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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Veränderungen des Aggregatzustandes.
einer Legirung aus 2 Th. Wismuth, 1 Blei und 1 Zinn, des s. g. Rose'-
schen Metallgemisches, sinkt aber auf 94° herab. Aehnlich liegt, wie
Heintz gezeigt hat, der Schmelzpunkt von Gemengen fetter Säuren
tiefer als derjenige ihrer Bestandtheile; man hat hier, da Stearin- und
Palmitinsäure chemisch schwer trennbare Bestandtheile des thierischen
Fettes sind, die Siedepunkte benützt, um aus ihnen auf das Mengen-
verhältniss beider Säuren in der Mischung zu schliessen. Die Stearin-
säure schmilzt bei 69°, die Palmitinsäure bei 62°, ein Gemisch aus
30 Th. Stearin- und 70 Palmitinsäure aber schon bei 55°.

Aehnliche Verhältnisse zeigt das Wasser, wenn in ihm Salze ge-
löst sind. Aus einer Salzlösung gefriert reines Wasser, aber erst bei
einer niedrigeren Temperatur, als wenn das Wasser unvermischt ist.
Der Gefrierpunkt des Seewassers liegt daher tiefer als derjenige des
süssen Wassers. Eine Beimischung von 2 Th. Kochsalz auf 100 Was-
ser setzt schon den Gefrierpunkt auf -- 1,2°, eine Beimischung von
12 Th. Salz setzt denselben auf -- 7,2° herab. Auch beim Sieden
verdampft aus Salzlösungen nur reines Wasser. Trotzdem liegt der
Siedepunkt der Salzlösungen höher. Bei Kochsalzlösungen steigt der
Siedepunkt nahezu proportional dem Salzgehalt. 7,7 Th. Kochsalz
auf 100 Wasser erhöhen den Siedepunkt um 1°C., 39,7 Th. erhöhen
ihn um 8°.

Wir können diese Einflüsse der Legirung und Lösung auf den
Siedepunkt nur auf Verhältnisse der Molecularattraction zurückführen.
Die Theilchen eines Salzes scheinen durch die Anziehung, welche sie
auf die Theilchen des Wassers ausüben, die letzteren an einer neuen
Aggregation zu hindern. In einem innigen Gemenge verschiedener
Metalle scheint dagegen die Cohäsion, mit welcher die Theilchen eines
jeden einzelnen Metalls zusammenhängen, verringert zu sein, daher
die Legirung im Allgemeinen einer geringeren Wärmezufuhr bedarf,
um in den flüssigen Aggregatzustand überzugehen, als das unver-
mischte Metall. Hiermit stimmt überein, dass schon die blosse Ad-
häsion
, die mechanische Berührung mit einem festen Körper, den
Siedepunkt einer Flüssigkeit zu verändern vermag. So zeigt der
Siedepunkt selbst nach dem Gefäss, in welchem man die Flüssigkeit
zum Sieden bringt, geringe Schwankungen. Je stärker die Adhäsion
der Flüssigkeit zu der Substanz des Gefässes ist, um so höher ist die
Siedetemperatur. In Metallgefässen siedet daher das Wasser bei etwas
niedrigerer Temperatur als in Glasgefässen, in letzteren gewöhnlich
bei 101°, in ersteren genau bei 100°. Bringt man die Innenfläche des
Glasgefässes längere Zeit mit Schwefelsäure oder kaustischem Kali
in Berührung, so ist auch nachdem jede Spur dieser Stoffe entfernt
ist, doch die Siedetemperatur des Wassers in solchen Gefässen um
3--5°C. erhöht. Dagegen bewirkt Einwerfen von Metallfeile in die
Flüssigkeit alsbald eine Erniedrigung des Siedepunktes. Hat man

Veränderungen des Aggregatzustandes.
einer Legirung aus 2 Th. Wismuth, 1 Blei und 1 Zinn, des s. g. Rose’-
schen Metallgemisches, sinkt aber auf 94° herab. Aehnlich liegt, wie
Heintz gezeigt hat, der Schmelzpunkt von Gemengen fetter Säuren
tiefer als derjenige ihrer Bestandtheile; man hat hier, da Stearin- und
Palmitinsäure chemisch schwer trennbare Bestandtheile des thierischen
Fettes sind, die Siedepunkte benützt, um aus ihnen auf das Mengen-
verhältniss beider Säuren in der Mischung zu schliessen. Die Stearin-
säure schmilzt bei 69°, die Palmitinsäure bei 62°, ein Gemisch aus
30 Th. Stearin- und 70 Palmitinsäure aber schon bei 55°.

Aehnliche Verhältnisse zeigt das Wasser, wenn in ihm Salze ge-
löst sind. Aus einer Salzlösung gefriert reines Wasser, aber erst bei
einer niedrigeren Temperatur, als wenn das Wasser unvermischt ist.
Der Gefrierpunkt des Seewassers liegt daher tiefer als derjenige des
süssen Wassers. Eine Beimischung von 2 Th. Kochsalz auf 100 Was-
ser setzt schon den Gefrierpunkt auf — 1,2°, eine Beimischung von
12 Th. Salz setzt denselben auf — 7,2° herab. Auch beim Sieden
verdampft aus Salzlösungen nur reines Wasser. Trotzdem liegt der
Siedepunkt der Salzlösungen höher. Bei Kochsalzlösungen steigt der
Siedepunkt nahezu proportional dem Salzgehalt. 7,7 Th. Kochsalz
auf 100 Wasser erhöhen den Siedepunkt um 1°C., 39,7 Th. erhöhen
ihn um 8°.

Wir können diese Einflüsse der Legirung und Lösung auf den
Siedepunkt nur auf Verhältnisse der Molecularattraction zurückführen.
Die Theilchen eines Salzes scheinen durch die Anziehung, welche sie
auf die Theilchen des Wassers ausüben, die letzteren an einer neuen
Aggregation zu hindern. In einem innigen Gemenge verschiedener
Metalle scheint dagegen die Cohäsion, mit welcher die Theilchen eines
jeden einzelnen Metalls zusammenhängen, verringert zu sein, daher
die Legirung im Allgemeinen einer geringeren Wärmezufuhr bedarf,
um in den flüssigen Aggregatzustand überzugehen, als das unver-
mischte Metall. Hiermit stimmt überein, dass schon die blosse Ad-
häsion
, die mechanische Berührung mit einem festen Körper, den
Siedepunkt einer Flüssigkeit zu verändern vermag. So zeigt der
Siedepunkt selbst nach dem Gefäss, in welchem man die Flüssigkeit
zum Sieden bringt, geringe Schwankungen. Je stärker die Adhäsion
der Flüssigkeit zu der Substanz des Gefässes ist, um so höher ist die
Siedetemperatur. In Metallgefässen siedet daher das Wasser bei etwas
niedrigerer Temperatur als in Glasgefässen, in letzteren gewöhnlich
bei 101°, in ersteren genau bei 100°. Bringt man die Innenfläche des
Glasgefässes längere Zeit mit Schwefelsäure oder kaustischem Kali
in Berührung, so ist auch nachdem jede Spur dieser Stoffe entfernt
ist, doch die Siedetemperatur des Wassers in solchen Gefässen um
3—5°C. erhöht. Dagegen bewirkt Einwerfen von Metallfeile in die
Flüssigkeit alsbald eine Erniedrigung des Siedepunktes. Hat man

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[383/0405] Veränderungen des Aggregatzustandes. einer Legirung aus 2 Th. Wismuth, 1 Blei und 1 Zinn, des s. g. Rose’- schen Metallgemisches, sinkt aber auf 94° herab. Aehnlich liegt, wie Heintz gezeigt hat, der Schmelzpunkt von Gemengen fetter Säuren tiefer als derjenige ihrer Bestandtheile; man hat hier, da Stearin- und Palmitinsäure chemisch schwer trennbare Bestandtheile des thierischen Fettes sind, die Siedepunkte benützt, um aus ihnen auf das Mengen- verhältniss beider Säuren in der Mischung zu schliessen. Die Stearin- säure schmilzt bei 69°, die Palmitinsäure bei 62°, ein Gemisch aus 30 Th. Stearin- und 70 Palmitinsäure aber schon bei 55°. Aehnliche Verhältnisse zeigt das Wasser, wenn in ihm Salze ge- löst sind. Aus einer Salzlösung gefriert reines Wasser, aber erst bei einer niedrigeren Temperatur, als wenn das Wasser unvermischt ist. Der Gefrierpunkt des Seewassers liegt daher tiefer als derjenige des süssen Wassers. Eine Beimischung von 2 Th. Kochsalz auf 100 Was- ser setzt schon den Gefrierpunkt auf — 1,2°, eine Beimischung von 12 Th. Salz setzt denselben auf — 7,2° herab. Auch beim Sieden verdampft aus Salzlösungen nur reines Wasser. Trotzdem liegt der Siedepunkt der Salzlösungen höher. Bei Kochsalzlösungen steigt der Siedepunkt nahezu proportional dem Salzgehalt. 7,7 Th. Kochsalz auf 100 Wasser erhöhen den Siedepunkt um 1°C., 39,7 Th. erhöhen ihn um 8°. Wir können diese Einflüsse der Legirung und Lösung auf den Siedepunkt nur auf Verhältnisse der Molecularattraction zurückführen. Die Theilchen eines Salzes scheinen durch die Anziehung, welche sie auf die Theilchen des Wassers ausüben, die letzteren an einer neuen Aggregation zu hindern. In einem innigen Gemenge verschiedener Metalle scheint dagegen die Cohäsion, mit welcher die Theilchen eines jeden einzelnen Metalls zusammenhängen, verringert zu sein, daher die Legirung im Allgemeinen einer geringeren Wärmezufuhr bedarf, um in den flüssigen Aggregatzustand überzugehen, als das unver- mischte Metall. Hiermit stimmt überein, dass schon die blosse Ad- häsion, die mechanische Berührung mit einem festen Körper, den Siedepunkt einer Flüssigkeit zu verändern vermag. So zeigt der Siedepunkt selbst nach dem Gefäss, in welchem man die Flüssigkeit zum Sieden bringt, geringe Schwankungen. Je stärker die Adhäsion der Flüssigkeit zu der Substanz des Gefässes ist, um so höher ist die Siedetemperatur. In Metallgefässen siedet daher das Wasser bei etwas niedrigerer Temperatur als in Glasgefässen, in letzteren gewöhnlich bei 101°, in ersteren genau bei 100°. Bringt man die Innenfläche des Glasgefässes längere Zeit mit Schwefelsäure oder kaustischem Kali in Berührung, so ist auch nachdem jede Spur dieser Stoffe entfernt ist, doch die Siedetemperatur des Wassers in solchen Gefässen um 3—5°C. erhöht. Dagegen bewirkt Einwerfen von Metallfeile in die Flüssigkeit alsbald eine Erniedrigung des Siedepunktes. Hat man

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/405>, abgerufen am 05.12.2024.