Anspruch auf reale Wahrheit erheben zu können. Ueber das eigent- liche Wesen der elektrischen Erscheinungen befinden wir uns vielmehr vollständig im Ungewissen. Wir kennen die Elektricität nur aus ihren Wirkungen, also theils aus den oben erwähnten Anziehungs- und Ab- stossungserscheinungen, theils aus den Wärme- und Lichteffecten, den chemischen und mechanischen Wirkungen, sowie den Erregungen un- serer Nerven, die bei der Ausgleichung der entgegengesetzten elek- trischen Zustände einzutreten pflegen.
Unsere Betrachtung der elektrischen Erscheinungen wird sich zuerst mit den Erregungsweisen der Elektricität beschäftigen. Wir werden dann ein Maass für die Intensität des elektrischen Zustandes zu gewinnen suchen, um hierauf die Gesetze der elektrischen Ausglei- chung, der Elektricitätsbewegung, und die hierbei eintretenden Wir- kungen zu zergliedern. Die letzteren aber äussern sich theils inner- halb der Körper, in welchen die Elektricität sich bewegt, theils in die Ferne. Wir unterscheiden daher Wirkungen in dem Stromeskreis und Fernewirkungen des elektrischen Stroms. Als Fernewirkungen von besonderer Wichtigkeit sind die Erscheinungen des Magnetismus, des Elektromagnetismus und Diamagnetismus sowie der elektrischen und magnetischen Induction hervorzuheben.
Erstes Capitel. Erregung der Elektricität.
288 Elektricität durch Reibung. Anziehung und Abstossung elektrischer Körper. Posi- tive und nega- tive Elektricität. Idioelektrische und anelektri- sche Körper.
Die Elektricität trägt ihren Namen von dem Bernstein (elektron), von welchem schon die Alten beobachteten, dass er, mit einem trocke- nen Tuche gerieben, die Eigenschaft annimmt, leichte Körperchen an- zuziehen. Aehnlich dem Bernstein verhalten sich Siegellack, Harze, Glas, Schwefel. Reibt man dieselben mit Seide, Wolle oder Pelz, so bleiben kleine Papierschnitzel oder Kügelchen von Hollundermark an ihnen kleben. Hängt man ein Hollundermarkkügelchen an einem Sei- denfaden auf, so wird es zuerst von dem geriebenen Harz oder Glas angezogen, nach der Berührung mit demselben aber wieder abgestos- sen, so dass es nun bei der Annäherung des geriebenen Körpers flieht. Nähert man einer Harz- oder Glasstange, nachdem man sie durch heftiges Reiben elektrisch gemacht hat, ein Metall, so springt wohl auch unter knisterndem Geräusch ein Funke auf das Metall über, die geriebene Stange hat aber nachher ihre Elektricität ver- loren.
Hat man einem Hollundermarkkügelchen die durch Reibung einer Glasstange entstandene Elektricität mitgetheilt, so wird dasselbe von jeder andern auf die nämliche Weise in den elektrischen Zustand versetzten Glasstange abgestossen, von einer durch Reibung elektrisch
Von der Elektricität.
Anspruch auf reale Wahrheit erheben zu können. Ueber das eigent- liche Wesen der elektrischen Erscheinungen befinden wir uns vielmehr vollständig im Ungewissen. Wir kennen die Elektricität nur aus ihren Wirkungen, also theils aus den oben erwähnten Anziehungs- und Ab- stossungserscheinungen, theils aus den Wärme- und Lichteffecten, den chemischen und mechanischen Wirkungen, sowie den Erregungen un- serer Nerven, die bei der Ausgleichung der entgegengesetzten elek- trischen Zustände einzutreten pflegen.
Unsere Betrachtung der elektrischen Erscheinungen wird sich zuerst mit den Erregungsweisen der Elektricität beschäftigen. Wir werden dann ein Maass für die Intensität des elektrischen Zustandes zu gewinnen suchen, um hierauf die Gesetze der elektrischen Ausglei- chung, der Elektricitätsbewegung, und die hierbei eintretenden Wir- kungen zu zergliedern. Die letzteren aber äussern sich theils inner- halb der Körper, in welchen die Elektricität sich bewegt, theils in die Ferne. Wir unterscheiden daher Wirkungen in dem Stromeskreis und Fernewirkungen des elektrischen Stroms. Als Fernewirkungen von besonderer Wichtigkeit sind die Erscheinungen des Magnetismus, des Elektromagnetismus und Diamagnetismus sowie der elektrischen und magnetischen Induction hervorzuheben.
Erstes Capitel. Erregung der Elektricität.
288 Elektricität durch Reibung. Anziehung und Abstossung elektrischer Körper. Posi- tive und nega- tive Elektricität. Idioelektrische und anelektri- sche Körper.
Die Elektricität trägt ihren Namen von dem Bernstein (ἤλεκτρον), von welchem schon die Alten beobachteten, dass er, mit einem trocke- nen Tuche gerieben, die Eigenschaft annimmt, leichte Körperchen an- zuziehen. Aehnlich dem Bernstein verhalten sich Siegellack, Harze, Glas, Schwefel. Reibt man dieselben mit Seide, Wolle oder Pelz, so bleiben kleine Papierschnitzel oder Kügelchen von Hollundermark an ihnen kleben. Hängt man ein Hollundermarkkügelchen an einem Sei- denfaden auf, so wird es zuerst von dem geriebenen Harz oder Glas angezogen, nach der Berührung mit demselben aber wieder abgestos- sen, so dass es nun bei der Annäherung des geriebenen Körpers flieht. Nähert man einer Harz- oder Glasstange, nachdem man sie durch heftiges Reiben elektrisch gemacht hat, ein Metall, so springt wohl auch unter knisterndem Geräusch ein Funke auf das Metall über, die geriebene Stange hat aber nachher ihre Elektricität ver- loren.
Hat man einem Hollundermarkkügelchen die durch Reibung einer Glasstange entstandene Elektricität mitgetheilt, so wird dasselbe von jeder andern auf die nämliche Weise in den elektrischen Zustand versetzten Glasstange abgestossen, von einer durch Reibung elektrisch
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Von der Elektricität.
Anspruch auf reale Wahrheit erheben zu können. Ueber das eigent-
liche Wesen der elektrischen Erscheinungen befinden wir uns vielmehr
vollständig im Ungewissen. Wir kennen die Elektricität nur aus ihren
Wirkungen, also theils aus den oben erwähnten Anziehungs- und Ab-
stossungserscheinungen, theils aus den Wärme- und Lichteffecten, den
chemischen und mechanischen Wirkungen, sowie den Erregungen un-
serer Nerven, die bei der Ausgleichung der entgegengesetzten elek-
trischen Zustände einzutreten pflegen.
Unsere Betrachtung der elektrischen Erscheinungen wird sich
zuerst mit den Erregungsweisen der Elektricität beschäftigen. Wir
werden dann ein Maass für die Intensität des elektrischen Zustandes
zu gewinnen suchen, um hierauf die Gesetze der elektrischen Ausglei-
chung, der Elektricitätsbewegung, und die hierbei eintretenden Wir-
kungen zu zergliedern. Die letzteren aber äussern sich theils inner-
halb der Körper, in welchen die Elektricität sich bewegt, theils in die
Ferne. Wir unterscheiden daher Wirkungen in dem Stromeskreis und
Fernewirkungen des elektrischen Stroms. Als Fernewirkungen von
besonderer Wichtigkeit sind die Erscheinungen des Magnetismus, des
Elektromagnetismus und Diamagnetismus sowie der elektrischen und
magnetischen Induction hervorzuheben.
Erstes Capitel.
Erregung der Elektricität.
Die Elektricität trägt ihren Namen von dem Bernstein (ἤλεκτρον),
von welchem schon die Alten beobachteten, dass er, mit einem trocke-
nen Tuche gerieben, die Eigenschaft annimmt, leichte Körperchen an-
zuziehen. Aehnlich dem Bernstein verhalten sich Siegellack, Harze,
Glas, Schwefel. Reibt man dieselben mit Seide, Wolle oder Pelz, so
bleiben kleine Papierschnitzel oder Kügelchen von Hollundermark an
ihnen kleben. Hängt man ein Hollundermarkkügelchen an einem Sei-
denfaden auf, so wird es zuerst von dem geriebenen Harz oder Glas
angezogen, nach der Berührung mit demselben aber wieder abgestos-
sen, so dass es nun bei der Annäherung des geriebenen Körpers
flieht. Nähert man einer Harz- oder Glasstange, nachdem man sie
durch heftiges Reiben elektrisch gemacht hat, ein Metall, so springt
wohl auch unter knisterndem Geräusch ein Funke auf das Metall
über, die geriebene Stange hat aber nachher ihre Elektricität ver-
loren.
Hat man einem Hollundermarkkügelchen die durch Reibung einer
Glasstange entstandene Elektricität mitgetheilt, so wird dasselbe von
jeder andern auf die nämliche Weise in den elektrischen Zustand
versetzten Glasstange abgestossen, von einer durch Reibung elektrisch
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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/456>, abgerufen am 05.12.2024.
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