird. Sie verhält sich also wie ein System gespannter
Saiten von verschiedener Länge, und wie bei einem solchen
unter sonst gleichen Bedingungen die längeren Saiten auf
tiefere, die kürzeren auf höhere Töne abgestimmt sind, so lässt
sich das gleiche auch für die verschiedenen Theile der Grund-
membran annehmen. Während wir also vermuthen dürfen,
dass das den einfachsten mit Otolithen versehenen Gehör-
organen entsprechende Empfindungssystem ein gleichförmiges
ist, analog etwa unserm System der Druckempfindungen, macht

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[48/0064] I. Die psychischen Elemente. Durch Schallschwingungen werden die Gehörsteine in Oscil- lationen versetzt, die als eine rasche Folge schwacher Druck- reize auf die Fasern des Nervenbüschels einwirken müssen. So ungemein verwickelt nun das Gehörorgan der höheren Thiere gebaut ist, so erinnert es doch in seinen wesentlichen Ein- richtungen an diesen Typus eines einfachsten Hörapparates. In der Schnecke des Menschen und der höheren Thiere durchsetzen die Hörnerven die von zahlreichen feinen Ca- nälen durchbohrte Spindel und treten dann durch die nach dem Hohlraum der Schnecke gekehrten Poren, um sich in einer diesen Hohlraum in einigen spiraligen Windungen durchziehenden, straff gespannten und durch besondere starre Pfeiler (die Corti’schen Bogen) beschwerten Membran auszubreiten. Da diese Membran, die Grundmembran ge- nannt, nach akustischen Gesetzen in Mitschwingungen ge- rathen muss, sobald Schallschwingungen das Ohr treffen, so spielt dieselbe, wie es scheint, hier die nämliche Rolle, wie sie den Hörsteinchen bei jener niedersten Form eines Gehörorgans zukommt. Aber dabei ist noch eine andere Veränderung eingetreten, die die ungeheure Differenzirung des Empfindungssystems begreiflich macht. Jene Grund- membran der Schnecke hat nämlich in ihren verschiedenen Theilen einen wechselnden Querdurchmesser, indem sie von der Basis zur Spitze des Schneckenkanals immer breiter wird. Sie verhält sich also wie ein System gespannter Saiten von verschiedener Länge, und wie bei einem solchen unter sonst gleichen Bedingungen die längeren Saiten auf tiefere, die kürzeren auf höhere Töne abgestimmt sind, so lässt sich das gleiche auch für die verschiedenen Theile der Grund- membran annehmen. Während wir also vermuthen dürfen, dass das den einfachsten mit Otolithen versehenen Gehör- organen entsprechende Empfindungssystem ein gleichförmiges ist, analog etwa unserm System der Druckempfindungen, macht

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/64>, abgerufen am 24.11.2024.