Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.Der Assenat Ich flöhe dich an/ und du erhörest mich nicht. Ich fal-le dir zu fuße/ und du richtest mich nicht auf. Du les- sest mich liegen in schmaach und verachtung. Ist es wohl müglich/ daß in einem so schönen leibe so ein grau- sames hertze verborgen? Ist es wohl müglich/ daß mir derselbe/ dessen leben und tod in meiner gewalt stehet/ mir seine liebe verweigern darf? Vielleicht kützelstu dich noch darmit/ daß du deine Gebieterin höhnest? Vielleicht ist es deine lust/ daß du mit mir spottest? O unmenschlicher Wühterich! o grausamer Hänker! Doch was sage ich! was klage ich über dich? Du hast keine schuld. Du bist so unmenschlich/ so grimmig/ so erschröklich nicht. Der argwahn/ der zwischen mir und dir einstehet/ verhindert unserer beider vergnügung. Dieser giebet dir solche seltzame gedanken ein. Dieser macht dich furchtsam und schüchtern. Doch ich verhoffe noch dis übel aus dem wege geschaft zu sehen. Unterdessen hatte die Königliche Fürstin den guh- so
Der Aſſenat Ich floͤhe dich an/ und du erhoͤreſt mich nicht. Ich fal-le dir zu fuße/ und du richteſt mich nicht auf. Du leſ- ſeſt mich liegen in ſchmaach und verachtung. Iſt es wohl muͤglich/ daß in einem ſo ſchoͤnen leibe ſo ein grau- ſames hertze verborgen? Iſt es wohl muͤglich/ daß mir derſelbe/ deſſen leben und tod in meiner gewalt ſtehet/ mir ſeine liebe verweigern darf? Vielleicht kuͤtzelſtu dich noch darmit/ daß du deine Gebieterin hoͤhneſt? Vielleicht iſt es deine luſt/ daß du mit mir ſpotteſt? O unmenſchlicher Wuͤhterich! o grauſamer Haͤnker! Doch was ſage ich! was klage ich uͤber dich? Du haſt keine ſchuld. Du biſt ſo unmenſchlich/ ſo grimmig/ ſo erſchroͤklich nicht. Der argwahn/ der zwiſchen mir und dir einſtehet/ verhindert unſerer beider vergnuͤgung. Dieſer giebet dir ſolche ſeltzame gedanken ein. Dieſer macht dich furchtſam und ſchuͤchtern. Doch ich verhoffe noch dis uͤbel aus dem wege geſchaft zu ſehen. Unterdeſſen hatte die Koͤnigliche Fuͤrſtin den guh- ſo
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0144" n="120"/><fw place="top" type="header">Der Aſſenat</fw><lb/> Ich floͤhe dich an/ und du erhoͤreſt mich nicht. Ich fal-<lb/> le dir zu fuße/ und du richteſt mich nicht auf. Du leſ-<lb/> ſeſt mich liegen in ſchmaach und verachtung. Iſt es<lb/> wohl muͤglich/ daß in einem ſo ſchoͤnen leibe ſo ein grau-<lb/> ſames hertze verborgen? Iſt es wohl muͤglich/ daß mir<lb/> derſelbe/ deſſen leben und tod in meiner gewalt ſtehet/<lb/> mir ſeine liebe verweigern darf? Vielleicht kuͤtzelſtu<lb/> dich noch darmit/ daß du deine Gebieterin hoͤhneſt?<lb/> Vielleicht iſt es deine luſt/ daß du mit mir ſpotteſt?<lb/> O unmenſchlicher Wuͤhterich! o grauſamer Haͤnker!<lb/> Doch was ſage ich! was klage ich uͤber dich? Du haſt<lb/> keine ſchuld. Du biſt ſo unmenſchlich/ ſo grimmig/ ſo<lb/> erſchroͤklich nicht. Der argwahn/ der zwiſchen mir und<lb/> dir einſtehet/ verhindert unſerer beider vergnuͤgung.<lb/> Dieſer giebet dir ſolche ſeltzame gedanken ein. Dieſer<lb/> macht dich furchtſam und ſchuͤchtern. Doch ich verhoffe<lb/> noch dis uͤbel aus dem wege geſchaft zu ſehen.</p><lb/> <p>Unterdeſſen hatte die Koͤnigliche Fuͤrſtin den guh-<lb/> ten <hi rendition="#fr">Joſef</hi> beklagt. Nun hatte ſie ſelbſten erfahren/<lb/> wie ſich ihre und der <hi rendition="#fr">Aſſenat</hi> Treume zu erfuͤllen an-<lb/> gefangen. Sie wuͤndſchte wohl tauſendmahl/ daß der<lb/> ausgang ſchon vor handen. Sie hatte vor dieſem den<lb/><hi rendition="#fr">Joſef/</hi> ſeiner unvergleichlichen ſchoͤnheit und geſchik-<lb/> ligkeit wegen/ geliebet. Nun liebte ſie ihn/ wegen ſeiner<lb/> tugend/ noch viel mehr. Dieſe war ihr/ aus ſeinen reden<lb/> zur <hi rendition="#fr">Sefira/</hi> auch ſo unvergleichlich vorgekommen/ daß<lb/> ſie ſich daruͤber nicht genug verwundern konte. Ja ſie<lb/> konte kaum gleuben/ daß er/ als ein Leibeigner/ durch ſei-<lb/> ner Gebieterin ſo ſeltene ſchoͤnheit/ und ſo gar freundli-<lb/> ches anſuchen/ zur gegenliebe nicht zu bewegen geweſen.<lb/> Gleichwohl war es gewis. Ihr eigenes ohr konte ſol-<lb/> ches bezeugen. Und daruͤm hielt ſie den <hi rendition="#fr">Joſef</hi> in allem<lb/> ſo volkommen/ daß ſie zweifelte/ ob in der gantzen welt<lb/> ſeines gleichen zu finden. Sie erhub ihn uͤber alle ſterb-<lb/> lichen: und ſchaͤtzte die <hi rendition="#fr">Aſſenat</hi> mehr als gluͤklich; weil<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſo</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [120/0144]
Der Aſſenat
Ich floͤhe dich an/ und du erhoͤreſt mich nicht. Ich fal-
le dir zu fuße/ und du richteſt mich nicht auf. Du leſ-
ſeſt mich liegen in ſchmaach und verachtung. Iſt es
wohl muͤglich/ daß in einem ſo ſchoͤnen leibe ſo ein grau-
ſames hertze verborgen? Iſt es wohl muͤglich/ daß mir
derſelbe/ deſſen leben und tod in meiner gewalt ſtehet/
mir ſeine liebe verweigern darf? Vielleicht kuͤtzelſtu
dich noch darmit/ daß du deine Gebieterin hoͤhneſt?
Vielleicht iſt es deine luſt/ daß du mit mir ſpotteſt?
O unmenſchlicher Wuͤhterich! o grauſamer Haͤnker!
Doch was ſage ich! was klage ich uͤber dich? Du haſt
keine ſchuld. Du biſt ſo unmenſchlich/ ſo grimmig/ ſo
erſchroͤklich nicht. Der argwahn/ der zwiſchen mir und
dir einſtehet/ verhindert unſerer beider vergnuͤgung.
Dieſer giebet dir ſolche ſeltzame gedanken ein. Dieſer
macht dich furchtſam und ſchuͤchtern. Doch ich verhoffe
noch dis uͤbel aus dem wege geſchaft zu ſehen.
Unterdeſſen hatte die Koͤnigliche Fuͤrſtin den guh-
ten Joſef beklagt. Nun hatte ſie ſelbſten erfahren/
wie ſich ihre und der Aſſenat Treume zu erfuͤllen an-
gefangen. Sie wuͤndſchte wohl tauſendmahl/ daß der
ausgang ſchon vor handen. Sie hatte vor dieſem den
Joſef/ ſeiner unvergleichlichen ſchoͤnheit und geſchik-
ligkeit wegen/ geliebet. Nun liebte ſie ihn/ wegen ſeiner
tugend/ noch viel mehr. Dieſe war ihr/ aus ſeinen reden
zur Sefira/ auch ſo unvergleichlich vorgekommen/ daß
ſie ſich daruͤber nicht genug verwundern konte. Ja ſie
konte kaum gleuben/ daß er/ als ein Leibeigner/ durch ſei-
ner Gebieterin ſo ſeltene ſchoͤnheit/ und ſo gar freundli-
ches anſuchen/ zur gegenliebe nicht zu bewegen geweſen.
Gleichwohl war es gewis. Ihr eigenes ohr konte ſol-
ches bezeugen. Und daruͤm hielt ſie den Joſef in allem
ſo volkommen/ daß ſie zweifelte/ ob in der gantzen welt
ſeines gleichen zu finden. Sie erhub ihn uͤber alle ſterb-
lichen: und ſchaͤtzte die Aſſenat mehr als gluͤklich; weil
ſo
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |