Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Assenat
sondern auch alle schönste schönheiten seiner Groß- und
Vorgroßmütter/ so wohl von der Mutter/ als des Va-
ters seiten zusammengesamlet/ und dem einigen Josef
mitgeteilet/ ein gantz volkommenes meisterstükke der al-
lerschönsten schönheit herfür zu bringen. Fast eben auf
diesen schlag verfuhr nach der zeit Apelles/ als er das
Götzenbild der Schönheit und Liebe volkömlich
schön zu mahlen gesonnen. Er erwehlete aus allen
Krotonischen Jungfrauen die allerschönsten zu einem
so fürtreflichen kunststükke. Von einer ieden nahm er
die schönste schönheit/ die an ihr vor andern zu finden.
Alle diese schönste schönheiten brachte er zusammen/ und
bildete sie ab in dem einigen bilde. Und daher war die-
ses bild oder gemälde so überaus schön/ daß es mehr
durch eine göttliche/ als menschliche hand entworfen zu
sein schien.

Als nun der tag der nacht zu weichen/ und die Son-
ne dem Mohne das gebiet über die oberste helfte der erd-
kugel ein zu reumen begunte; da begab sich Josef/ mehr
vom schwermuhte/ als von der reise ermüdet/ ungeges-
sen zur nachtruhe. Aber es war ümsonst/ daß er zu ru-
hen gedachte. Es war vergebens/ daß er zu schlafen
vermeinte. Hier war weder ruhe/ noch schlaf zu finden.
Seine gedanken schweiften von einem orte zum an-
dern. Doch nirgend hielten sie sich länger auf/ als bei
seinem Vater: dessen bekümmernüs ihn weit mehr be-
kümmerte/ als sein eigenes unglük. Ach! sprach er/
wan ich nur meinem Vater/ meinem lieben Vater die
unruhe seines hertzens benehmen könte; so wolte ich al-
les meines elendes gern vergessen. Aber hier ist kein
raht. Mein unglük/ das uns beide voneinander geris-
sen/ gehet ihn so wohl an/ als mich. Was ich leide/ das
fühlet er. Was ich fühle/ das drükket ihn/ das schmer-
tzet ihn/ das kränket ihn. Und was noch das schlim-
meste ist/ ich sehe dessen kein ende. Morgen werde ich

dem

Der Aſſenat
ſondern auch alle ſchoͤnſte ſchoͤnheiten ſeiner Groß- und
Vorgroßmuͤtter/ ſo wohl von der Mutter/ als des Va-
ters ſeiten zuſammengeſamlet/ und dem einigen Joſef
mitgeteilet/ ein gantz volkommenes meiſterſtuͤkke der al-
lerſchoͤnſten ſchoͤnheit herfuͤr zu bringen. Faſt eben auf
dieſen ſchlag verfuhr nach der zeit Apelles/ als er das
Goͤtzenbild der Schoͤnheit und Liebe volkoͤmlich
ſchoͤn zu mahlen geſonnen. Er erwehlete aus allen
Krotoniſchen Jungfrauen die allerſchoͤnſten zu einem
ſo fuͤrtreflichen kunſtſtuͤkke. Von einer ieden nahm er
die ſchoͤnſte ſchoͤnheit/ die an ihr vor andern zu finden.
Alle dieſe ſchoͤnſte ſchoͤnheiten brachte er zuſammen/ und
bildete ſie ab in dem einigen bilde. Und daher war die-
ſes bild oder gemaͤlde ſo uͤberaus ſchoͤn/ daß es mehr
durch eine goͤttliche/ als menſchliche hand entworfen zu
ſein ſchien.

Als nun der tag der nacht zu weichen/ und die Son-
ne dem Mohne das gebiet uͤber die oberſte helfte der erd-
kugel ein zu reumen begunte; da begab ſich Joſef/ mehr
vom ſchwermuhte/ als von der reiſe ermuͤdet/ ungegeſ-
ſen zur nachtruhe. Aber es war uͤmſonſt/ daß er zu ru-
hen gedachte. Es war vergebens/ daß er zu ſchlafen
vermeinte. Hier war weder ruhe/ noch ſchlaf zu finden.
Seine gedanken ſchweiften von einem orte zum an-
dern. Doch nirgend hielten ſie ſich laͤnger auf/ als bei
ſeinem Vater: deſſen bekuͤmmernuͤs ihn weit mehr be-
kuͤmmerte/ als ſein eigenes ungluͤk. Ach! ſprach er/
wan ich nur meinem Vater/ meinem lieben Vater die
unruhe ſeines hertzens benehmen koͤnte; ſo wolte ich al-
les meines elendes gern vergeſſen. Aber hier iſt kein
raht. Mein ungluͤk/ das uns beide voneinander geriſ-
ſen/ gehet ihn ſo wohl an/ als mich. Was ich leide/ das
fuͤhlet er. Was ich fuͤhle/ das druͤkket ihn/ das ſchmer-
tzet ihn/ das kraͤnket ihn. Und was noch das ſchlim-
meſte iſt/ ich ſehe deſſen kein ende. Morgen werde ich

dem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="8"/><fw place="top" type="header">Der A&#x017F;&#x017F;enat</fw><lb/>
&#x017F;ondern auch alle &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te &#x017F;cho&#x0364;nheiten &#x017F;einer Groß- und<lb/>
Vorgroßmu&#x0364;tter/ &#x017F;o wohl von der Mutter/ als des Va-<lb/>
ters &#x017F;eiten zu&#x017F;ammenge&#x017F;amlet/ und dem einigen <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi><lb/>
mitgeteilet/ ein gantz volkommenes mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;kke der al-<lb/>
ler&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten &#x017F;cho&#x0364;nheit herfu&#x0364;r zu bringen. Fa&#x017F;t eben auf<lb/>
die&#x017F;en &#x017F;chlag verfuhr nach der zeit <hi rendition="#fr">Apelles/</hi> als er das<lb/><hi rendition="#fr">Go&#x0364;tzenbild der Scho&#x0364;nheit und Liebe</hi> volko&#x0364;mlich<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n zu mahlen ge&#x017F;onnen. Er erwehlete aus allen<lb/>
Krotoni&#x017F;chen Jungfrauen die aller&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten zu einem<lb/>
&#x017F;o fu&#x0364;rtreflichen kun&#x017F;t&#x017F;tu&#x0364;kke. Von einer ieden nahm er<lb/>
die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te &#x017F;cho&#x0364;nheit/ die an ihr vor andern zu finden.<lb/>
Alle die&#x017F;e &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te &#x017F;cho&#x0364;nheiten brachte er zu&#x017F;ammen/ und<lb/>
bildete &#x017F;ie ab in dem einigen bilde. <hi rendition="#fr">U</hi>nd daher war die-<lb/>
&#x017F;es bild oder gema&#x0364;lde &#x017F;o u&#x0364;beraus &#x017F;cho&#x0364;n/ daß es mehr<lb/>
durch eine go&#x0364;ttliche/ als men&#x017F;chliche hand entworfen zu<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;chien.</p><lb/>
        <p>Als nun der tag der nacht zu weichen/ und die Son-<lb/>
ne dem Mohne das gebiet u&#x0364;ber die ober&#x017F;te helfte der erd-<lb/>
kugel ein zu reumen begunte; da begab &#x017F;ich <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef/</hi> mehr<lb/>
vom &#x017F;chwermuhte/ als von der rei&#x017F;e ermu&#x0364;det/ ungege&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en zur nachtruhe. Aber es war u&#x0364;m&#x017F;on&#x017F;t/ daß er zu ru-<lb/>
hen gedachte. Es war vergebens/ daß er zu &#x017F;chlafen<lb/>
vermeinte. Hier war weder ruhe/ noch &#x017F;chlaf zu finden.<lb/>
Seine gedanken &#x017F;chweiften von einem orte zum an-<lb/>
dern. Doch nirgend hielten &#x017F;ie &#x017F;ich la&#x0364;nger auf/ als bei<lb/>
&#x017F;einem Vater: de&#x017F;&#x017F;en beku&#x0364;mmernu&#x0364;s ihn weit mehr be-<lb/>
ku&#x0364;mmerte/ als &#x017F;ein eigenes unglu&#x0364;k. Ach! &#x017F;prach er/<lb/>
wan ich nur meinem Vater/ meinem lieben Vater die<lb/>
unruhe &#x017F;eines hertzens benehmen ko&#x0364;nte; &#x017F;o wolte ich al-<lb/>
les meines elendes gern verge&#x017F;&#x017F;en. Aber hier i&#x017F;t kein<lb/>
raht. Mein unglu&#x0364;k/ das uns beide voneinander geri&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en/ gehet ihn &#x017F;o wohl an/ als mich. Was ich leide/ das<lb/>
fu&#x0364;hlet er. Was ich fu&#x0364;hle/ das dru&#x0364;kket ihn/ das &#x017F;chmer-<lb/>
tzet ihn/ das kra&#x0364;nket ihn. <hi rendition="#fr">U</hi>nd was noch das &#x017F;chlim-<lb/>
me&#x017F;te i&#x017F;t/ ich &#x017F;ehe de&#x017F;&#x017F;en kein ende. Morgen werde ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dem</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0032] Der Aſſenat ſondern auch alle ſchoͤnſte ſchoͤnheiten ſeiner Groß- und Vorgroßmuͤtter/ ſo wohl von der Mutter/ als des Va- ters ſeiten zuſammengeſamlet/ und dem einigen Joſef mitgeteilet/ ein gantz volkommenes meiſterſtuͤkke der al- lerſchoͤnſten ſchoͤnheit herfuͤr zu bringen. Faſt eben auf dieſen ſchlag verfuhr nach der zeit Apelles/ als er das Goͤtzenbild der Schoͤnheit und Liebe volkoͤmlich ſchoͤn zu mahlen geſonnen. Er erwehlete aus allen Krotoniſchen Jungfrauen die allerſchoͤnſten zu einem ſo fuͤrtreflichen kunſtſtuͤkke. Von einer ieden nahm er die ſchoͤnſte ſchoͤnheit/ die an ihr vor andern zu finden. Alle dieſe ſchoͤnſte ſchoͤnheiten brachte er zuſammen/ und bildete ſie ab in dem einigen bilde. Und daher war die- ſes bild oder gemaͤlde ſo uͤberaus ſchoͤn/ daß es mehr durch eine goͤttliche/ als menſchliche hand entworfen zu ſein ſchien. Als nun der tag der nacht zu weichen/ und die Son- ne dem Mohne das gebiet uͤber die oberſte helfte der erd- kugel ein zu reumen begunte; da begab ſich Joſef/ mehr vom ſchwermuhte/ als von der reiſe ermuͤdet/ ungegeſ- ſen zur nachtruhe. Aber es war uͤmſonſt/ daß er zu ru- hen gedachte. Es war vergebens/ daß er zu ſchlafen vermeinte. Hier war weder ruhe/ noch ſchlaf zu finden. Seine gedanken ſchweiften von einem orte zum an- dern. Doch nirgend hielten ſie ſich laͤnger auf/ als bei ſeinem Vater: deſſen bekuͤmmernuͤs ihn weit mehr be- kuͤmmerte/ als ſein eigenes ungluͤk. Ach! ſprach er/ wan ich nur meinem Vater/ meinem lieben Vater die unruhe ſeines hertzens benehmen koͤnte; ſo wolte ich al- les meines elendes gern vergeſſen. Aber hier iſt kein raht. Mein ungluͤk/ das uns beide voneinander geriſ- ſen/ gehet ihn ſo wohl an/ als mich. Was ich leide/ das fuͤhlet er. Was ich fuͤhle/ das druͤkket ihn/ das ſchmer- tzet ihn/ das kraͤnket ihn. Und was noch das ſchlim- meſte iſt/ ich ſehe deſſen kein ende. Morgen werde ich dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/32
Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/32>, abgerufen am 22.12.2024.