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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 6. Die reinen Empfindungen.
Druck- und die Schmerzempfindungen in sich abgeschlossene
Systeme, die weder zu einander noch zu den beiden Systemen
der Temperaturempfindung Beziehungen darbieten. Dagegen
pflegen wir die letzteren in das Verhältniss eines Gegen-
satzes
zu bringen, indem wir Wärme und Kälte nicht bloß
als verschiedene, sondern als contrastirende Empfindungen
auffassen. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass diese
Auffassung nicht in der ursprünglichen Natur der Empfin-
dungen, sondern theils in den Bedingungen ihrer Entstehung
theils in den begleitenden Gefühlen ihre Quelle hat. Während
sich nämlich die übrigen Qualitäten beliebig mit einander
verbinden und Mischempfindungen bilden können, z. B. Druck
und Wärme, Druck und Schmerz, Kälte und Schmerz u. s. w.,
schließen Wärme und Kälte vermöge der Bedingungen ihrer
Entstehung derart einander aus, dass an einer gegebenen
Hautstelle nur entweder Wärme- oder Kälteempfindung oder
keine von beiden möglich ist. Wo aber etwa die eine dieser
Empfindungen continuirlich in die andere übergeht, da ge-
schieht dies regelmäßig derart, dass entweder die Wärme-
empfindung allmählich verschwindet und dann eine stetig
zunehmende Kälteempfindung entsteht, oder umgekehrt diese
verschwindet und jene allmählich wächst. Dazu kommt
dann, dass an Wärme und Kälte elementare Gefühlsgegen-
sätze geknüpft sind, zwischen denen der Punkt, wo beide
Empfindungen verschwinden, als der Indifferenzpunkt er-
scheint.

Noch in einer andern Beziehung verhalten sich endlich
die beiden Systeme der Temperaturempfindungen eigenartig.
Sie sind nämlich in hohem Grade von den wechselnden
Bedingungen der Reizeinwirkung auf das Sinnesorgan ab-
hängig, indem eine erhebliche Erhöhung über seine Eigen-
temperatur als Wärme, eine Vertiefung unter dieselbe als
Kälte empfunden wird, während zugleich die Eigentemperatur

§ 6. Die reinen Empfindungen.
Druck- und die Schmerzempfindungen in sich abgeschlossene
Systeme, die weder zu einander noch zu den beiden Systemen
der Temperaturempfindung Beziehungen darbieten. Dagegen
pflegen wir die letzteren in das Verhältniss eines Gegen-
satzes
zu bringen, indem wir Wärme und Kälte nicht bloß
als verschiedene, sondern als contrastirende Empfindungen
auffassen. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass diese
Auffassung nicht in der ursprünglichen Natur der Empfin-
dungen, sondern theils in den Bedingungen ihrer Entstehung
theils in den begleitenden Gefühlen ihre Quelle hat. Während
sich nämlich die übrigen Qualitäten beliebig mit einander
verbinden und Mischempfindungen bilden können, z. B. Druck
und Wärme, Druck und Schmerz, Kälte und Schmerz u. s. w.,
schließen Wärme und Kälte vermöge der Bedingungen ihrer
Entstehung derart einander aus, dass an einer gegebenen
Hautstelle nur entweder Wärme- oder Kälteempfindung oder
keine von beiden möglich ist. Wo aber etwa die eine dieser
Empfindungen continuirlich in die andere übergeht, da ge-
schieht dies regelmäßig derart, dass entweder die Wärme-
empfindung allmählich verschwindet und dann eine stetig
zunehmende Kälteempfindung entsteht, oder umgekehrt diese
verschwindet und jene allmählich wächst. Dazu kommt
dann, dass an Wärme und Kälte elementare Gefühlsgegen-
sätze geknüpft sind, zwischen denen der Punkt, wo beide
Empfindungen verschwinden, als der Indifferenzpunkt er-
scheint.

Noch in einer andern Beziehung verhalten sich endlich
die beiden Systeme der Temperaturempfindungen eigenartig.
Sie sind nämlich in hohem Grade von den wechselnden
Bedingungen der Reizeinwirkung auf das Sinnesorgan ab-
hängig, indem eine erhebliche Erhöhung über seine Eigen-
temperatur als Wärme, eine Vertiefung unter dieselbe als
Kälte empfunden wird, während zugleich die Eigentemperatur

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[57/0073] § 6. Die reinen Empfindungen. Druck- und die Schmerzempfindungen in sich abgeschlossene Systeme, die weder zu einander noch zu den beiden Systemen der Temperaturempfindung Beziehungen darbieten. Dagegen pflegen wir die letzteren in das Verhältniss eines Gegen- satzes zu bringen, indem wir Wärme und Kälte nicht bloß als verschiedene, sondern als contrastirende Empfindungen auffassen. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass diese Auffassung nicht in der ursprünglichen Natur der Empfin- dungen, sondern theils in den Bedingungen ihrer Entstehung theils in den begleitenden Gefühlen ihre Quelle hat. Während sich nämlich die übrigen Qualitäten beliebig mit einander verbinden und Mischempfindungen bilden können, z. B. Druck und Wärme, Druck und Schmerz, Kälte und Schmerz u. s. w., schließen Wärme und Kälte vermöge der Bedingungen ihrer Entstehung derart einander aus, dass an einer gegebenen Hautstelle nur entweder Wärme- oder Kälteempfindung oder keine von beiden möglich ist. Wo aber etwa die eine dieser Empfindungen continuirlich in die andere übergeht, da ge- schieht dies regelmäßig derart, dass entweder die Wärme- empfindung allmählich verschwindet und dann eine stetig zunehmende Kälteempfindung entsteht, oder umgekehrt diese verschwindet und jene allmählich wächst. Dazu kommt dann, dass an Wärme und Kälte elementare Gefühlsgegen- sätze geknüpft sind, zwischen denen der Punkt, wo beide Empfindungen verschwinden, als der Indifferenzpunkt er- scheint. Noch in einer andern Beziehung verhalten sich endlich die beiden Systeme der Temperaturempfindungen eigenartig. Sie sind nämlich in hohem Grade von den wechselnden Bedingungen der Reizeinwirkung auf das Sinnesorgan ab- hängig, indem eine erhebliche Erhöhung über seine Eigen- temperatur als Wärme, eine Vertiefung unter dieselbe als Kälte empfunden wird, während zugleich die Eigentemperatur

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/73>, abgerufen am 09.11.2024.