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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat
Ich flöhe dich an/ und du erhörest mich nicht. Ich fal-
le dir zu fuße/ und du richtest mich nicht auf. Du les-
sest mich liegen in schmaach und verachtung. Ist es
wohl müglich/ daß in einem so schönen leibe so ein grau-
sames hertze verborgen? Ist es wohl müglich/ daß mir
derselbe/ dessen leben und tod in meiner gewalt stehet/
mir seine liebe verweigern darf? Vielleicht kützelstu
dich noch darmit/ daß du deine Gebieterin höhnest?
Vielleicht ist es deine lust/ daß du mit mir spottest?
O unmenschlicher Wühterich! o grausamer Hänker!
Doch was sage ich! was klage ich über dich? Du hast
keine schuld. Du bist so unmenschlich/ so grimmig/ so
erschröklich nicht. Der argwahn/ der zwischen mir und
dir einstehet/ verhindert unserer beider vergnügung.
Dieser giebet dir solche seltzame gedanken ein. Dieser
macht dich furchtsam und schüchtern. Doch ich verhoffe
noch dis übel aus dem wege geschaft zu sehen.

Unterdessen hatte die Königliche Fürstin den guh-
ten Josef beklagt. Nun hatte sie selbsten erfahren/
wie sich ihre und der Assenat Treume zu erfüllen an-
gefangen. Sie wündschte wohl tausendmahl/ daß der
ausgang schon vor handen. Sie hatte vor diesem den
Josef/ seiner unvergleichlichen schönheit und geschik-
ligkeit wegen/ geliebet. Nun liebte sie ihn/ wegen seiner
tugend/ noch viel mehr. Diese war ihr/ aus seinen reden
zur Sefira/ auch so unvergleichlich vorgekommen/ daß
sie sich darüber nicht genug verwundern konte. Ja sie
konte kaum gleuben/ daß er/ als ein Leibeigner/ durch sei-
ner Gebieterin so seltene schönheit/ und so gar freundli-
ches ansuchen/ zur gegenliebe nicht zu bewegen gewesen.
Gleichwohl war es gewis. Ihr eigenes ohr konte sol-
ches bezeugen. Und darüm hielt sie den Josef in allem
so volkommen/ daß sie zweifelte/ ob in der gantzen welt
seines gleichen zu finden. Sie erhub ihn über alle sterb-
lichen: und schätzte die Assenat mehr als glüklich; weil

so

Der Aſſenat
Ich floͤhe dich an/ und du erhoͤreſt mich nicht. Ich fal-
le dir zu fuße/ und du richteſt mich nicht auf. Du leſ-
ſeſt mich liegen in ſchmaach und verachtung. Iſt es
wohl muͤglich/ daß in einem ſo ſchoͤnen leibe ſo ein grau-
ſames hertze verborgen? Iſt es wohl muͤglich/ daß mir
derſelbe/ deſſen leben und tod in meiner gewalt ſtehet/
mir ſeine liebe verweigern darf? Vielleicht kuͤtzelſtu
dich noch darmit/ daß du deine Gebieterin hoͤhneſt?
Vielleicht iſt es deine luſt/ daß du mit mir ſpotteſt?
O unmenſchlicher Wuͤhterich! o grauſamer Haͤnker!
Doch was ſage ich! was klage ich uͤber dich? Du haſt
keine ſchuld. Du biſt ſo unmenſchlich/ ſo grimmig/ ſo
erſchroͤklich nicht. Der argwahn/ der zwiſchen mir und
dir einſtehet/ verhindert unſerer beider vergnuͤgung.
Dieſer giebet dir ſolche ſeltzame gedanken ein. Dieſer
macht dich furchtſam und ſchuͤchtern. Doch ich verhoffe
noch dis uͤbel aus dem wege geſchaft zu ſehen.

Unterdeſſen hatte die Koͤnigliche Fuͤrſtin den guh-
ten Joſef beklagt. Nun hatte ſie ſelbſten erfahren/
wie ſich ihre und der Aſſenat Treume zu erfuͤllen an-
gefangen. Sie wuͤndſchte wohl tauſendmahl/ daß der
ausgang ſchon vor handen. Sie hatte vor dieſem den
Joſef/ ſeiner unvergleichlichen ſchoͤnheit und geſchik-
ligkeit wegen/ geliebet. Nun liebte ſie ihn/ wegen ſeiner
tugend/ noch viel mehr. Dieſe war ihr/ aus ſeinen reden
zur Sefira/ auch ſo unvergleichlich vorgekommen/ daß
ſie ſich daruͤber nicht genug verwundern konte. Ja ſie
konte kaum gleuben/ daß er/ als ein Leibeigner/ durch ſei-
ner Gebieterin ſo ſeltene ſchoͤnheit/ und ſo gar freundli-
ches anſuchen/ zur gegenliebe nicht zu bewegen geweſen.
Gleichwohl war es gewis. Ihr eigenes ohr konte ſol-
ches bezeugen. Und daruͤm hielt ſie den Joſef in allem
ſo volkommen/ daß ſie zweifelte/ ob in der gantzen welt
ſeines gleichen zu finden. Sie erhub ihn uͤber alle ſterb-
lichen: und ſchaͤtzte die Aſſenat mehr als gluͤklich; weil

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[120/0144] Der Aſſenat Ich floͤhe dich an/ und du erhoͤreſt mich nicht. Ich fal- le dir zu fuße/ und du richteſt mich nicht auf. Du leſ- ſeſt mich liegen in ſchmaach und verachtung. Iſt es wohl muͤglich/ daß in einem ſo ſchoͤnen leibe ſo ein grau- ſames hertze verborgen? Iſt es wohl muͤglich/ daß mir derſelbe/ deſſen leben und tod in meiner gewalt ſtehet/ mir ſeine liebe verweigern darf? Vielleicht kuͤtzelſtu dich noch darmit/ daß du deine Gebieterin hoͤhneſt? Vielleicht iſt es deine luſt/ daß du mit mir ſpotteſt? O unmenſchlicher Wuͤhterich! o grauſamer Haͤnker! Doch was ſage ich! was klage ich uͤber dich? Du haſt keine ſchuld. Du biſt ſo unmenſchlich/ ſo grimmig/ ſo erſchroͤklich nicht. Der argwahn/ der zwiſchen mir und dir einſtehet/ verhindert unſerer beider vergnuͤgung. Dieſer giebet dir ſolche ſeltzame gedanken ein. Dieſer macht dich furchtſam und ſchuͤchtern. Doch ich verhoffe noch dis uͤbel aus dem wege geſchaft zu ſehen. Unterdeſſen hatte die Koͤnigliche Fuͤrſtin den guh- ten Joſef beklagt. Nun hatte ſie ſelbſten erfahren/ wie ſich ihre und der Aſſenat Treume zu erfuͤllen an- gefangen. Sie wuͤndſchte wohl tauſendmahl/ daß der ausgang ſchon vor handen. Sie hatte vor dieſem den Joſef/ ſeiner unvergleichlichen ſchoͤnheit und geſchik- ligkeit wegen/ geliebet. Nun liebte ſie ihn/ wegen ſeiner tugend/ noch viel mehr. Dieſe war ihr/ aus ſeinen reden zur Sefira/ auch ſo unvergleichlich vorgekommen/ daß ſie ſich daruͤber nicht genug verwundern konte. Ja ſie konte kaum gleuben/ daß er/ als ein Leibeigner/ durch ſei- ner Gebieterin ſo ſeltene ſchoͤnheit/ und ſo gar freundli- ches anſuchen/ zur gegenliebe nicht zu bewegen geweſen. Gleichwohl war es gewis. Ihr eigenes ohr konte ſol- ches bezeugen. Und daruͤm hielt ſie den Joſef in allem ſo volkommen/ daß ſie zweifelte/ ob in der gantzen welt ſeines gleichen zu finden. Sie erhub ihn uͤber alle ſterb- lichen: und ſchaͤtzte die Aſſenat mehr als gluͤklich; weil ſo

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/144>, abgerufen am 09.11.2024.