Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Schwere.
erfahren. Wie wir aber die Schwere zur Bestimmung des Massen-
mittelpunktes anwenden, so benützen wir auch am häufigsten die auf
einen Körper ausgeübten Schweranziehungen zur Bestimmung der
Masse: das Gewicht der Körper ist das gebräuchlichste Maass ihrer
Masse, weil die Schwere die verbreitetste Naturkraft ist, und die ein-
zige, die wir leicht ohne die gleichzeitige Einwirkung anderer Natur-
kräfte untersuchen können.


53
Beschleunigung
durch die
Schwere.
Fallgesetze.

Wir haben früher als Einheit der Kraft diejenige Kraft bezeich-
net, die in der Zeiteinheit der Masse 1 die Beschleunigung 1 ertheilt
(§. 25). Keine der in der Erfahrung gegebenen Naturkräfte entspricht
dieser Krafteinheit der Mechanik, auch die Schwere nicht. Wenn ein
Körper frei zur Erde fällt, so wirkt die Schwere auf jede Massenein-
heit desselben. Die durch die Schwere in der Secunde erzeugte Be-
schleunigung des Falls ist aber nicht = 1, sondern = 9,809 Meter.
Die Schwerkraft verhält sich also zur mechanischen Krafteinheit wie
9,809 : 1. Die Zahl 9,809 wird gewöhnlich mit dem Buchstaben g be-
zeichnet. Die beim freien Fall nach t Secunden erlangte Geschwin-
digkeit ist demnach
v = gt,
und der in dieser Zeit durchlaufene Raum
s = 1/2 gt2.

Die Geschwindigkeit frei fallender Körper ist zu gross, als dass
sie mit Genauigkeit gemessen werden könnte; man hat daher, wie
wir später sehen werden, zur Messung der Beschleunigung durch die
Schwere das Pendel benützt. Die Gesetze des freien Falls lassen
sich dagegen mittelst der Atwood'schen Fallmaschine bestä-
tigen, bei welcher der Fall dadurch verlangsamt wird, dass man die
beschleunigende Kraft vermindert. Im wesentlichen besteht die Fall-
maschine aus einer auf eine hohe Säule gesetzten sehr leicht beweg-
lichen Rolle (ähnlich der in Fig. 30 gezeichneten), um die ein langer
Seidenfaden geschlungen ist, der jederseits genau gleiche Gewichte
trägt, so dass Gleichgewicht besteht. Bringt man nun auf der einen
Seite ein kleines Uebergewicht an, so wird das Gleichgewicht gestört,
und man kann den Fall an einer Scale, vor der sich die Gewichte
herabbewegen, beobachten. Der Fall ist in diesem Fall sehr verlang-
samt, weil die beschleunigende Kraft bloss aus dem Uebergewicht,
die bewegte Masse aber aus den sämmtlichen am Apparat vorhande-
nen Gewichten besteht. Nimmt man plötzlich das Uebergewicht weg,
so bewegt sich nun nach dem Princip der Trägheit das Gewicht mit
gleichförmiger Geschwindigkeit weiter. So lassen sich leicht die zwei
Gesetze, dass 1) die erlangte Geschwindigkeit proportional ist der
Fallzeit, und 2) der Fallraum proportional dem Quadrat der Fallzeit,
experimentell nachweisen.


Von der Schwere.
erfahren. Wie wir aber die Schwere zur Bestimmung des Massen-
mittelpunktes anwenden, so benützen wir auch am häufigsten die auf
einen Körper ausgeübten Schweranziehungen zur Bestimmung der
Masse: das Gewicht der Körper ist das gebräuchlichste Maass ihrer
Masse, weil die Schwere die verbreitetste Naturkraft ist, und die ein-
zige, die wir leicht ohne die gleichzeitige Einwirkung anderer Natur-
kräfte untersuchen können.


53
Beschleunigung
durch die
Schwere.
Fallgesetze.

Wir haben früher als Einheit der Kraft diejenige Kraft bezeich-
net, die in der Zeiteinheit der Masse 1 die Beschleunigung 1 ertheilt
(§. 25). Keine der in der Erfahrung gegebenen Naturkräfte entspricht
dieser Krafteinheit der Mechanik, auch die Schwere nicht. Wenn ein
Körper frei zur Erde fällt, so wirkt die Schwere auf jede Massenein-
heit desselben. Die durch die Schwere in der Secunde erzeugte Be-
schleunigung des Falls ist aber nicht = 1, sondern = 9,809 Meter.
Die Schwerkraft verhält sich also zur mechanischen Krafteinheit wie
9,809 : 1. Die Zahl 9,809 wird gewöhnlich mit dem Buchstaben g be-
zeichnet. Die beim freien Fall nach t Secunden erlangte Geschwin-
digkeit ist demnach
v = gt,
und der in dieser Zeit durchlaufene Raum
s = ½ gt2.

Die Geschwindigkeit frei fallender Körper ist zu gross, als dass
sie mit Genauigkeit gemessen werden könnte; man hat daher, wie
wir später sehen werden, zur Messung der Beschleunigung durch die
Schwere das Pendel benützt. Die Gesetze des freien Falls lassen
sich dagegen mittelst der Atwood’schen Fallmaschine bestä-
tigen, bei welcher der Fall dadurch verlangsamt wird, dass man die
beschleunigende Kraft vermindert. Im wesentlichen besteht die Fall-
maschine aus einer auf eine hohe Säule gesetzten sehr leicht beweg-
lichen Rolle (ähnlich der in Fig. 30 gezeichneten), um die ein langer
Seidenfaden geschlungen ist, der jederseits genau gleiche Gewichte
trägt, so dass Gleichgewicht besteht. Bringt man nun auf der einen
Seite ein kleines Uebergewicht an, so wird das Gleichgewicht gestört,
und man kann den Fall an einer Scale, vor der sich die Gewichte
herabbewegen, beobachten. Der Fall ist in diesem Fall sehr verlang-
samt, weil die beschleunigende Kraft bloss aus dem Uebergewicht,
die bewegte Masse aber aus den sämmtlichen am Apparat vorhande-
nen Gewichten besteht. Nimmt man plötzlich das Uebergewicht weg,
so bewegt sich nun nach dem Princip der Trägheit das Gewicht mit
gleichförmiger Geschwindigkeit weiter. So lassen sich leicht die zwei
Gesetze, dass 1) die erlangte Geschwindigkeit proportional ist der
Fallzeit, und 2) der Fallraum proportional dem Quadrat der Fallzeit,
experimentell nachweisen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0096" n="74"/><fw place="top" type="header">Von der Schwere.</fw><lb/>
erfahren. Wie wir aber die Schwere zur Bestimmung des Massen-<lb/>
mittelpunktes anwenden, so benützen wir auch am häufigsten die auf<lb/>
einen Körper ausgeübten Schweranziehungen zur Bestimmung der<lb/>
Masse: das Gewicht der Körper ist das gebräuchlichste Maass ihrer<lb/>
Masse, weil die Schwere die verbreitetste Naturkraft ist, und die ein-<lb/>
zige, die wir leicht ohne die gleichzeitige Einwirkung anderer Natur-<lb/>
kräfte untersuchen können.</p><lb/>
            <note place="left">53<lb/>
Beschleunigung<lb/>
durch die<lb/>
Schwere.<lb/>
Fallgesetze.</note>
            <p>Wir haben früher als Einheit der Kraft diejenige Kraft bezeich-<lb/>
net, die in der Zeiteinheit der Masse 1 die Beschleunigung 1 ertheilt<lb/>
(§. 25). Keine der in der Erfahrung gegebenen Naturkräfte entspricht<lb/>
dieser Krafteinheit der Mechanik, auch die Schwere nicht. Wenn ein<lb/>
Körper frei zur Erde fällt, so wirkt die Schwere auf jede Massenein-<lb/>
heit desselben. Die durch die Schwere in der Secunde erzeugte Be-<lb/>
schleunigung des Falls ist aber nicht = 1, sondern = 9,809 Meter.<lb/>
Die Schwerkraft verhält sich also zur mechanischen Krafteinheit wie<lb/>
9,809 : 1. Die Zahl 9,809 wird gewöhnlich mit dem Buchstaben g be-<lb/>
zeichnet. Die beim freien Fall nach t Secunden erlangte Geschwin-<lb/>
digkeit ist demnach<lb/><hi rendition="#c">v = gt,</hi><lb/>
und der in dieser Zeit durchlaufene Raum<lb/><hi rendition="#c">s = ½ gt<hi rendition="#sup">2</hi>.</hi></p><lb/>
            <p>Die Geschwindigkeit frei fallender Körper ist zu gross, als dass<lb/>
sie mit Genauigkeit gemessen werden könnte; man hat daher, wie<lb/>
wir später sehen werden, zur Messung der Beschleunigung durch die<lb/>
Schwere das Pendel benützt. Die Gesetze des freien Falls lassen<lb/>
sich dagegen mittelst der <hi rendition="#g">Atwood&#x2019;schen Fallmaschine</hi> bestä-<lb/>
tigen, bei welcher der Fall dadurch verlangsamt wird, dass man die<lb/>
beschleunigende Kraft vermindert. Im wesentlichen besteht die Fall-<lb/>
maschine aus einer auf eine hohe Säule gesetzten sehr leicht beweg-<lb/>
lichen Rolle (ähnlich der in Fig. 30 gezeichneten), um die ein langer<lb/>
Seidenfaden geschlungen ist, der jederseits genau gleiche Gewichte<lb/>
trägt, so dass Gleichgewicht besteht. Bringt man nun auf der einen<lb/>
Seite ein kleines Uebergewicht an, so wird das Gleichgewicht gestört,<lb/>
und man kann den Fall an einer Scale, vor der sich die Gewichte<lb/>
herabbewegen, beobachten. Der Fall ist in diesem Fall sehr verlang-<lb/>
samt, weil die beschleunigende Kraft bloss aus dem Uebergewicht,<lb/>
die bewegte Masse aber aus den sämmtlichen am Apparat vorhande-<lb/>
nen Gewichten besteht. Nimmt man plötzlich das Uebergewicht weg,<lb/>
so bewegt sich nun nach dem Princip der Trägheit das Gewicht mit<lb/>
gleichförmiger Geschwindigkeit weiter. So lassen sich leicht die zwei<lb/>
Gesetze, dass 1) die erlangte Geschwindigkeit proportional ist der<lb/>
Fallzeit, und 2) der Fallraum proportional dem Quadrat der Fallzeit,<lb/>
experimentell nachweisen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0096] Von der Schwere. erfahren. Wie wir aber die Schwere zur Bestimmung des Massen- mittelpunktes anwenden, so benützen wir auch am häufigsten die auf einen Körper ausgeübten Schweranziehungen zur Bestimmung der Masse: das Gewicht der Körper ist das gebräuchlichste Maass ihrer Masse, weil die Schwere die verbreitetste Naturkraft ist, und die ein- zige, die wir leicht ohne die gleichzeitige Einwirkung anderer Natur- kräfte untersuchen können. Wir haben früher als Einheit der Kraft diejenige Kraft bezeich- net, die in der Zeiteinheit der Masse 1 die Beschleunigung 1 ertheilt (§. 25). Keine der in der Erfahrung gegebenen Naturkräfte entspricht dieser Krafteinheit der Mechanik, auch die Schwere nicht. Wenn ein Körper frei zur Erde fällt, so wirkt die Schwere auf jede Massenein- heit desselben. Die durch die Schwere in der Secunde erzeugte Be- schleunigung des Falls ist aber nicht = 1, sondern = 9,809 Meter. Die Schwerkraft verhält sich also zur mechanischen Krafteinheit wie 9,809 : 1. Die Zahl 9,809 wird gewöhnlich mit dem Buchstaben g be- zeichnet. Die beim freien Fall nach t Secunden erlangte Geschwin- digkeit ist demnach v = gt, und der in dieser Zeit durchlaufene Raum s = ½ gt2. Die Geschwindigkeit frei fallender Körper ist zu gross, als dass sie mit Genauigkeit gemessen werden könnte; man hat daher, wie wir später sehen werden, zur Messung der Beschleunigung durch die Schwere das Pendel benützt. Die Gesetze des freien Falls lassen sich dagegen mittelst der Atwood’schen Fallmaschine bestä- tigen, bei welcher der Fall dadurch verlangsamt wird, dass man die beschleunigende Kraft vermindert. Im wesentlichen besteht die Fall- maschine aus einer auf eine hohe Säule gesetzten sehr leicht beweg- lichen Rolle (ähnlich der in Fig. 30 gezeichneten), um die ein langer Seidenfaden geschlungen ist, der jederseits genau gleiche Gewichte trägt, so dass Gleichgewicht besteht. Bringt man nun auf der einen Seite ein kleines Uebergewicht an, so wird das Gleichgewicht gestört, und man kann den Fall an einer Scale, vor der sich die Gewichte herabbewegen, beobachten. Der Fall ist in diesem Fall sehr verlang- samt, weil die beschleunigende Kraft bloss aus dem Uebergewicht, die bewegte Masse aber aus den sämmtlichen am Apparat vorhande- nen Gewichten besteht. Nimmt man plötzlich das Uebergewicht weg, so bewegt sich nun nach dem Princip der Trägheit das Gewicht mit gleichförmiger Geschwindigkeit weiter. So lassen sich leicht die zwei Gesetze, dass 1) die erlangte Geschwindigkeit proportional ist der Fallzeit, und 2) der Fallraum proportional dem Quadrat der Fallzeit, experimentell nachweisen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/96
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/96>, abgerufen am 04.12.2024.