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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat
ihn/ ohne einige antwort/ schon zu greiffen begunte.
Simeon/ weil er der stärkste war/ muste seine feuste
darzu lehnen. Er muste ihr häscher/ ihr hänkersknecht/
und stokmeister sein. Er muste ihn binden/ und in seine
verwahrung nehmen. Unterdessen trahten die andern
seitwärts ab. Sie berahtfragten sich bei Ruben/ was
man weiter tuhn solte. Dieser hette den Josef gern ge-
rettet/ und wieder zu seinem Vater gebracht. Aber er
durfte sich dessen im geringsten nicht verlauten laßen,
Sie hatten ihm den tod geschworen. Das wuste er. Ja
er wuste/ daß ihre neidische hertzen so gar erbittert weren/
daß/ wofern er von seiner lebens er haltung redete/ sie ihn
straks tödten würden. Und darüm sprach er sie also an.

Weil allen Söhnen Jakobs/ welche Rahel nicht
gebohren/ ein unglük gedreuet wird; so were ich
wohl töhricht/ mir ein zu bilden/ daß ich und meine
kinder dessen entohnigt sein würden. Ich bin mit unter
derselben zahl. Ich würde/ wan es ergehen solte/ dem
Josef so wohl dienen müssen/ als ihr. Ich würde eben
so wohl sein leibeigner sein müssen/ als ihr. Meine er-
ste gebuhrt würde mir nichts helfen. Der erste würde
so wohl das joch tragen müssen/ als der letzte. Und
darüm mus ich meinen unglükke selbst vorbauen. Dar-
üm mus ich meinem sicherheit selbst rahten. Ja darüm
mus ich nohtwendig rahten/ daß Josef vertilget werde.
Hierinnen beruhet unsere algemeine wohlfahrt. Aber
daß wir unsere hände selbst an ihn legen sollen/ rahte ich
itzund eben so wenig/ als vorhin. Dan also begingen
wir einen Brudermord. Ja wir begingen zugleich ei-
nen Vatermord. Was könte greulicher gedacht wer-
den? Wan wir den Vater seines liebsten Sohnes be-
raubten/ würden wir ihn nicht zugleich seines lebens
berauben? Würden wir ihn nicht muhtwillig in ein un-
aussprechliches hertzleid/ und durch dieses gar in die
grube bringen? Ich wil mehr sagen. Würde nicht Jo-

sefs

Der Aſſenat
ihn/ ohne einige antwort/ ſchon zu greiffen begunte.
Simeon/ weil er der ſtaͤrkſte war/ muſte ſeine feuſte
darzu lehnen. Er muſte ihr haͤſcher/ ihr haͤnkersknecht/
und ſtokmeiſter ſein. Er muſte ihn binden/ und in ſeine
verwahrung nehmen. Unterdeſſen trahten die andern
ſeitwaͤrts ab. Sie berahtfragten ſich bei Ruben/ was
man weiter tuhn ſolte. Dieſer hette den Joſef gern ge-
rettet/ und wieder zu ſeinem Vater gebracht. Aber er
durfte ſich deſſen im geringſten nicht verlauten laßen,
Sie hatten ihm den tod geſchworen. Das wuſte er. Ja
er wuſte/ daß ihre neidiſche hertzen ſo gar erbittert weren/
daß/ wofern er von ſeiner lebens er haltung redete/ ſie ihn
ſtraks toͤdten wuͤrden. Und daruͤm ſprach er ſie alſo an.

Weil allen Soͤhnen Jakobs/ welche Rahel nicht
gebohren/ ein ungluͤk gedreuet wird; ſo were ich
wohl toͤhricht/ mir ein zu bilden/ daß ich und meine
kinder deſſen entohnigt ſein wuͤrden. Ich bin mit unter
derſelben zahl. Ich wuͤrde/ wan es ergehen ſolte/ dem
Joſef ſo wohl dienen muͤſſen/ als ihr. Ich wuͤrde eben
ſo wohl ſein leibeigner ſein muͤſſen/ als ihr. Meine er-
ſte gebuhrt wuͤrde mir nichts helfen. Der erſte wuͤrde
ſo wohl das joch tragen muͤſſen/ als der letzte. Und
daruͤm mus ich meinen ungluͤkke ſelbſt vorbauen. Dar-
uͤm mus ich meinem ſicherheit ſelbſt rahten. Ja daruͤm
mus ich nohtwendig rahten/ daß Joſef vertilget werde.
Hierinnen beruhet unſere algemeine wohlfahrt. Aber
daß wir unſere haͤnde ſelbſt an ihn legen ſollen/ rahte ich
itzund eben ſo wenig/ als vorhin. Dan alſo begingen
wir einen Brudermord. Ja wir begingen zugleich ei-
nen Vatermord. Was koͤnte greulicher gedacht wer-
den? Wan wir den Vater ſeines liebſten Sohnes be-
raubten/ wuͤrden wir ihn nicht zugleich ſeines lebens
berauben? Wuͤrden wir ihn nicht muhtwillig in ein un-
ausſprechliches hertzleid/ und durch dieſes gar in die
grube bringen? Ich wil mehr ſagen. Wuͤrde nicht Jo-

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[72/0096] Der Aſſenat ihn/ ohne einige antwort/ ſchon zu greiffen begunte. Simeon/ weil er der ſtaͤrkſte war/ muſte ſeine feuſte darzu lehnen. Er muſte ihr haͤſcher/ ihr haͤnkersknecht/ und ſtokmeiſter ſein. Er muſte ihn binden/ und in ſeine verwahrung nehmen. Unterdeſſen trahten die andern ſeitwaͤrts ab. Sie berahtfragten ſich bei Ruben/ was man weiter tuhn ſolte. Dieſer hette den Joſef gern ge- rettet/ und wieder zu ſeinem Vater gebracht. Aber er durfte ſich deſſen im geringſten nicht verlauten laßen, Sie hatten ihm den tod geſchworen. Das wuſte er. Ja er wuſte/ daß ihre neidiſche hertzen ſo gar erbittert weren/ daß/ wofern er von ſeiner lebens er haltung redete/ ſie ihn ſtraks toͤdten wuͤrden. Und daruͤm ſprach er ſie alſo an. Weil allen Soͤhnen Jakobs/ welche Rahel nicht gebohren/ ein ungluͤk gedreuet wird; ſo were ich wohl toͤhricht/ mir ein zu bilden/ daß ich und meine kinder deſſen entohnigt ſein wuͤrden. Ich bin mit unter derſelben zahl. Ich wuͤrde/ wan es ergehen ſolte/ dem Joſef ſo wohl dienen muͤſſen/ als ihr. Ich wuͤrde eben ſo wohl ſein leibeigner ſein muͤſſen/ als ihr. Meine er- ſte gebuhrt wuͤrde mir nichts helfen. Der erſte wuͤrde ſo wohl das joch tragen muͤſſen/ als der letzte. Und daruͤm mus ich meinen ungluͤkke ſelbſt vorbauen. Dar- uͤm mus ich meinem ſicherheit ſelbſt rahten. Ja daruͤm mus ich nohtwendig rahten/ daß Joſef vertilget werde. Hierinnen beruhet unſere algemeine wohlfahrt. Aber daß wir unſere haͤnde ſelbſt an ihn legen ſollen/ rahte ich itzund eben ſo wenig/ als vorhin. Dan alſo begingen wir einen Brudermord. Ja wir begingen zugleich ei- nen Vatermord. Was koͤnte greulicher gedacht wer- den? Wan wir den Vater ſeines liebſten Sohnes be- raubten/ wuͤrden wir ihn nicht zugleich ſeines lebens berauben? Wuͤrden wir ihn nicht muhtwillig in ein un- ausſprechliches hertzleid/ und durch dieſes gar in die grube bringen? Ich wil mehr ſagen. Wuͤrde nicht Jo- ſefs

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/96>, abgerufen am 23.12.2024.