gestellten Leiter nehmen von der Mitte aus zu; da aber der Wider- stand eines linearen Leiters, wenn, wie hier, alle übrigen Bedingun- gen gleich bleiben, proportional seiner Länge ist, so werden die In- tensitäten der Ströme in l1, l2, l3 ... gegen die Peripherie hin immer kleiner werden. Wir haben dies in der Fig. durch die verschiedene Dicke der Linien angedeutet. Denken wir uns jede dieser Curven in eine gerade Linie auseinander gelegt, so wird die Veränderung der Spannungen in ihr, wie in Fig. 211, durch eine gerade Linie darge- stellt werden, welche im Mittelpunkt die Abscisse schneidet, und de- ren Ordinaten in den Anfangspunkten, bei a und b, für jede Curve dieselben sind. Nun schneidet die in der Mitte von a b senkrechte Linie die Mitte sämmtlicher Stromescurven: auf dieser Linie sind also in allen Stromescurven die Spannungen gleich, nämlich gleich null.
Anderseits schneidet die Linie a b die Anfangspunkte a und b aller Stromescurven: hier sind daher die Spannungen aller Curven wieder gleich, nämlich gleich den Anfangsordinaten + s und -- s. In allen Curven l1, l2, l3 ... ändern sich dann in der ersten Hälfte die Spannungen von + s bis o, in der zweiten Hälfte von o bis -- s. Jedem Punkt der Curve l1 muss daher ein Punkt der Curven l2, l3 ... correspondiren, in welchem die Spannung gleich gross ist. Verbindet man diese Punkte gleicher Spannungen mit einander, so erhält man die Curven s1, s2, s3 ..., welche auf sämmtlichen Strömungscurven und ebenso auf der Oberfläche des Leiters senkrecht stehen. Man be- zeichnet diese Curven als Curven gleicher Spannung oder glei- chen Potentials (s. die Anm. zu §. 314) oder auch als isoelek- trische Curven. Da in jedem Leiter die Elektricität sich stets von Punkten höherer zu Punkten niedrigerer Spannung bewegt, so kann sie nie aus einer Curve l3 in eine andere l4 oder l2 etwa übergehen: denn der senkrecht über oder unter einem Punkt von l3 gelegene Punkt der Curven l4, l2 gehört derselben isoelektrischen Curve an; hieraus folgt nachträglich, dass wir in der That in Bezug auf den Strömungsvorgang berechtigt sind, einem flächenhaften oder körperlichen Leiter eine Menge von einander isolirter, linearer Leiter zu substitui- ren. Da die Oberfläche des Körpers nur die äusserste Strömungs- curve ist, so müssen auch auf ihr die Spannungscurven senkrecht ste- hen, woraus dann folgt, dass sich die Elektricität über die Oberfläche hinaus ebenso wenig wie aus einer der linearen Stromescurven in die andere verbreiten kann.
Bei dem Nerven- und Muskelstrom haben wir es mit Elektricitätserregungen zu thun, bei welchen wir annehmen müssen, dass Elemente, die freie Elektricität von ent- gegengesetztem Vorzeichen besitzen, dicht an einander grenzen. Dieser Fall unter- scheidet sich von dem vorigen ausserdem dadurch, dass die Flächen, welche der Sitz der elektromotorischen Kräfte sind, eine gewisse Ausdehnung haben. Denken wir uns z. B. ein Molecül mit einer positiven und negativen Polarzone (wie wir solche als elektro-
Bewegung der Elektricität.
gestellten Leiter nehmen von der Mitte aus zu; da aber der Wider- stand eines linearen Leiters, wenn, wie hier, alle übrigen Bedingun- gen gleich bleiben, proportional seiner Länge ist, so werden die In- tensitäten der Ströme in l1, l2, l3 … gegen die Peripherie hin immer kleiner werden. Wir haben dies in der Fig. durch die verschiedene Dicke der Linien angedeutet. Denken wir uns jede dieser Curven in eine gerade Linie auseinander gelegt, so wird die Veränderung der Spannungen in ihr, wie in Fig. 211, durch eine gerade Linie darge- stellt werden, welche im Mittelpunkt die Abscisse schneidet, und de- ren Ordinaten in den Anfangspunkten, bei a und b, für jede Curve dieselben sind. Nun schneidet die in der Mitte von a b senkrechte Linie die Mitte sämmtlicher Stromescurven: auf dieser Linie sind also in allen Stromescurven die Spannungen gleich, nämlich gleich null.
Anderseits schneidet die Linie a b die Anfangspunkte a und b aller Stromescurven: hier sind daher die Spannungen aller Curven wieder gleich, nämlich gleich den Anfangsordinaten + s und — s. In allen Curven l1, l2, l3 … ändern sich dann in der ersten Hälfte die Spannungen von + s bis o, in der zweiten Hälfte von o bis — s. Jedem Punkt der Curve l1 muss daher ein Punkt der Curven l2, l3 … correspondiren, in welchem die Spannung gleich gross ist. Verbindet man diese Punkte gleicher Spannungen mit einander, so erhält man die Curven s1, s2, s3 …, welche auf sämmtlichen Strömungscurven und ebenso auf der Oberfläche des Leiters senkrecht stehen. Man be- zeichnet diese Curven als Curven gleicher Spannung oder glei- chen Potentials (s. die Anm. zu §. 314) oder auch als isoelek- trische Curven. Da in jedem Leiter die Elektricität sich stets von Punkten höherer zu Punkten niedrigerer Spannung bewegt, so kann sie nie aus einer Curve l3 in eine andere l4 oder l2 etwa übergehen: denn der senkrecht über oder unter einem Punkt von l3 gelegene Punkt der Curven l4, l2 gehört derselben isoelektrischen Curve an; hieraus folgt nachträglich, dass wir in der That in Bezug auf den Strömungsvorgang berechtigt sind, einem flächenhaften oder körperlichen Leiter eine Menge von einander isolirter, linearer Leiter zu substitui- ren. Da die Oberfläche des Körpers nur die äusserste Strömungs- curve ist, so müssen auch auf ihr die Spannungscurven senkrecht ste- hen, woraus dann folgt, dass sich die Elektricität über die Oberfläche hinaus ebenso wenig wie aus einer der linearen Stromescurven in die andere verbreiten kann.
Bei dem Nerven- und Muskelstrom haben wir es mit Elektricitätserregungen zu thun, bei welchen wir annehmen müssen, dass Elemente, die freie Elektricität von ent- gegengesetztem Vorzeichen besitzen, dicht an einander grenzen. Dieser Fall unter- scheidet sich von dem vorigen ausserdem dadurch, dass die Flächen, welche der Sitz der elektromotorischen Kräfte sind, eine gewisse Ausdehnung haben. Denken wir uns z. B. ein Molecül mit einer positiven und negativen Polarzone (wie wir solche als elektro-
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[473/0495]
Bewegung der Elektricität.
gestellten Leiter nehmen von der Mitte aus zu; da aber der Wider-
stand eines linearen Leiters, wenn, wie hier, alle übrigen Bedingun-
gen gleich bleiben, proportional seiner Länge ist, so werden die In-
tensitäten der Ströme in l1, l2, l3 … gegen die Peripherie hin immer
kleiner werden. Wir haben dies in der Fig. durch die verschiedene
Dicke der Linien angedeutet. Denken wir uns jede dieser Curven in
eine gerade Linie auseinander gelegt, so wird die Veränderung der
Spannungen in ihr, wie in Fig. 211, durch eine gerade Linie darge-
stellt werden, welche im Mittelpunkt die Abscisse schneidet, und de-
ren Ordinaten in den Anfangspunkten, bei a und b, für jede Curve
dieselben sind. Nun schneidet die in der Mitte von a b senkrechte
Linie die Mitte sämmtlicher Stromescurven: auf dieser Linie sind also
in allen Stromescurven die Spannungen gleich, nämlich gleich null.
Anderseits schneidet die Linie a b die Anfangspunkte a und b
aller Stromescurven: hier sind daher die Spannungen aller Curven
wieder gleich, nämlich gleich den Anfangsordinaten + s und — s.
In allen Curven l1, l2, l3 … ändern sich dann in der ersten Hälfte
die Spannungen von + s bis o, in der zweiten Hälfte von o bis — s.
Jedem Punkt der Curve l1 muss daher ein Punkt der Curven l2, l3 …
correspondiren, in welchem die Spannung gleich gross ist. Verbindet
man diese Punkte gleicher Spannungen mit einander, so erhält man
die Curven s1, s2, s3 …, welche auf sämmtlichen Strömungscurven
und ebenso auf der Oberfläche des Leiters senkrecht stehen. Man be-
zeichnet diese Curven als Curven gleicher Spannung oder glei-
chen Potentials (s. die Anm. zu §. 314) oder auch als isoelek-
trische Curven. Da in jedem Leiter die Elektricität sich stets von
Punkten höherer zu Punkten niedrigerer Spannung bewegt, so kann
sie nie aus einer Curve l3 in eine andere l4 oder l2 etwa übergehen:
denn der senkrecht über oder unter einem Punkt von l3 gelegene
Punkt der Curven l4, l2 gehört derselben isoelektrischen Curve an;
hieraus folgt nachträglich, dass wir in der That in Bezug auf den
Strömungsvorgang berechtigt sind, einem flächenhaften oder körperlichen
Leiter eine Menge von einander isolirter, linearer Leiter zu substitui-
ren. Da die Oberfläche des Körpers nur die äusserste Strömungs-
curve ist, so müssen auch auf ihr die Spannungscurven senkrecht ste-
hen, woraus dann folgt, dass sich die Elektricität über die Oberfläche
hinaus ebenso wenig wie aus einer der linearen Stromescurven in die
andere verbreiten kann.
Bei dem Nerven- und Muskelstrom haben wir es mit Elektricitätserregungen zu
thun, bei welchen wir annehmen müssen, dass Elemente, die freie Elektricität von ent-
gegengesetztem Vorzeichen besitzen, dicht an einander grenzen. Dieser Fall unter-
scheidet sich von dem vorigen ausserdem dadurch, dass die Flächen, welche der Sitz
der elektromotorischen Kräfte sind, eine gewisse Ausdehnung haben. Denken wir uns z. B.
ein Molecül mit einer positiven und negativen Polarzone (wie wir solche als elektro-
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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/495>, abgerufen am 17.06.2024.
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