Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Assenat

Ruben/ als auch Judah/ und Sebulon ver-
meinten ihnen den gefasten argwahn aus dem sinne zu
reden. Aber sie grolleten und gruntzeten immerfort;
sonderlich Simeon. Judah/ der ein verständiger und
bescheidener man ist/ auch dem Josef so abhold und
abgünstig nicht war/ suchte sie auf allerhand weise zu
begühtigen. Was? sagte er/ solte man auf treume
achten. Treume seind treume; und nichts mehr. Sol-
te man so töhricht sein sich über einen traum zu betrü-
ben/ oder zu erfreuen? Josef hat den tag zuvor uns im
garbenbinden geholfen. Das ist ihm die nacht darauf
wieder vorkommen. Seine einbildung hat im schlafe
ihr spiel gehabt. Diese ruhet nimmer. Sie pflegt uns
allezeit/ so wohl wan wir schlafen/ als wan wir wa-
chen/ ihre bilder vor zu stellen. Und diese bilder nimt
sie gemeiniglich von solchen dingen/ damit wir am mei-
sten ümgehen. Fast eben dergleichen hielt ihnen auch
Ruben/ und Sebulon vor. Aber es half alles nichts.
Ihr grol wühtete und tobete gleichwohl so sehr/ daß sie
mit gantz unruhigem hertzen voneinander gingen.

Nicht lange darnach hatte Josef noch einen andern
Traum. Es dauchte ihn: daß sich die Sonne und
der Mohn/ und elf Sterne für ihm neugeten.

Da diesen traum sein Vater hörete/ erseuftzete er noch
mehr/ als vorhin. Und weil er sahe/ daß seine andern
Söhne darüber knurreten; strafete er ihn/ zum scheine/
in ihrer gegenwart. Was ist das vor ein Traum? sag-
te er. Sol ich und deine Mutter/ und deine Brüder
kommen/ und dich anbehten? Aber er behielt gleichwohl
alle diese worte in seinem hertzen. Er wuste gewis/ daß
ihre bedeutung geschehen würde. Ja er wündschte/
daß er sie bald erfüllet sehen möchte: und erfreuete sich
schon in seinem hertzen/ seinen liebsten Sohn in solcher
herligkeit zu schauen. Wie sehr sich nun Jakob auf
seines Sohnes künftige glükserhöhung freuete; eben so

sehr
Der Aſſenat

Ruben/ als auch Judah/ und Sebulon ver-
meinten ihnen den gefaſten argwahn aus dem ſinne zu
reden. Aber ſie grolleten und gruntzeten immerfort;
ſonderlich Simeon. Judah/ der ein verſtaͤndiger und
beſcheidener man iſt/ auch dem Joſef ſo abhold und
abguͤnſtig nicht war/ ſuchte ſie auf allerhand weiſe zu
beguͤhtigen. Was? ſagte er/ ſolte man auf treume
achten. Treume ſeind treume; und nichts mehr. Sol-
te man ſo toͤhricht ſein ſich uͤber einen traum zu betruͤ-
ben/ oder zu erfreuen? Joſef hat den tag zuvor uns im
garbenbinden geholfen. Das iſt ihm die nacht darauf
wieder vorkommen. Seine einbildung hat im ſchlafe
ihr ſpiel gehabt. Dieſe ruhet nimmer. Sie pflegt uns
allezeit/ ſo wohl wan wir ſchlafen/ als wan wir wa-
chen/ ihre bilder vor zu ſtellen. Und dieſe bilder nimt
ſie gemeiniglich von ſolchen dingen/ damit wir am mei-
ſten uͤmgehen. Faſt eben dergleichen hielt ihnen auch
Ruben/ und Sebulon vor. Aber es half alles nichts.
Ihr grol wuͤhtete und tobete gleichwohl ſo ſehr/ daß ſie
mit gantz unruhigem hertzen voneinander gingen.

Nicht lange darnach hatte Joſef noch einen andern
Traum. Es dauchte ihn: daß ſich die Sonne und
der Mohn/ und elf Sterne fuͤr ihm neugeten.

Da dieſen traum ſein Vater hoͤrete/ erſeuftzete er noch
mehr/ als vorhin. Und weil er ſahe/ daß ſeine andern
Soͤhne daruͤber knurreten; ſtrafete er ihn/ zum ſcheine/
in ihrer gegenwart. Was iſt das vor ein Traum? ſag-
te er. Sol ich und deine Mutter/ und deine Bruͤder
kommen/ und dich anbehten? Aber er behielt gleichwohl
alle dieſe worte in ſeinem hertzen. Er wuſte gewis/ daß
ihre bedeutung geſchehen wuͤrde. Ja er wuͤndſchte/
daß er ſie bald erfuͤllet ſehen moͤchte: und erfreuete ſich
ſchon in ſeinem hertzen/ ſeinen liebſten Sohn in ſolcher
herligkeit zu ſchauen. Wie ſehr ſich nun Jakob auf
ſeines Sohnes kuͤnftige gluͤkserhoͤhung freuete; eben ſo

ſehr
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0086" n="62"/>
        <fw place="top" type="header">Der A&#x017F;&#x017F;enat</fw><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Ruben/</hi> als auch <hi rendition="#fr">Judah/</hi> und <hi rendition="#fr">Sebulon</hi> ver-<lb/>
meinten ihnen den gefa&#x017F;ten argwahn aus dem &#x017F;inne zu<lb/>
reden. Aber &#x017F;ie grolleten und gruntzeten immerfort;<lb/>
&#x017F;onderlich <hi rendition="#fr">Simeon. Judah/</hi> der ein ver&#x017F;ta&#x0364;ndiger und<lb/>
be&#x017F;cheidener man i&#x017F;t/ auch dem <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> &#x017F;o abhold und<lb/>
abgu&#x0364;n&#x017F;tig nicht war/ &#x017F;uchte &#x017F;ie auf allerhand wei&#x017F;e zu<lb/>
begu&#x0364;htigen. Was? &#x017F;agte er/ &#x017F;olte man auf treume<lb/>
achten. Treume &#x017F;eind treume; und nichts mehr. Sol-<lb/>
te man &#x017F;o to&#x0364;hricht &#x017F;ein &#x017F;ich u&#x0364;ber einen traum zu betru&#x0364;-<lb/>
ben/ oder zu erfreuen? <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> hat den tag zuvor uns im<lb/>
garbenbinden geholfen. Das i&#x017F;t ihm die nacht darauf<lb/>
wieder vorkommen. Seine einbildung hat im &#x017F;chlafe<lb/>
ihr &#x017F;piel gehabt. Die&#x017F;e ruhet nimmer. Sie pflegt uns<lb/>
allezeit/ &#x017F;o wohl wan wir &#x017F;chlafen/ als wan wir wa-<lb/>
chen/ ihre bilder vor zu &#x017F;tellen. Und die&#x017F;e bilder nimt<lb/>
&#x017F;ie gemeiniglich von &#x017F;olchen dingen/ damit wir am mei-<lb/>
&#x017F;ten u&#x0364;mgehen. Fa&#x017F;t eben dergleichen hielt ihnen auch<lb/><hi rendition="#fr">Ruben/</hi> und <hi rendition="#fr">Sebulon</hi> vor. Aber es half alles nichts.<lb/>
Ihr grol wu&#x0364;htete und tobete gleichwohl &#x017F;o &#x017F;ehr/ daß &#x017F;ie<lb/>
mit gantz unruhigem hertzen voneinander gingen.</p><lb/>
        <p>Nicht lange darnach hatte <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> noch einen andern<lb/>
Traum. Es dauchte ihn: <hi rendition="#fr">daß &#x017F;ich die Sonne und<lb/>
der Mohn/ und elf Sterne fu&#x0364;r ihm neugeten.</hi><lb/>
Da die&#x017F;en traum &#x017F;ein Vater ho&#x0364;rete/ er&#x017F;euftzete er noch<lb/>
mehr/ als vorhin. Und weil er &#x017F;ahe/ daß &#x017F;eine andern<lb/>
So&#x0364;hne daru&#x0364;ber knurreten; &#x017F;trafete er ihn/ zum &#x017F;cheine/<lb/>
in ihrer gegenwart. Was i&#x017F;t das vor ein Traum? &#x017F;ag-<lb/>
te er. Sol ich und deine Mutter/ und deine Bru&#x0364;der<lb/>
kommen/ und dich anbehten? Aber er behielt gleichwohl<lb/>
alle die&#x017F;e worte in &#x017F;einem hertzen. Er wu&#x017F;te gewis/ daß<lb/>
ihre bedeutung ge&#x017F;chehen wu&#x0364;rde. Ja er wu&#x0364;nd&#x017F;chte/<lb/>
daß er &#x017F;ie bald erfu&#x0364;llet &#x017F;ehen mo&#x0364;chte: und erfreuete &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;chon in &#x017F;einem hertzen/ &#x017F;einen lieb&#x017F;ten Sohn in &#x017F;olcher<lb/>
herligkeit zu &#x017F;chauen. Wie &#x017F;ehr &#x017F;ich nun <hi rendition="#fr">Jakob</hi> auf<lb/>
&#x017F;eines Sohnes ku&#x0364;nftige glu&#x0364;kserho&#x0364;hung freuete; eben &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ehr</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0086] Der Aſſenat Ruben/ als auch Judah/ und Sebulon ver- meinten ihnen den gefaſten argwahn aus dem ſinne zu reden. Aber ſie grolleten und gruntzeten immerfort; ſonderlich Simeon. Judah/ der ein verſtaͤndiger und beſcheidener man iſt/ auch dem Joſef ſo abhold und abguͤnſtig nicht war/ ſuchte ſie auf allerhand weiſe zu beguͤhtigen. Was? ſagte er/ ſolte man auf treume achten. Treume ſeind treume; und nichts mehr. Sol- te man ſo toͤhricht ſein ſich uͤber einen traum zu betruͤ- ben/ oder zu erfreuen? Joſef hat den tag zuvor uns im garbenbinden geholfen. Das iſt ihm die nacht darauf wieder vorkommen. Seine einbildung hat im ſchlafe ihr ſpiel gehabt. Dieſe ruhet nimmer. Sie pflegt uns allezeit/ ſo wohl wan wir ſchlafen/ als wan wir wa- chen/ ihre bilder vor zu ſtellen. Und dieſe bilder nimt ſie gemeiniglich von ſolchen dingen/ damit wir am mei- ſten uͤmgehen. Faſt eben dergleichen hielt ihnen auch Ruben/ und Sebulon vor. Aber es half alles nichts. Ihr grol wuͤhtete und tobete gleichwohl ſo ſehr/ daß ſie mit gantz unruhigem hertzen voneinander gingen. Nicht lange darnach hatte Joſef noch einen andern Traum. Es dauchte ihn: daß ſich die Sonne und der Mohn/ und elf Sterne fuͤr ihm neugeten. Da dieſen traum ſein Vater hoͤrete/ erſeuftzete er noch mehr/ als vorhin. Und weil er ſahe/ daß ſeine andern Soͤhne daruͤber knurreten; ſtrafete er ihn/ zum ſcheine/ in ihrer gegenwart. Was iſt das vor ein Traum? ſag- te er. Sol ich und deine Mutter/ und deine Bruͤder kommen/ und dich anbehten? Aber er behielt gleichwohl alle dieſe worte in ſeinem hertzen. Er wuſte gewis/ daß ihre bedeutung geſchehen wuͤrde. Ja er wuͤndſchte/ daß er ſie bald erfuͤllet ſehen moͤchte: und erfreuete ſich ſchon in ſeinem hertzen/ ſeinen liebſten Sohn in ſolcher herligkeit zu ſchauen. Wie ſehr ſich nun Jakob auf ſeines Sohnes kuͤnftige gluͤkserhoͤhung freuete; eben ſo ſehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/86
Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/86>, abgerufen am 27.12.2024.