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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Die allgemeinsten Naturgesetze.
die zwischen sehr nahe gelegenen Theilchen wirksamen Kräfte von den Entfernungen
derselben stehen. Weder ist bekannt, ob die Anziehungskräfte auch bei grosser An-
näherung nach dem umgekehrten Verhältniss des Quadrats der Entfernungen wirken,
obgleich man dies häufig annimmt, noch ist die Function der Entfernung für die Ab-
stossungskräfte ermittelt. Was die letzteren betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass sie
bei zunehmender Distanz rascher als im Verhältniss des Quadrates der Entfernungen
abnehmen. (S. §. 14.)

Im vorigen §. haben wir gesehen, dass die Kraft, welche zwei Körper auf ein-
ander ausüben, proportional dem Product ihrer Massen ist. Nimmt man hierzu, dass
die Kräfte nach dem umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernungen wirken,
so wird demnach das Gesetz für die Wirkung der Centralkräfte ausgedrückt durch
den Bruch
[Formel 1] worin m und m' die beiden auf einander wirkenden Massen und r deren Entfernung
bedeutet.

Das Gesetz der Zusammensetzung der Kräfte schliesst10
Gesetz der Zu-
sammensetzung
der Kräfte.

sich unmittelbar an das vorige an. Dasselbe lässt sich folgendermas-
sen ausdrücken: Wenn mehrere Kräfte gleichzeitig auf einen Punkt
einwirken, so erzeugen sie die nämliche Ortsveränderung desselben,
als wenn sie nach einander eingewirkt hätten. Nach diesem Prin-
cip kann man also stets die Wirkung, welche in einer gegebenen Zeit
beliebig viele Kräfte auf einen Punkt ausüben, finden, wenn man nur
die Wirkung kennt, welche jede einzelne ausgeübt haben würde. Man
führt also den Punkt zuerst den Weg, welchen er unter dem Einfluss
der ersten Kraft zurückgelegt hätte, dann den Weg, welchen er unter
dem Einflusse der zweiten Kraft zurückgelegt hätte, u. s. f. Ist man
so an der letzten Kraft angelangt, so hat man schliesslich den Punkt
an den Ort gebracht, welchen er durch das gleichzeitige Zusammen-
wirken der Kräfte erreicht. Dabei ist es aber vollkommen gleichgül-
tig, in welche Reihenfolge man sich die gleichzeitige Wirkung der
Kräfte aufgelöst denkt. Man kann dieses Gesetz als eine unmittelbar
aus dem Causalgesetz hervorgehende Wahrheit betrachten, da nach
letzterem eine gegebene Summe von Ursachen, wenn alle andern Um-
stände dieselben bleiben, die nämliche Wirkung äussern muss, ob die
Ursachen gleichzeitig oder in einer beliebigen Reihenfolge stattfinden.
Das Gesetz bildet übrigens eine wesentliche Ergänzung zu dem Gesetz
der Trägheit und dem der geradlinigen Richtung der Kräfte, indem
auf diese drei Axiome die Hauptsätze der Mechanik sich stützen.

Das Gesetz der Erhaltung der Kraft sagt aus, dass die11
Gesetz der Er-
haltung der
Kraft.

Summe aller Kräfte in der Natur constant bleibt. Dabei muss man
jedoch beachten, dass, obgleich der Ausdruck Kraft nur eine Bezeich-
nung für eine Bewegungsursache ist, doch eine Kraft nur dann in
einer Bewegung sich äussern kann, wenn ihr nicht eine andere Kraft

Die allgemeinsten Naturgesetze.
die zwischen sehr nahe gelegenen Theilchen wirksamen Kräfte von den Entfernungen
derselben stehen. Weder ist bekannt, ob die Anziehungskräfte auch bei grosser An-
näherung nach dem umgekehrten Verhältniss des Quadrats der Entfernungen wirken,
obgleich man dies häufig annimmt, noch ist die Function der Entfernung für die Ab-
stossungskräfte ermittelt. Was die letzteren betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass sie
bei zunehmender Distanz rascher als im Verhältniss des Quadrates der Entfernungen
abnehmen. (S. §. 14.)

Im vorigen §. haben wir gesehen, dass die Kraft, welche zwei Körper auf ein-
ander ausüben, proportional dem Product ihrer Massen ist. Nimmt man hierzu, dass
die Kräfte nach dem umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernungen wirken,
so wird demnach das Gesetz für die Wirkung der Centralkräfte ausgedrückt durch
den Bruch
[Formel 1] worin m und m' die beiden auf einander wirkenden Massen und r deren Entfernung
bedeutet.

Das Gesetz der Zusammensetzung der Kräfte schliesst10
Gesetz der Zu-
sammensetzung
der Kräfte.

sich unmittelbar an das vorige an. Dasselbe lässt sich folgendermas-
sen ausdrücken: Wenn mehrere Kräfte gleichzeitig auf einen Punkt
einwirken, so erzeugen sie die nämliche Ortsveränderung desselben,
als wenn sie nach einander eingewirkt hätten. Nach diesem Prin-
cip kann man also stets die Wirkung, welche in einer gegebenen Zeit
beliebig viele Kräfte auf einen Punkt ausüben, finden, wenn man nur
die Wirkung kennt, welche jede einzelne ausgeübt haben würde. Man
führt also den Punkt zuerst den Weg, welchen er unter dem Einfluss
der ersten Kraft zurückgelegt hätte, dann den Weg, welchen er unter
dem Einflusse der zweiten Kraft zurückgelegt hätte, u. s. f. Ist man
so an der letzten Kraft angelangt, so hat man schliesslich den Punkt
an den Ort gebracht, welchen er durch das gleichzeitige Zusammen-
wirken der Kräfte erreicht. Dabei ist es aber vollkommen gleichgül-
tig, in welche Reihenfolge man sich die gleichzeitige Wirkung der
Kräfte aufgelöst denkt. Man kann dieses Gesetz als eine unmittelbar
aus dem Causalgesetz hervorgehende Wahrheit betrachten, da nach
letzterem eine gegebene Summe von Ursachen, wenn alle andern Um-
stände dieselben bleiben, die nämliche Wirkung äussern muss, ob die
Ursachen gleichzeitig oder in einer beliebigen Reihenfolge stattfinden.
Das Gesetz bildet übrigens eine wesentliche Ergänzung zu dem Gesetz
der Trägheit und dem der geradlinigen Richtung der Kräfte, indem
auf diese drei Axiome die Hauptsätze der Mechanik sich stützen.

Das Gesetz der Erhaltung der Kraft sagt aus, dass die11
Gesetz der Er-
haltung der
Kraft.

Summe aller Kräfte in der Natur constant bleibt. Dabei muss man
jedoch beachten, dass, obgleich der Ausdruck Kraft nur eine Bezeich-
nung für eine Bewegungsursache ist, doch eine Kraft nur dann in
einer Bewegung sich äussern kann, wenn ihr nicht eine andere Kraft

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[9/0031] Die allgemeinsten Naturgesetze. die zwischen sehr nahe gelegenen Theilchen wirksamen Kräfte von den Entfernungen derselben stehen. Weder ist bekannt, ob die Anziehungskräfte auch bei grosser An- näherung nach dem umgekehrten Verhältniss des Quadrats der Entfernungen wirken, obgleich man dies häufig annimmt, noch ist die Function der Entfernung für die Ab- stossungskräfte ermittelt. Was die letzteren betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass sie bei zunehmender Distanz rascher als im Verhältniss des Quadrates der Entfernungen abnehmen. (S. §. 14.) Im vorigen §. haben wir gesehen, dass die Kraft, welche zwei Körper auf ein- ander ausüben, proportional dem Product ihrer Massen ist. Nimmt man hierzu, dass die Kräfte nach dem umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernungen wirken, so wird demnach das Gesetz für die Wirkung der Centralkräfte ausgedrückt durch den Bruch [FORMEL] worin m und m' die beiden auf einander wirkenden Massen und r deren Entfernung bedeutet. Das Gesetz der Zusammensetzung der Kräfte schliesst sich unmittelbar an das vorige an. Dasselbe lässt sich folgendermas- sen ausdrücken: Wenn mehrere Kräfte gleichzeitig auf einen Punkt einwirken, so erzeugen sie die nämliche Ortsveränderung desselben, als wenn sie nach einander eingewirkt hätten. Nach diesem Prin- cip kann man also stets die Wirkung, welche in einer gegebenen Zeit beliebig viele Kräfte auf einen Punkt ausüben, finden, wenn man nur die Wirkung kennt, welche jede einzelne ausgeübt haben würde. Man führt also den Punkt zuerst den Weg, welchen er unter dem Einfluss der ersten Kraft zurückgelegt hätte, dann den Weg, welchen er unter dem Einflusse der zweiten Kraft zurückgelegt hätte, u. s. f. Ist man so an der letzten Kraft angelangt, so hat man schliesslich den Punkt an den Ort gebracht, welchen er durch das gleichzeitige Zusammen- wirken der Kräfte erreicht. Dabei ist es aber vollkommen gleichgül- tig, in welche Reihenfolge man sich die gleichzeitige Wirkung der Kräfte aufgelöst denkt. Man kann dieses Gesetz als eine unmittelbar aus dem Causalgesetz hervorgehende Wahrheit betrachten, da nach letzterem eine gegebene Summe von Ursachen, wenn alle andern Um- stände dieselben bleiben, die nämliche Wirkung äussern muss, ob die Ursachen gleichzeitig oder in einer beliebigen Reihenfolge stattfinden. Das Gesetz bildet übrigens eine wesentliche Ergänzung zu dem Gesetz der Trägheit und dem der geradlinigen Richtung der Kräfte, indem auf diese drei Axiome die Hauptsätze der Mechanik sich stützen. 10 Gesetz der Zu- sammensetzung der Kräfte. Das Gesetz der Erhaltung der Kraft sagt aus, dass die Summe aller Kräfte in der Natur constant bleibt. Dabei muss man jedoch beachten, dass, obgleich der Ausdruck Kraft nur eine Bezeich- nung für eine Bewegungsursache ist, doch eine Kraft nur dann in einer Bewegung sich äussern kann, wenn ihr nicht eine andere Kraft 11 Gesetz der Er- haltung der Kraft.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/31>, abgerufen am 25.11.2024.