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Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 1. [Braunschweig], [1763].

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Drittes Buch.

Wie leicht nimmt es ein Hut mit einer Feder ein!
Wer sollte nicht dein Herz für weich und zärtlich halten,
Und dennoch liebst du nichts als Kleider und Gestal-
ten --

Er sprach noch; als er merkt, daß er nicht glück-
lich spricht,

Ein bittrer Unmuth deckt Selindens blaß Gesicht;
Und der erschrockne Geist sieht ihren Stolz beleidigt,
Und durch Empfindlichkeit ihr Herz vor ihm verthei-
digt.

Sogleich verschwindet er; setzt sich zum Nachttisch hin,
Und mancher Anschlag irrt durch seinen schlauen Sinn.
Auf einmal findet er zu größerm Misvergnügen
Ein zärtliches Gedicht auf ihrem Nachttisch liegen.
Sein Blick verschlinget es; und kein verliebtes Flehn
War, nach des Geistes Sinn, so zärtlich, und so schön.
Wie? (sprach er,) findet man mit den gereimten Kla-
gen

Den Weg zu ihrer Gunst? Auch dieses will ich wagen!
Und

Drittes Buch.

Wie leicht nimmt es ein Hut mit einer Feder ein!
Wer ſollte nicht dein Herz fuͤr weich und zaͤrtlich halten,
Und dennoch liebſt du nichts als Kleider und Geſtal-
ten —

Er ſprach noch; als er merkt, daß er nicht gluͤck-
lich ſpricht,

Ein bittrer Unmuth deckt Selindens blaß Geſicht;
Und der erſchrockne Geiſt ſieht ihren Stolz beleidigt,
Und durch Empfindlichkeit ihr Herz vor ihm verthei-
digt.

Sogleich verſchwindet er; ſetzt ſich zum Nachttiſch hin,
Und mancher Anſchlag irrt durch ſeinen ſchlauen Sinn.
Auf einmal findet er zu groͤßerm Misvergnuͤgen
Ein zaͤrtliches Gedicht auf ihrem Nachttiſch liegen.
Sein Blick verſchlinget es; und kein verliebtes Flehn
War, nach des Geiſtes Sinn, ſo zaͤrtlich, und ſo ſchoͤn.
Wie? (ſprach er,) findet man mit den gereimten Kla-
gen

Den Weg zu ihrer Gunſt? Auch dieſes will ich wagen!
Und
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[239/0303] Drittes Buch. Wie leicht nimmt es ein Hut mit einer Feder ein! Wer ſollte nicht dein Herz fuͤr weich und zaͤrtlich halten, Und dennoch liebſt du nichts als Kleider und Geſtal- ten — Er ſprach noch; als er merkt, daß er nicht gluͤck- lich ſpricht, Ein bittrer Unmuth deckt Selindens blaß Geſicht; Und der erſchrockne Geiſt ſieht ihren Stolz beleidigt, Und durch Empfindlichkeit ihr Herz vor ihm verthei- digt. Sogleich verſchwindet er; ſetzt ſich zum Nachttiſch hin, Und mancher Anſchlag irrt durch ſeinen ſchlauen Sinn. Auf einmal findet er zu groͤßerm Misvergnuͤgen Ein zaͤrtliches Gedicht auf ihrem Nachttiſch liegen. Sein Blick verſchlinget es; und kein verliebtes Flehn War, nach des Geiſtes Sinn, ſo zaͤrtlich, und ſo ſchoͤn. Wie? (ſprach er,) findet man mit den gereimten Kla- gen Den Weg zu ihrer Gunſt? Auch dieſes will ich wagen! Und

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Zitationshilfe: Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 1. [Braunschweig], [1763], S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften01_1763/303>, abgerufen am 22.11.2024.