Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nie in den Krug, aber auch nicht zur Kirche, die sie sonst regelmäßig besucht hatten. Der Pfarrer, als er dem Müller begegnete, erkundigte sich bei ihm nach dieser Versäumung des Gotteshauses und machte ihm Vorhaltungen. Der Mann antwortete nicht; es waren von ihm nur die Worte herauszubringen: es muß erst besser werden in der Welt! Beide Männer hielten jetzt jeder eine Zeitung, die sie einander austauschten und an Winter-Abenden meist durch Marie sich vorlesen ließen. Wenn sie dann von den Bedrückungen in fremden Ländern hörten, von der Ungerechtigkeit, mit der hie und da die Unterthanen behandelt wurden, heiterte sich das Gesicht des Müllers sichtlich auf. Schleswig-Holstein hatte sich damals schon für seine Rechte erhoben, und die Männer in andern Ländern traten zusammen. Welchen Gewinn siehst du dabei, fragte der Schmied, wenn es armen Leuten schlecht geht? Ich freue mich, weil ich nun den Lehrer verstehe: die Ungerechtigkeit ist die Mutter der Freiheit! Wem eine tiefere Bildung gegeben ist, der soll sich nicht dem Pessimismus hingeben; aber er wird mit keiner Ueberredung aus den Massen die Hoffnung auf das Besserwerden durch das Schlechterwerden herausbringen. Denn der Ungebildete hat einen zu engen Kreis der Thätigkeit, als daß er das Wahre und Edle könnte fördern helfen. Sein einfacher Glaube an Gottes Gerechtigkeit läßt ihn auch nicht dazu kommen, die Noth- nie in den Krug, aber auch nicht zur Kirche, die sie sonst regelmäßig besucht hatten. Der Pfarrer, als er dem Müller begegnete, erkundigte sich bei ihm nach dieser Versäumung des Gotteshauses und machte ihm Vorhaltungen. Der Mann antwortete nicht; es waren von ihm nur die Worte herauszubringen: es muß erst besser werden in der Welt! Beide Männer hielten jetzt jeder eine Zeitung, die sie einander austauschten und an Winter-Abenden meist durch Marie sich vorlesen ließen. Wenn sie dann von den Bedrückungen in fremden Ländern hörten, von der Ungerechtigkeit, mit der hie und da die Unterthanen behandelt wurden, heiterte sich das Gesicht des Müllers sichtlich auf. Schleswig-Holstein hatte sich damals schon für seine Rechte erhoben, und die Männer in andern Ländern traten zusammen. Welchen Gewinn siehst du dabei, fragte der Schmied, wenn es armen Leuten schlecht geht? Ich freue mich, weil ich nun den Lehrer verstehe: die Ungerechtigkeit ist die Mutter der Freiheit! Wem eine tiefere Bildung gegeben ist, der soll sich nicht dem Pessimismus hingeben; aber er wird mit keiner Ueberredung aus den Massen die Hoffnung auf das Besserwerden durch das Schlechterwerden herausbringen. Denn der Ungebildete hat einen zu engen Kreis der Thätigkeit, als daß er das Wahre und Edle könnte fördern helfen. Sein einfacher Glaube an Gottes Gerechtigkeit läßt ihn auch nicht dazu kommen, die Noth- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0031"/> nie in den Krug, aber auch nicht zur Kirche, die sie sonst regelmäßig besucht hatten. Der Pfarrer, als er dem Müller begegnete, erkundigte sich bei ihm nach dieser Versäumung des Gotteshauses und machte ihm Vorhaltungen. Der Mann antwortete nicht; es waren von ihm nur die Worte herauszubringen: es muß erst besser werden in der Welt! Beide Männer hielten jetzt jeder eine Zeitung, die sie einander austauschten und an Winter-Abenden meist durch Marie sich vorlesen ließen. Wenn sie dann von den Bedrückungen in fremden Ländern hörten, von der Ungerechtigkeit, mit der hie und da die Unterthanen behandelt wurden, heiterte sich das Gesicht des Müllers sichtlich auf. Schleswig-Holstein hatte sich damals schon für seine Rechte erhoben, und die Männer in andern Ländern traten zusammen.</p><lb/> <p>Welchen Gewinn siehst du dabei, fragte der Schmied, wenn es armen Leuten schlecht geht?</p><lb/> <p>Ich freue mich, weil ich nun den Lehrer verstehe: die Ungerechtigkeit ist die Mutter der Freiheit!</p><lb/> <p>Wem eine tiefere Bildung gegeben ist, der soll sich nicht dem Pessimismus hingeben; aber er wird mit keiner Ueberredung aus den Massen die Hoffnung auf das Besserwerden durch das Schlechterwerden herausbringen. Denn der Ungebildete hat einen zu engen Kreis der Thätigkeit, als daß er das Wahre und Edle könnte fördern helfen. Sein einfacher Glaube an Gottes Gerechtigkeit läßt ihn auch nicht dazu kommen, die Noth-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
nie in den Krug, aber auch nicht zur Kirche, die sie sonst regelmäßig besucht hatten. Der Pfarrer, als er dem Müller begegnete, erkundigte sich bei ihm nach dieser Versäumung des Gotteshauses und machte ihm Vorhaltungen. Der Mann antwortete nicht; es waren von ihm nur die Worte herauszubringen: es muß erst besser werden in der Welt! Beide Männer hielten jetzt jeder eine Zeitung, die sie einander austauschten und an Winter-Abenden meist durch Marie sich vorlesen ließen. Wenn sie dann von den Bedrückungen in fremden Ländern hörten, von der Ungerechtigkeit, mit der hie und da die Unterthanen behandelt wurden, heiterte sich das Gesicht des Müllers sichtlich auf. Schleswig-Holstein hatte sich damals schon für seine Rechte erhoben, und die Männer in andern Ländern traten zusammen.
Welchen Gewinn siehst du dabei, fragte der Schmied, wenn es armen Leuten schlecht geht?
Ich freue mich, weil ich nun den Lehrer verstehe: die Ungerechtigkeit ist die Mutter der Freiheit!
Wem eine tiefere Bildung gegeben ist, der soll sich nicht dem Pessimismus hingeben; aber er wird mit keiner Ueberredung aus den Massen die Hoffnung auf das Besserwerden durch das Schlechterwerden herausbringen. Denn der Ungebildete hat einen zu engen Kreis der Thätigkeit, als daß er das Wahre und Edle könnte fördern helfen. Sein einfacher Glaube an Gottes Gerechtigkeit läßt ihn auch nicht dazu kommen, die Noth-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T14:10:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T14:10:09Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |