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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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I. Die psychischen Elemente.
bloß farbige, sondern auch farblose Empfindungen erzeugen
kann, da es sich bei stärkster Amplitude der Schwingungen
dem Weiß nähert, bei geringster in Schwarz übergeht. Die
Qualität der farblosen Empfindung ist also mehrdeutig.
da sie ebensowohl durch Stärkeänderung des objectiven
Lichtes, wie durch Mischung einfacher Lichtschwingungen
von verschiedenen Wellenlängen hervorgebracht werden
kann. Nur ist im ersteren Fall mit der Stärkeänderung
immer zugleich eine Aenderung des Helligkeitsgrades ver-
bunden, während dieser im zweiten Fall, bei der Mischung,
unverändert bleiben kann.

22. Selbst wenn der Helligkeitsgrad der Empfindung
constant erhalten wird, ist jedoch die farblose Empfindung
immer noch mehrdeutig. Eine reine Helligkeitsempfindung
von gegebener Stärke wird nämlich nicht bloß, wie z. B. im
gewöhnlichen Tageslicht, durch eine Mischung aller im
Sonnenlicht enthaltenen Schwingungsstufen hervorgebracht,
sondern auch dann, wenn man nur zwei derselben, und zwar
diejenigen, die den zwei subjectiv von einander entferntesten
Empfindungen, den Gegenfarben, entsprechen, in geeignetem
Verhältnisse mischt. Insofern die objectiven Mischungen der
Gegenfarben die Empfindung Weiß erzeugen, nennt man sie
auch Ergänzungs- oder Complementärfarben. Spek-
trales Roth und Grünblau, Orange und Himmelblau, Gelb
und Indigoblau u. s. w. sind also gleichzeitig Gegenfarben
und Complementärfarben.

Wie die farblose, so ist aber auch jede einzelne Farben-
empfindung, wenngleich in einem beschränkteren Grade,
mehrdeutig. Sobald man nämlich zwei objective Farben
mischt, die einander im Farbenkreis näher liegen als die
Gegenfarben, so erscheint die Mischung nicht weiß, sondern
farbig, und zwar in der Farbe, die auch in der Reihe der
objectiv einfachen Farben der zwischenliegenden Farben-

I. Die psychischen Elemente.
bloß farbige, sondern auch farblose Empfindungen erzeugen
kann, da es sich bei stärkster Amplitude der Schwingungen
dem Weiß nähert, bei geringster in Schwarz übergeht. Die
Qualität der farblosen Empfindung ist also mehrdeutig.
da sie ebensowohl durch Stärkeänderung des objectiven
Lichtes, wie durch Mischung einfacher Lichtschwingungen
von verschiedenen Wellenlängen hervorgebracht werden
kann. Nur ist im ersteren Fall mit der Stärkeänderung
immer zugleich eine Aenderung des Helligkeitsgrades ver-
bunden, während dieser im zweiten Fall, bei der Mischung,
unverändert bleiben kann.

22. Selbst wenn der Helligkeitsgrad der Empfindung
constant erhalten wird, ist jedoch die farblose Empfindung
immer noch mehrdeutig. Eine reine Helligkeitsempfindung
von gegebener Stärke wird nämlich nicht bloß, wie z. B. im
gewöhnlichen Tageslicht, durch eine Mischung aller im
Sonnenlicht enthaltenen Schwingungsstufen hervorgebracht,
sondern auch dann, wenn man nur zwei derselben, und zwar
diejenigen, die den zwei subjectiv von einander entferntesten
Empfindungen, den Gegenfarben, entsprechen, in geeignetem
Verhältnisse mischt. Insofern die objectiven Mischungen der
Gegenfarben die Empfindung Weiß erzeugen, nennt man sie
auch Ergänzungs- oder Complementärfarben. Spek-
trales Roth und Grünblau, Orange und Himmelblau, Gelb
und Indigoblau u. s. w. sind also gleichzeitig Gegenfarben
und Complementärfarben.

Wie die farblose, so ist aber auch jede einzelne Farben-
empfindung, wenngleich in einem beschränkteren Grade,
mehrdeutig. Sobald man nämlich zwei objective Farben
mischt, die einander im Farbenkreis näher liegen als die
Gegenfarben, so erscheint die Mischung nicht weiß, sondern
farbig, und zwar in der Farbe, die auch in der Reihe der
objectiv einfachen Farben der zwischenliegenden Farben-

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[78/0094] I. Die psychischen Elemente. bloß farbige, sondern auch farblose Empfindungen erzeugen kann, da es sich bei stärkster Amplitude der Schwingungen dem Weiß nähert, bei geringster in Schwarz übergeht. Die Qualität der farblosen Empfindung ist also mehrdeutig. da sie ebensowohl durch Stärkeänderung des objectiven Lichtes, wie durch Mischung einfacher Lichtschwingungen von verschiedenen Wellenlängen hervorgebracht werden kann. Nur ist im ersteren Fall mit der Stärkeänderung immer zugleich eine Aenderung des Helligkeitsgrades ver- bunden, während dieser im zweiten Fall, bei der Mischung, unverändert bleiben kann. 22. Selbst wenn der Helligkeitsgrad der Empfindung constant erhalten wird, ist jedoch die farblose Empfindung immer noch mehrdeutig. Eine reine Helligkeitsempfindung von gegebener Stärke wird nämlich nicht bloß, wie z. B. im gewöhnlichen Tageslicht, durch eine Mischung aller im Sonnenlicht enthaltenen Schwingungsstufen hervorgebracht, sondern auch dann, wenn man nur zwei derselben, und zwar diejenigen, die den zwei subjectiv von einander entferntesten Empfindungen, den Gegenfarben, entsprechen, in geeignetem Verhältnisse mischt. Insofern die objectiven Mischungen der Gegenfarben die Empfindung Weiß erzeugen, nennt man sie auch Ergänzungs- oder Complementärfarben. Spek- trales Roth und Grünblau, Orange und Himmelblau, Gelb und Indigoblau u. s. w. sind also gleichzeitig Gegenfarben und Complementärfarben. Wie die farblose, so ist aber auch jede einzelne Farben- empfindung, wenngleich in einem beschränkteren Grade, mehrdeutig. Sobald man nämlich zwei objective Farben mischt, die einander im Farbenkreis näher liegen als die Gegenfarben, so erscheint die Mischung nicht weiß, sondern farbig, und zwar in der Farbe, die auch in der Reihe der objectiv einfachen Farben der zwischenliegenden Farben-

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/94>, abgerufen am 09.11.2024.