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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat
Götterspruches aus ihrem munde zu hören. Ist
es müglich/ so finde sie sich morgen ein. Mor-
gen erwarte ich ihrer. Drüm seume sie nicht.
Inmittels wil ich gleichwohl/ daß sie meinen
Traum wisse: damit ich bei ihrer überkunft/
desselben deutung erfahre. Diesen morgen/ da
ich kaum halb schlummerte/ deuchtete mich in

meines Herrn Vaters Hofe zu sein. Alda sahe ich
ein
fremdes schloßweisses tierlein; welches man ein
Harmlein nente. Dieses wolte meine Stiefmutter
mit schlamme besudeln. Aber es war so behände/
daß sie es nicht erwischen konte. Letzlich be/
kahm sie es bei dem ende des schwantzes/ und
wolte es mit gewalt in den koht drükken. Aber
das Härmlein ris so gewaltig/ daß es ihr nur ei-
nen
flausch haare in der hand lies/ und darvon
flohe. Darüber erzurnete sich meine Stiefmut-
ter dermaßen/ daß sie das liebliche tierlein in ein
fas einspünden lies. Aber ein
Leue sties mit dem
kopfe dem fasse den bodem ein. Da kahm das
Härmlein heraus gesprungen/ und ward dem

Leuen gantz gleich. Hiermit ward ich eben wak-
ker. Siesehe zu/ daß sie bei dem schönen Lerb-
eignen die deutung erfahre. Sie vergesse es ja
nicht. Bringt sie mir diese mit/ wird sie mir üm
so viel angenehmer sein. Ich werde ihr/ und
ihm danken/ so lange ich ahteme. Die König-
liche Fürstin sei hertzlich gegrüßet. Morgen sol
Sie auch ein brieflein von mir empfangen. Un-
terdessen befähle ich sie den Göttern.

Assenat.

Dieses schreiben verursachte/ daß Nitokris von der
tafel blieb. Semesse muste es ihr wohl zehn mahl vor-
lesen; sonderlich des Freuleins Traum: welcher die

deu-

Der Aſſenat
Goͤtterſpruches aus ihrem munde zu hoͤren. Iſt
es muͤglich/ ſo finde ſie ſich morgen ein. Mor-
gen erwarte ich ihrer. Druͤm ſeume ſie nicht.
Inmittels wil ich gleichwohl/ daß ſie meinen
Traum wiſſe: damit ich bei ihrer uͤberkunft/
deſſelben deutung erfahre. Dieſen morgen/ da
ich kaum halb ſchlummerte/ deuchtete mich in

meines Herꝛn Vaters Hofe zu ſein. Alda ſahe ich
ein
fremdes ſchloßweiſſes tierlein; welches man ein
Hårmlein nente. Dieſes wolte meine Stiefmutter
mit ſchlamme beſudeln. Aber es war ſo behaͤnde/
daß ſie es nicht erwiſchen konte. Letzlich be/
kahm ſie es bei dem ende des ſchwantzes/ und
wolte es mit gewalt in den koht druͤkken. Aber
das Haͤrmlein ris ſo gewaltig/ daß es ihr nur ei-
nen
flauſch haare in der hand lies/ und darvon
flohe. Daruͤber erzůrnete ſich meine Stiefmut-
ter dermaßen/ daß ſie das liebliche tierlein in ein
fas einſpuͤnden lies. Aber ein
Leue ſties mit dem
kopfe dem faſſe den bodem ein. Da kahm das
Haͤrmlein heraus geſprungen/ und ward dem

Leuen gantz gleich. Hiermit ward ich eben wak-
ker. Sieſehe zu/ daß ſie bei dem ſchoͤnen Lerb-
eignen die deutung erfahre. Sie vergeſſe es ja
nicht. Bringt ſie mir dieſe mit/ wird ſie mir uͤm
ſo viel angenehmer ſein. Ich werde ihr/ und
ihm danken/ ſo lange ich ahteme. Die Koͤnig-
liche Fuͤrſtin ſei hertzlich gegruͤßet. Morgen ſol
Sie auch ein brieflein von mir empfangen. Un-
terdeſſen befaͤhle ich ſie den Goͤttern.

Aſſenat.

Dieſes ſchreiben verurſachte/ daß Nitokris von der
tafel blieb. Semeſſe muſte es ihr wohl zehn mahl vor-
leſen; ſonderlich des Freuleins Traum: welcher die

deu-
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[92/0116] Der Aſſenat Goͤtterſpruches aus ihrem munde zu hoͤren. Iſt es muͤglich/ ſo finde ſie ſich morgen ein. Mor- gen erwarte ich ihrer. Druͤm ſeume ſie nicht. Inmittels wil ich gleichwohl/ daß ſie meinen Traum wiſſe: damit ich bei ihrer uͤberkunft/ deſſelben deutung erfahre. Dieſen morgen/ da ich kaum halb ſchlummerte/ deuchtete mich in meines Herꝛn Vaters Hofe zu ſein. Alda ſahe ich ein fremdes ſchloßweiſſes tierlein; welches man ein Hårmlein nente. Dieſes wolte meine Stiefmutter mit ſchlamme beſudeln. Aber es war ſo behaͤnde/ daß ſie es nicht erwiſchen konte. Letzlich be/ kahm ſie es bei dem ende des ſchwantzes/ und wolte es mit gewalt in den koht druͤkken. Aber das Haͤrmlein ris ſo gewaltig/ daß es ihr nur ei- nen flauſch haare in der hand lies/ und darvon flohe. Daruͤber erzůrnete ſich meine Stiefmut- ter dermaßen/ daß ſie das liebliche tierlein in ein fas einſpuͤnden lies. Aber ein Leue ſties mit dem kopfe dem faſſe den bodem ein. Da kahm das Haͤrmlein heraus geſprungen/ und ward dem Leuen gantz gleich. Hiermit ward ich eben wak- ker. Sieſehe zu/ daß ſie bei dem ſchoͤnen Lerb- eignen die deutung erfahre. Sie vergeſſe es ja nicht. Bringt ſie mir dieſe mit/ wird ſie mir uͤm ſo viel angenehmer ſein. Ich werde ihr/ und ihm danken/ ſo lange ich ahteme. Die Koͤnig- liche Fuͤrſtin ſei hertzlich gegruͤßet. Morgen ſol Sie auch ein brieflein von mir empfangen. Un- terdeſſen befaͤhle ich ſie den Goͤttern. Aſſenat. Dieſes ſchreiben verurſachte/ daß Nitokris von der tafel blieb. Semeſſe muſte es ihr wohl zehn mahl vor- leſen; ſonderlich des Freuleins Traum: welcher die deu-

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/116>, abgerufen am 09.11.2024.