Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

wissen kann, was die Dinge an sich sind, sagt Fichte,
so kann ich auch nicht wissen, ob Dinge an sich sind;
die Dinge sind mir nur in meinem Bewusstsein gegeben,
und wenn sich uns allerdings die Vorstellung derselben
unwiderstehlich aufdrängt, so folgt daraus doch nicht
im Geringsten, dass diese Vorstellung von Gegenständen
ausser uns herrührt. Berechtigt ist vielmehr nur der
Schluss, dass in der Natur unseres Geistes etwas liege,
was uns nöthigt, die Vorstellung von Dingen ausser
uns zu erzeugen, und die Aufgabe der Philosophie kann
nur die sein, diese ganze vermeintliche Aussenwelt als
Erscheinung des Bewusstseins, als ein Werk des unend¬
lichen Ich, ein Moment seiner Entwicklung zu begreifen.

Dass diess freilich nicht so einfach und leicht sei,
musste sich bald herausstellen. Gesetzt auch, der Gegen¬
satz des Ich und des Nichtich sei erst ein abgeleiteter,
aus dem unendlichen Ich selbst erzeugter, so ist er doch
in unserem Bewusstsein nun einmal vorhanden, ja er ist
eine Grundthatsache unseres Bewusstseins, wir finden
uns selbst als bewusste nur in diesem Gegensatz, und
können nicht von ihm abstrahiren, ohne ebendamit auch
von der Persönlichkeit, als bewusster und bestimmter,
zu abstrahiren. Subjekt bin ich nur, indem ich mich
vom Objekt unterscheide; denke ich mir das, was diesem
Unterschied vorangeht, so habe ich mir weder ein Sub¬
jekt noch ein Objekt gedacht, sondern nur die Einheit
beider, nur das "Subjekt-Objekt". Diess konnte auch
Fichte nicht läugnen, und er unterschied desshalb das

wissen kann, was die Dinge an sich sind, sagt Fichte,
so kann ich auch nicht wissen, ob Dinge an sich sind;
die Dinge sind mir nur in meinem Bewusstsein gegeben,
und wenn sich uns allerdings die Vorstellung derselben
unwiderstehlich aufdrängt, so folgt daraus doch nicht
im Geringsten, dass diese Vorstellung von Gegenständen
ausser uns herrührt. Berechtigt ist vielmehr nur der
Schluss, dass in der Natur unseres Geistes etwas liege,
was uns nöthigt, die Vorstellung von Dingen ausser
uns zu erzeugen, und die Aufgabe der Philosophie kann
nur die sein, diese ganze vermeintliche Aussenwelt als
Erscheinung des Bewusstseins, als ein Werk des unend¬
lichen Ich, ein Moment seiner Entwicklung zu begreifen.

Dass diess freilich nicht so einfach und leicht sei,
musste sich bald herausstellen. Gesetzt auch, der Gegen¬
satz des Ich und des Nichtich sei erst ein abgeleiteter,
aus dem unendlichen Ich selbst erzeugter, so ist er doch
in unserem Bewusstsein nun einmal vorhanden, ja er ist
eine Grundthatsache unseres Bewusstseins, wir finden
uns selbst als bewusste nur in diesem Gegensatz, und
können nicht von ihm abstrahiren, ohne ebendamit auch
von der Persönlichkeit, als bewusster und bestimmter,
zu abstrahiren. Subjekt bin ich nur, indem ich mich
vom Objekt unterscheide; denke ich mir das, was diesem
Unterschied vorangeht, so habe ich mir weder ein Sub¬
jekt noch ein Objekt gedacht, sondern nur die Einheit
beider, nur das „Subjekt-Objekt“. Diess konnte auch
Fichte nicht läugnen, und er unterschied desshalb das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="15"/>
wissen kann, <hi rendition="#g">was</hi> die Dinge an sich sind, sagt <hi rendition="#g">Fichte</hi>,<lb/>
so kann ich auch nicht wissen, <hi rendition="#g">ob</hi> Dinge an sich sind;<lb/>
die Dinge sind mir nur in meinem Bewusstsein gegeben,<lb/>
und wenn sich uns allerdings die Vorstellung derselben<lb/>
unwiderstehlich aufdrängt, so folgt daraus doch nicht<lb/>
im Geringsten, dass diese Vorstellung von Gegenständen<lb/>
ausser uns herrührt. Berechtigt ist vielmehr nur der<lb/>
Schluss, dass in der Natur unseres Geistes etwas liege,<lb/>
was uns nöthigt, die Vorstellung von Dingen ausser<lb/>
uns zu erzeugen, und die Aufgabe der Philosophie kann<lb/>
nur <hi rendition="#g">die</hi> sein, diese ganze vermeintliche Aussenwelt als<lb/>
Erscheinung des Bewusstseins, als ein Werk des unend¬<lb/>
lichen Ich, ein Moment seiner Entwicklung zu begreifen.</p><lb/>
        <p>Dass diess freilich nicht so einfach und leicht sei,<lb/>
musste sich bald herausstellen. Gesetzt auch, der Gegen¬<lb/>
satz des Ich und des Nichtich sei erst ein abgeleiteter,<lb/>
aus dem unendlichen Ich selbst erzeugter, so ist er doch<lb/>
in unserem Bewusstsein nun einmal vorhanden, ja er ist<lb/>
eine Grundthatsache unseres Bewusstseins, wir finden<lb/>
uns selbst als bewusste nur in diesem Gegensatz, und<lb/>
können nicht von ihm abstrahiren, ohne ebendamit auch<lb/>
von der Persönlichkeit, als bewusster und bestimmter,<lb/>
zu abstrahiren. Subjekt bin ich nur, indem ich mich<lb/>
vom Objekt unterscheide; denke ich mir das, was diesem<lb/>
Unterschied vorangeht, so habe ich mir weder ein Sub¬<lb/>
jekt noch ein Objekt gedacht, sondern nur die Einheit<lb/>
beider, nur das &#x201E;Subjekt-Objekt&#x201C;. Diess konnte auch<lb/>
Fichte nicht läugnen, und er unterschied desshalb das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0019] wissen kann, was die Dinge an sich sind, sagt Fichte, so kann ich auch nicht wissen, ob Dinge an sich sind; die Dinge sind mir nur in meinem Bewusstsein gegeben, und wenn sich uns allerdings die Vorstellung derselben unwiderstehlich aufdrängt, so folgt daraus doch nicht im Geringsten, dass diese Vorstellung von Gegenständen ausser uns herrührt. Berechtigt ist vielmehr nur der Schluss, dass in der Natur unseres Geistes etwas liege, was uns nöthigt, die Vorstellung von Dingen ausser uns zu erzeugen, und die Aufgabe der Philosophie kann nur die sein, diese ganze vermeintliche Aussenwelt als Erscheinung des Bewusstseins, als ein Werk des unend¬ lichen Ich, ein Moment seiner Entwicklung zu begreifen. Dass diess freilich nicht so einfach und leicht sei, musste sich bald herausstellen. Gesetzt auch, der Gegen¬ satz des Ich und des Nichtich sei erst ein abgeleiteter, aus dem unendlichen Ich selbst erzeugter, so ist er doch in unserem Bewusstsein nun einmal vorhanden, ja er ist eine Grundthatsache unseres Bewusstseins, wir finden uns selbst als bewusste nur in diesem Gegensatz, und können nicht von ihm abstrahiren, ohne ebendamit auch von der Persönlichkeit, als bewusster und bestimmter, zu abstrahiren. Subjekt bin ich nur, indem ich mich vom Objekt unterscheide; denke ich mir das, was diesem Unterschied vorangeht, so habe ich mir weder ein Sub¬ jekt noch ein Objekt gedacht, sondern nur die Einheit beider, nur das „Subjekt-Objekt“. Diess konnte auch Fichte nicht läugnen, und er unterschied desshalb das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862/19
Zitationshilfe: Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_erkenntnistheorie_1862/19>, abgerufen am 21.11.2024.