Zeller, Eduard: Über Bedeutung und Aufgabe der Erkenntniss-Theorie. Ein akademischer Vortrag. Heidelberg, 1862.ein halbes Jahrhundert lang in rascher Folge die deutsche ein halbes Jahrhundert lang in rascher Folge die deutsche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0024" n="20"/> ein halbes Jahrhundert lang in rascher Folge die deutsche<lb/> Philosophie beherrschten, bietet sie uns im gegenwärtigen<lb/> Augenblick das Schauspiel einer unverkennbaren Zer¬<lb/> fahrenheit und Stockung, durch welche auch die ver¬<lb/> dienstvollsten Bestrebungen gehemmt, die scharfsinnigsten<lb/> Untersuchungen in ihrer Wirkung für’s Ganze gelähmt<lb/> werden; und ebenso ist das Verhältniss der Philosophie<lb/> zu den besonderen Wissenschaften, wenn wir von ein¬<lb/> zelnen Ausnahmen absehen, so aus dem natürlichen<lb/> Geleise gekommen, dass die Philosophie zwar im All¬<lb/> gemeinen von jenen zu lernen mehr, als vor einigen<lb/> Jahrzehenten, bereit ist, in ihnen dagegen sich mehr und<lb/> mehr das Vorurtheil festsetzt, als ob sie der Philosophie<lb/> für ihre Zwecke nicht bedürften, und wohl gar in ihrer<lb/> Arbeit durch dieselbe gestört würden. Dass diess kein<lb/> gesunder Zustand ist, bedarf keines Nachweises. Fragen<lb/> wir aber, wie er zu heilen sei, so mögen wir uns an<lb/> das Wort jenes geistvollen italienischen Staatsmannes<lb/> erinnern, der verlangt, dass die Staaten von Zeit zu Zeit<lb/> auf ihr Princip zurückgeführt werden. Was von den<lb/> Staaten gilt, gilt von jedem geschichtlichen Ganzen.<lb/> Ueberall, wo eine zusammenhängende Entwicklung ist,<lb/> tritt zeitenweise das Bedürfniss ein, zu dem Punkte zu¬<lb/> rückzukehren, von dem sie ausgieng, sich der ursprüng¬<lb/> lichen Aufgaben wieder zu erinnern, und ihre Lösung<lb/> in dem ursprünglichen Geiste, wenn auch vielleicht mit<lb/> anderen Mitteln, auf’s Neue zu versuchen. Ein solcher<lb/> Zeitpunkt scheint eben jetzt für die deutsche Philosophie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [20/0024]
ein halbes Jahrhundert lang in rascher Folge die deutsche
Philosophie beherrschten, bietet sie uns im gegenwärtigen
Augenblick das Schauspiel einer unverkennbaren Zer¬
fahrenheit und Stockung, durch welche auch die ver¬
dienstvollsten Bestrebungen gehemmt, die scharfsinnigsten
Untersuchungen in ihrer Wirkung für’s Ganze gelähmt
werden; und ebenso ist das Verhältniss der Philosophie
zu den besonderen Wissenschaften, wenn wir von ein¬
zelnen Ausnahmen absehen, so aus dem natürlichen
Geleise gekommen, dass die Philosophie zwar im All¬
gemeinen von jenen zu lernen mehr, als vor einigen
Jahrzehenten, bereit ist, in ihnen dagegen sich mehr und
mehr das Vorurtheil festsetzt, als ob sie der Philosophie
für ihre Zwecke nicht bedürften, und wohl gar in ihrer
Arbeit durch dieselbe gestört würden. Dass diess kein
gesunder Zustand ist, bedarf keines Nachweises. Fragen
wir aber, wie er zu heilen sei, so mögen wir uns an
das Wort jenes geistvollen italienischen Staatsmannes
erinnern, der verlangt, dass die Staaten von Zeit zu Zeit
auf ihr Princip zurückgeführt werden. Was von den
Staaten gilt, gilt von jedem geschichtlichen Ganzen.
Ueberall, wo eine zusammenhängende Entwicklung ist,
tritt zeitenweise das Bedürfniss ein, zu dem Punkte zu¬
rückzukehren, von dem sie ausgieng, sich der ursprüng¬
lichen Aufgaben wieder zu erinnern, und ihre Lösung
in dem ursprünglichen Geiste, wenn auch vielleicht mit
anderen Mitteln, auf’s Neue zu versuchen. Ein solcher
Zeitpunkt scheint eben jetzt für die deutsche Philosophie
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