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Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.

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1722.
XX. Auf der verwittibten Frau Gräfin zu
Castell 51sten Jahr-Tag.
HErr JEsu! segne Sie um deines Nahmens Willen,
Die unser beyder Hertz als Vaters Schwester ehrt.
Ach! fahre fort den Geist zu setzen und zu stillen,
Den noch so mancherley von aussen her beschwehrt!
O Liebe! hast du nicht für sie den Tod gelitten,
Nicht deiner Gottheit-Glantz mit Dunckelheit bedeckt,
Nicht mit dem hellen Schwarm der Schlangen-Brut ge-
stritten,

Nicht dich in eigner Krafft für Sie auch auferweckt,
Nicht, daß sie herrschete, dich selbst zum Knecht verkauffet,
Und dürftig arm gemacht, die Seele reich zu sehn,
Nicht dich mit Flamm und Brand des Zornes selbst getaufet,
Um Sie zu würdigen durch Meer und Feur zu gehn?
Ja, HErr! dis alles ist für Sie so wohl geschehen,
Als uns und andere; Ja darum littest du:
Sie soll dein Antlitz einst versöhnt im Friede sehen;
Durch deiner Arbeit Krafft, gedeyhet sie zur Ruh:
Ja: aber darum bist du nicht herab gekommen,
Daß du nur bloß allein der Sünden-Träger seyst:
Du scheinest Gnaden-Licht und Leitstern aller Frommen;
Damit du uns zugleich von aller Nacht befreyst:
Dein Wandel solte uns, o GOtt-Mensch! deutlich weisen,
Wie jeder GOttes-Mensch in unbeflecktem Sinn,
Mit seinem Lebens-Lauf den Nahmen Christi preisen,
Und also streiten soll, daß er den Crantz gewinn.
Als Christ ist man nicht Graf, nicht Fürst, nicht edler Ritter;
Dis dünckt dem edlen Geist ein ungereimter Tand.
Jhr Nicht! ist Christi Wort: Die Lehre schmeckt wohl bitter,
Wenn man des Christen Staats-Gesetze nicht erkannt.
Denn hiemit werden nicht die Stände aufgehaben:
Die sind in ihrer Art als wie ein Boten-Schild,
Damit wir durch das Land der Cananiter traben,
Wo als ein Passeport der Ehren-Titul gilt.
Wie
1722.
XX. Auf der verwittibten Frau Graͤfin zu
Caſtell 51ſten Jahr-Tag.
HErr JEſu! ſegne Sie um deines Nahmens Willen,
Die unſer beyder Hertz als Vaters Schweſter ehrt.
Ach! fahre fort den Geiſt zu ſetzen und zu ſtillen,
Den noch ſo mancherley von auſſen her beſchwehrt!
O Liebe! haſt du nicht fuͤr ſie den Tod gelitten,
Nicht deiner Gottheit-Glantz mit Dunckelheit bedeckt,
Nicht mit dem hellen Schwarm der Schlangen-Brut ge-
ſtritten,

Nicht dich in eigner Krafft fuͤr Sie auch auferweckt,
Nicht, daß ſie herrſchete, dich ſelbſt zum Knecht verkauffet,
Und duͤrftig arm gemacht, die Seele reich zu ſehn,
Nicht dich mit Flamm und Brand des Zornes ſelbſt getaufet,
Um Sie zu wuͤrdigen durch Meer und Feur zu gehn?
Ja, HErr! dis alles iſt fuͤr Sie ſo wohl geſchehen,
Als uns und andere; Ja darum litteſt du:
Sie ſoll dein Antlitz einſt verſoͤhnt im Friede ſehen;
Durch deiner Arbeit Krafft, gedeyhet ſie zur Ruh:
Ja: aber darum biſt du nicht herab gekommen,
Daß du nur bloß allein der Suͤnden-Traͤger ſeyſt:
Du ſcheineſt Gnaden-Licht und Leitſtern aller Frommen;
Damit du uns zugleich von aller Nacht befreyſt:
Dein Wandel ſolte uns, o GOtt-Menſch! deutlich weiſen,
Wie jeder GOttes-Menſch in unbeflecktem Sinn,
Mit ſeinem Lebens-Lauf den Nahmen Chriſti preiſen,
Und alſo ſtreiten ſoll, daß er den Crantz gewinn.
Als Chriſt iſt man nicht Graf, nicht Fuͤrſt, nicht edler Ritter;
Dis duͤnckt dem edlen Geiſt ein ungereimter Tand.
Jhr Nicht! iſt Chriſti Wort: Die Lehre ſchmeckt wohl bitter,
Wenn man des Chriſten Staats-Geſetze nicht erkannt.
Denn hiemit werden nicht die Staͤnde aufgehaben:
Die ſind in ihrer Art als wie ein Boten-Schild,
Damit wir durch das Land der Cananiter traben,
Wo als ein Paſſeport der Ehren-Titul gilt.
Wie
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[46/0056] 1722. XX. Auf der verwittibten Frau Graͤfin zu Caſtell 51ſten Jahr-Tag. HErr JEſu! ſegne Sie um deines Nahmens Willen, Die unſer beyder Hertz als Vaters Schweſter ehrt. Ach! fahre fort den Geiſt zu ſetzen und zu ſtillen, Den noch ſo mancherley von auſſen her beſchwehrt! O Liebe! haſt du nicht fuͤr ſie den Tod gelitten, Nicht deiner Gottheit-Glantz mit Dunckelheit bedeckt, Nicht mit dem hellen Schwarm der Schlangen-Brut ge- ſtritten, Nicht dich in eigner Krafft fuͤr Sie auch auferweckt, Nicht, daß ſie herrſchete, dich ſelbſt zum Knecht verkauffet, Und duͤrftig arm gemacht, die Seele reich zu ſehn, Nicht dich mit Flamm und Brand des Zornes ſelbſt getaufet, Um Sie zu wuͤrdigen durch Meer und Feur zu gehn? Ja, HErr! dis alles iſt fuͤr Sie ſo wohl geſchehen, Als uns und andere; Ja darum litteſt du: Sie ſoll dein Antlitz einſt verſoͤhnt im Friede ſehen; Durch deiner Arbeit Krafft, gedeyhet ſie zur Ruh: Ja: aber darum biſt du nicht herab gekommen, Daß du nur bloß allein der Suͤnden-Traͤger ſeyſt: Du ſcheineſt Gnaden-Licht und Leitſtern aller Frommen; Damit du uns zugleich von aller Nacht befreyſt: Dein Wandel ſolte uns, o GOtt-Menſch! deutlich weiſen, Wie jeder GOttes-Menſch in unbeflecktem Sinn, Mit ſeinem Lebens-Lauf den Nahmen Chriſti preiſen, Und alſo ſtreiten ſoll, daß er den Crantz gewinn. Als Chriſt iſt man nicht Graf, nicht Fuͤrſt, nicht edler Ritter; Dis duͤnckt dem edlen Geiſt ein ungereimter Tand. Jhr Nicht! iſt Chriſti Wort: Die Lehre ſchmeckt wohl bitter, Wenn man des Chriſten Staats-Geſetze nicht erkannt. Denn hiemit werden nicht die Staͤnde aufgehaben: Die ſind in ihrer Art als wie ein Boten-Schild, Damit wir durch das Land der Cananiter traben, Wo als ein Paſſeport der Ehren-Titul gilt. Wie

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Zitationshilfe: Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735/56>, abgerufen am 29.04.2024.