Die Inductionswirkung tritt nicht bloss auf, wenn, wie in dem voran- gegangenen Beispiel, der inducirende und der inducirte Leiter einander parallel sind, sondern auch dann, wenn ihre Richtungen irgend welche Winkel mit einander bilden. Sei z. B. wieder A der inducirende Lei- ter und C der inducirte, so entsteht bei der Annäherung von C oder bei der Schliessung von A ein Strom in dem Leiter C, der nach dem Scheitel des Winkels hinfliesst, von welchem der inducirende Strom wegfliesst. Werden dagegen beide Leiter von einander entfernt, oder wird der Strom in A geöffnet, so entsteht in C ein inducirter Strom, der ebenso wie der inducirende von dem Scheitel des Winkels, den beide Leiter mit einander bilden, wegfliesst.
Nun haben uns die elektrodynamischen Gesetze gelehrt, dass parallele Ströme gleicher Richtung und Ströme, die beide gegen einen Winkelscheitel hin- oder von ihm wegfliessen, sich anziehen, dagegen parallele Ströme entgegengesetzter Richtung und Ströme, von denen der eine gegen einen Winkelscheitel hin-, der andere von ihm wegge- kehrt ist, sich abstossen. Hiernach können wir das Inductionsgesetz für Leiter beliebiger Richtung allgemein so ausdrücken: Bei der Schlies- sung eines Stroms in einem Leiter A wird in einem benachbarten ge- schlossenen Leiter B oder C ein Strom inducirt, dessen Richtung eine solche ist, wie sie erforderlich wäre, damit beide Leiter eine abstos- sende Wirkung auf einander ausübten; bei der Oeffnung dagegen wird ein Strom inducirt, dessen Richtung der anziehenden Wirkung beider Leiter entspricht.
345 Magnetoinduc- tion.
Da der Magnetismus auf elementaren Strömen beruht, die in einem Magneten ähnlich wie in einer Drahtspirale eine bestimmte Richtung haben, so kann man in einem geschlossenen Leiter B oder C ebenso gut einen inducirten Strom erregen, wenn man diesem Lei- ter statt des von einem Strom durchflossenen Leiters A einen Magne- ten nähert. Die Richtung des inducirten Stromes wird dann von der Richtung der Molecularströme des Magneten nach derselben Regel wie von der Richtung des Stromes in dem Leiter A bestimmt. Bei der Annäherung des Magneten entsteht also in der Inductionsspirale ein Strom, dessen Richtung derjenigen der Molecularströme entgegenge- setzt ist, bei der Entfernung des Magneten entsteht ein Strom von glei- cher Richtung; auch hier würde der Strom, der bei der Annäherung entsteht, abstossend, und derjenige, der bei der Entfernung entsteht, an- ziehend auf den Magneten wirken.
346 Physiologische Anwendung der Inductions- ströme. Elektri- scher Induc- tionsapparat.
Die durch Ströme oder Magnete hervorgebrachten Inductions- ströme finden ihre hauptsächlichste Anwendung als Erregungsmittel der Nerven und Muskeln. Da nämlich diese thierischen Theile vor- zugsweise auf das Entstehen oder Verschwinden eines Stroms mit
Von der Elektricität.
Die Inductionswirkung tritt nicht bloss auf, wenn, wie in dem voran- gegangenen Beispiel, der inducirende und der inducirte Leiter einander parallel sind, sondern auch dann, wenn ihre Richtungen irgend welche Winkel mit einander bilden. Sei z. B. wieder A der inducirende Lei- ter und C der inducirte, so entsteht bei der Annäherung von C oder bei der Schliessung von A ein Strom in dem Leiter C, der nach dem Scheitel des Winkels hinfliesst, von welchem der inducirende Strom wegfliesst. Werden dagegen beide Leiter von einander entfernt, oder wird der Strom in A geöffnet, so entsteht in C ein inducirter Strom, der ebenso wie der inducirende von dem Scheitel des Winkels, den beide Leiter mit einander bilden, wegfliesst.
Nun haben uns die elektrodynamischen Gesetze gelehrt, dass parallele Ströme gleicher Richtung und Ströme, die beide gegen einen Winkelscheitel hin- oder von ihm wegfliessen, sich anziehen, dagegen parallele Ströme entgegengesetzter Richtung und Ströme, von denen der eine gegen einen Winkelscheitel hin-, der andere von ihm wegge- kehrt ist, sich abstossen. Hiernach können wir das Inductionsgesetz für Leiter beliebiger Richtung allgemein so ausdrücken: Bei der Schlies- sung eines Stroms in einem Leiter A wird in einem benachbarten ge- schlossenen Leiter B oder C ein Strom inducirt, dessen Richtung eine solche ist, wie sie erforderlich wäre, damit beide Leiter eine abstos- sende Wirkung auf einander ausübten; bei der Oeffnung dagegen wird ein Strom inducirt, dessen Richtung der anziehenden Wirkung beider Leiter entspricht.
345 Magnetoinduc- tion.
Da der Magnetismus auf elementaren Strömen beruht, die in einem Magneten ähnlich wie in einer Drahtspirale eine bestimmte Richtung haben, so kann man in einem geschlossenen Leiter B oder C ebenso gut einen inducirten Strom erregen, wenn man diesem Lei- ter statt des von einem Strom durchflossenen Leiters A einen Magne- ten nähert. Die Richtung des inducirten Stromes wird dann von der Richtung der Molecularströme des Magneten nach derselben Regel wie von der Richtung des Stromes in dem Leiter A bestimmt. Bei der Annäherung des Magneten entsteht also in der Inductionsspirale ein Strom, dessen Richtung derjenigen der Molecularströme entgegenge- setzt ist, bei der Entfernung des Magneten entsteht ein Strom von glei- cher Richtung; auch hier würde der Strom, der bei der Annäherung entsteht, abstossend, und derjenige, der bei der Entfernung entsteht, an- ziehend auf den Magneten wirken.
346 Physiologische Anwendung der Inductions- ströme. Elektri- scher Induc- tionsapparat.
Die durch Ströme oder Magnete hervorgebrachten Inductions- ströme finden ihre hauptsächlichste Anwendung als Erregungsmittel der Nerven und Muskeln. Da nämlich diese thierischen Theile vor- zugsweise auf das Entstehen oder Verschwinden eines Stroms mit
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[532/0554]
Von der Elektricität.
Die Inductionswirkung tritt nicht bloss auf, wenn, wie in dem voran-
gegangenen Beispiel, der inducirende und der inducirte Leiter einander
parallel sind, sondern auch dann, wenn ihre Richtungen irgend welche
Winkel mit einander bilden. Sei z. B. wieder A der inducirende Lei-
ter und C der inducirte, so entsteht bei der Annäherung von C oder
bei der Schliessung von A ein Strom in dem Leiter C, der nach dem
Scheitel des Winkels hinfliesst, von welchem der inducirende Strom
wegfliesst. Werden dagegen beide Leiter von einander entfernt, oder
wird der Strom in A geöffnet, so entsteht in C ein inducirter Strom,
der ebenso wie der inducirende von dem Scheitel des Winkels, den
beide Leiter mit einander bilden, wegfliesst.
Nun haben uns die elektrodynamischen Gesetze gelehrt, dass
parallele Ströme gleicher Richtung und Ströme, die beide gegen einen
Winkelscheitel hin- oder von ihm wegfliessen, sich anziehen, dagegen
parallele Ströme entgegengesetzter Richtung und Ströme, von denen
der eine gegen einen Winkelscheitel hin-, der andere von ihm wegge-
kehrt ist, sich abstossen. Hiernach können wir das Inductionsgesetz
für Leiter beliebiger Richtung allgemein so ausdrücken: Bei der Schlies-
sung eines Stroms in einem Leiter A wird in einem benachbarten ge-
schlossenen Leiter B oder C ein Strom inducirt, dessen Richtung eine
solche ist, wie sie erforderlich wäre, damit beide Leiter eine abstos-
sende Wirkung auf einander ausübten; bei der Oeffnung dagegen
wird ein Strom inducirt, dessen Richtung der anziehenden Wirkung
beider Leiter entspricht.
Da der Magnetismus auf elementaren Strömen beruht, die in
einem Magneten ähnlich wie in einer Drahtspirale eine bestimmte
Richtung haben, so kann man in einem geschlossenen Leiter B oder
C ebenso gut einen inducirten Strom erregen, wenn man diesem Lei-
ter statt des von einem Strom durchflossenen Leiters A einen Magne-
ten nähert. Die Richtung des inducirten Stromes wird dann von der
Richtung der Molecularströme des Magneten nach derselben Regel wie
von der Richtung des Stromes in dem Leiter A bestimmt. Bei der
Annäherung des Magneten entsteht also in der Inductionsspirale ein
Strom, dessen Richtung derjenigen der Molecularströme entgegenge-
setzt ist, bei der Entfernung des Magneten entsteht ein Strom von glei-
cher Richtung; auch hier würde der Strom, der bei der Annäherung
entsteht, abstossend, und derjenige, der bei der Entfernung entsteht, an-
ziehend auf den Magneten wirken.
Die durch Ströme oder Magnete hervorgebrachten Inductions-
ströme finden ihre hauptsächlichste Anwendung als Erregungsmittel
der Nerven und Muskeln. Da nämlich diese thierischen Theile vor-
zugsweise auf das Entstehen oder Verschwinden eines Stroms mit
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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/554>, abgerufen am 04.12.2024.
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