Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 1. [Braunschweig], [1763].

Bild:
<< vorherige Seite

Der Phaeton. Zweyter Gesang.

Hannchen folget ihm nach, führt ihn aus Fenster, und
sagte:

Welch ein verwegner Entschluß! Die Gräfin ist nicht
zu bewegen,

Sie beharret voll Eigensinn drauf, sich selber zu fahren,
Und ich soll sie begleiten! Ach bitte, theurer Geliebter,
Daß kein Unglück uns trift; mein Herz weißaget mir
Böses.

Da ergossen sich Ströme von Thränen, und Seufzer
erschollen

Jn den hallenden Saal, und Küsse rauschten zum Ab-
schied.

Wie einander umarmend, bey einem schleunigen Mar-
sche

An den Ecken der Straßen die Krieger und Mägde sich
letzen,

Ewige Treue sich schwören, und harte Fäuste sich drücken:
Also suchten sich auch die beyden Verliebten zu trösten.
Doch die silberne Schelle der Gräfin erklinget; die Zofe
Trocknet die Augen sich ab, und legt die Lippen in Fal-
ten.

Schon hat ihr plumper Amant sie aus dem Gesichte
verlohren

Und geht hin, und vergißt sie darauf bey der dampfen-
den Pfeife.



Der Phaeton. Zweyter Geſang.

Hannchen folget ihm nach, fuͤhrt ihn aus Fenſter, und
ſagte:

Welch ein verwegner Entſchluß! Die Graͤfin iſt nicht
zu bewegen,

Sie beharret voll Eigenſinn drauf, ſich ſelber zu fahren,
Und ich ſoll ſie begleiten! Ach bitte, theurer Geliebter,
Daß kein Ungluͤck uns trift; mein Herz weißaget mir
Boͤſes.

Da ergoſſen ſich Stroͤme von Thraͤnen, und Seufzer
erſchollen

Jn den hallenden Saal, und Kuͤſſe rauſchten zum Ab-
ſchied.

Wie einander umarmend, bey einem ſchleunigen Mar-
ſche

An den Ecken der Straßen die Krieger und Maͤgde ſich
letzen,

Ewige Treue ſich ſchwoͤren, und harte Faͤuſte ſich druͤcken:
Alſo ſuchten ſich auch die beyden Verliebten zu troͤſten.
Doch die ſilberne Schelle der Graͤfin erklinget; die Zofe
Trocknet die Augen ſich ab, und legt die Lippen in Fal-
ten.

Schon hat ihr plumper Amant ſie aus dem Geſichte
verlohren

Und geht hin, und vergißt ſie darauf bey der dampfen-
den Pfeife.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg>
          <l>
            <pb facs="#f0364" n="300"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Phaeton. Zweyter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw>
          </l><lb/>
          <l>Hannchen folget ihm nach, fu&#x0364;hrt ihn aus Fen&#x017F;ter, und<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;agte:</hi></l><lb/>
          <l>Welch ein verwegner Ent&#x017F;chluß! Die Gra&#x0364;fin i&#x017F;t nicht<lb/><hi rendition="#et">zu bewegen,</hi></l><lb/>
          <l>Sie beharret voll Eigen&#x017F;inn drauf, &#x017F;ich &#x017F;elber zu fahren,</l><lb/>
          <l>Und ich &#x017F;oll &#x017F;ie begleiten! Ach bitte, theurer Geliebter,</l><lb/>
          <l>Daß kein Unglu&#x0364;ck uns trift; mein Herz weißaget mir<lb/><hi rendition="#et">Bo&#x0364;&#x017F;es.</hi></l><lb/>
          <l>Da ergo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich Stro&#x0364;me von Thra&#x0364;nen, und Seufzer<lb/><hi rendition="#et">er&#x017F;chollen</hi></l><lb/>
          <l>Jn den hallenden Saal, und Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e rau&#x017F;chten zum Ab-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chied.</hi></l><lb/>
          <l>Wie einander umarmend, bey einem &#x017F;chleunigen Mar-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;che</hi></l><lb/>
          <l>An den Ecken der Straßen die Krieger und Ma&#x0364;gde &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">letzen,</hi></l><lb/>
          <l>Ewige Treue &#x017F;ich &#x017F;chwo&#x0364;ren, und harte Fa&#x0364;u&#x017F;te &#x017F;ich dru&#x0364;cken:</l><lb/>
          <l>Al&#x017F;o &#x017F;uchten &#x017F;ich auch die beyden Verliebten zu tro&#x0364;&#x017F;ten.</l><lb/>
          <l>Doch die &#x017F;ilberne Schelle der Gra&#x0364;fin erklinget; die Zofe</l><lb/>
          <l>Trocknet die Augen &#x017F;ich ab, und legt die Lippen in Fal-<lb/><hi rendition="#et">ten.</hi></l><lb/>
          <l>Schon hat ihr plumper Amant &#x017F;ie aus dem Ge&#x017F;ichte<lb/><hi rendition="#et">verlohren</hi></l><lb/>
          <l>Und geht hin, und vergißt &#x017F;ie darauf bey der dampfen-<lb/><hi rendition="#et">den Pfeife.</hi></l>
        </lg>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0364] Der Phaeton. Zweyter Geſang. Hannchen folget ihm nach, fuͤhrt ihn aus Fenſter, und ſagte: Welch ein verwegner Entſchluß! Die Graͤfin iſt nicht zu bewegen, Sie beharret voll Eigenſinn drauf, ſich ſelber zu fahren, Und ich ſoll ſie begleiten! Ach bitte, theurer Geliebter, Daß kein Ungluͤck uns trift; mein Herz weißaget mir Boͤſes. Da ergoſſen ſich Stroͤme von Thraͤnen, und Seufzer erſchollen Jn den hallenden Saal, und Kuͤſſe rauſchten zum Ab- ſchied. Wie einander umarmend, bey einem ſchleunigen Mar- ſche An den Ecken der Straßen die Krieger und Maͤgde ſich letzen, Ewige Treue ſich ſchwoͤren, und harte Faͤuſte ſich druͤcken: Alſo ſuchten ſich auch die beyden Verliebten zu troͤſten. Doch die ſilberne Schelle der Graͤfin erklinget; die Zofe Trocknet die Augen ſich ab, und legt die Lippen in Fal- ten. Schon hat ihr plumper Amant ſie aus dem Geſichte verlohren Und geht hin, und vergißt ſie darauf bey der dampfen- den Pfeife.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften01_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften01_1763/364
Zitationshilfe: Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 1. [Braunschweig], [1763], S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zachariae_schriften01_1763/364>, abgerufen am 24.11.2024.