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Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.

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1722.

Wenn, Menschen Freund, wenn steht dein Philadelphia
Jn seiner Bruder-Lieb und Kinder Einfalt da?

Und ach! was ist es nicht vor ein gewisses Zeichen,
Daß du erzürnet seyst, gerechter Jehovah:
Wenn so ein Riß geschicht, so ist der Fall gar nah,
Der Fall, da Stadt und Land aus ihrer Feste weichen,
Ein löblicher Regent von seiner Hut entrückt,
Bezeiget, daß es sich zum Untergange schickt.
Und wie so hertzlich weh, wie weh ist ihr geschehen,
Frau Baase, da der HErr den lieben Ehemann

Von ihren Häupten nimmt: Jch seh es also an,
Hier sey der schwere Rath des HErrn nicht abzusehen:
Hier gilt es, hier bedarffs nicht Uberwindens: Nein,
Die Klag ist ihr vergönnt: Es soll gefühlet seyn.
Mit Rechte kan sie sich im Staube niederlegen,
Um den Entschlaffenen mit Thränen übergehn,
Es sey an ihrer Stirn das tiefste Leid zu sehn,
Mit ihres Jammers-Last den Unfall abzuwägen:
Bricht uns, Gebengete, das Brüderliche Hertz
Und ihr entsinckt das Haupt; wie tiefer dringt ihr Schmertz?
Jhr, die ihr ehemals das angenehme Wesen,
Das Heinrich, unser Freund, nur von Natur besaß,
Besonders hochgeschätzt, und nur sein Gnaden-Maaß,
Die neue Creatur, zu eurem Spott erlesen,
Was gilts? Sein schneller Tod setzt euch in Furcht und Graus,
Jhr wisset nicht wo ein, ihr wisset nicht wo aus?
Der Leib, den ihr geliebt, liegt ietzo in dem Staube,
Ein unbeqvemes Hauß verschliesset ihm das Licht,
Die Schönheit blitzt nicht mehr in seinem Angesicht,
Und was euch eh ergötzt, gedeyht dem Wurm zum Raube;
Nur das, was ihr verhöhnt, der aufgeschwungne Geist
Jst das alleine nun, was unverwelcklich heist.
So lernt an seiner Grufft euch GOtt in Zeiten weyhen.
Dringt dieser junge Held so bald zu GOttes Sitz;
Erzittert! euer Tod bricht ein als wie der Blitz,
Der Falschgeliebte kan euch einst zur Qvaal gedeyhen.
Jhn

1722.

Wenn, Menſchen Freund, wenn ſteht dein Philadelphia
Jn ſeiner Bruder-Lieb und Kinder Einfalt da?

Und ach! was iſt es nicht vor ein gewiſſes Zeichen,
Daß du erzuͤrnet ſeyſt, gerechter Jehovah:
Wenn ſo ein Riß geſchicht, ſo iſt der Fall gar nah,
Der Fall, da Stadt und Land aus ihrer Feſte weichen,
Ein loͤblicher Regent von ſeiner Hut entruͤckt,
Bezeiget, daß es ſich zum Untergange ſchickt.
Und wie ſo hertzlich weh, wie weh iſt ihr geſchehen,
Frau Baaſe, da der HErr den lieben Ehemann

Von ihren Haͤupten nimmt: Jch ſeh es alſo an,
Hier ſey der ſchwere Rath des HErrn nicht abzuſehen:
Hier gilt es, hier bedarffs nicht Uberwindens: Nein,
Die Klag iſt ihr vergoͤnnt: Es ſoll gefuͤhlet ſeyn.
Mit Rechte kan ſie ſich im Staube niederlegen,
Um den Entſchlaffenen mit Thraͤnen uͤbergehn,
Es ſey an ihrer Stirn das tiefſte Leid zu ſehn,
Mit ihres Jammers-Laſt den Unfall abzuwaͤgen:
Bricht uns, Gebengete, das Bruͤderliche Hertz
Und ihr entſinckt das Haupt; wie tiefer dringt ihr Schmertz?
Jhr, die ihr ehemals das angenehme Weſen,
Das Heinrich, unſer Freund, nur von Natur beſaß,
Beſonders hochgeſchaͤtzt, und nur ſein Gnaden-Maaß,
Die neue Creatur, zu eurem Spott erleſen,
Was gilts? Sein ſchneller Tod ſetzt euch in Furcht und Graus,
Jhr wiſſet nicht wo ein, ihr wiſſet nicht wo aus?
Der Leib, den ihr geliebt, liegt ietzo in dem Staube,
Ein unbeqvemes Hauß verſchlieſſet ihm das Licht,
Die Schoͤnheit blitzt nicht mehr in ſeinem Angeſicht,
Und was euch eh ergoͤtzt, gedeyht dem Wurm zum Raube;
Nur das, was ihr verhoͤhnt, der aufgeſchwungne Geiſt
Jſt das alleine nun, was unverwelcklich heiſt.
So lernt an ſeiner Grufft euch GOtt in Zeiten weyhen.
Dringt dieſer junge Held ſo bald zu GOttes Sitz;
Erzittert! euer Tod bricht ein als wie der Blitz,
Der Falſchgeliebte kan euch einſt zur Qvaal gedeyhen.
Jhn
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[50/0060] 1722. Wenn, Menſchen Freund, wenn ſteht dein Philadelphia Jn ſeiner Bruder-Lieb und Kinder Einfalt da? Und ach! was iſt es nicht vor ein gewiſſes Zeichen, Daß du erzuͤrnet ſeyſt, gerechter Jehovah: Wenn ſo ein Riß geſchicht, ſo iſt der Fall gar nah, Der Fall, da Stadt und Land aus ihrer Feſte weichen, Ein loͤblicher Regent von ſeiner Hut entruͤckt, Bezeiget, daß es ſich zum Untergange ſchickt. Und wie ſo hertzlich weh, wie weh iſt ihr geſchehen, Frau Baaſe, da der HErr den lieben Ehemann Von ihren Haͤupten nimmt: Jch ſeh es alſo an, Hier ſey der ſchwere Rath des HErrn nicht abzuſehen: Hier gilt es, hier bedarffs nicht Uberwindens: Nein, Die Klag iſt ihr vergoͤnnt: Es ſoll gefuͤhlet ſeyn. Mit Rechte kan ſie ſich im Staube niederlegen, Um den Entſchlaffenen mit Thraͤnen uͤbergehn, Es ſey an ihrer Stirn das tiefſte Leid zu ſehn, Mit ihres Jammers-Laſt den Unfall abzuwaͤgen: Bricht uns, Gebengete, das Bruͤderliche Hertz Und ihr entſinckt das Haupt; wie tiefer dringt ihr Schmertz? Jhr, die ihr ehemals das angenehme Weſen, Das Heinrich, unſer Freund, nur von Natur beſaß, Beſonders hochgeſchaͤtzt, und nur ſein Gnaden-Maaß, Die neue Creatur, zu eurem Spott erleſen, Was gilts? Sein ſchneller Tod ſetzt euch in Furcht und Graus, Jhr wiſſet nicht wo ein, ihr wiſſet nicht wo aus? Der Leib, den ihr geliebt, liegt ietzo in dem Staube, Ein unbeqvemes Hauß verſchlieſſet ihm das Licht, Die Schoͤnheit blitzt nicht mehr in ſeinem Angeſicht, Und was euch eh ergoͤtzt, gedeyht dem Wurm zum Raube; Nur das, was ihr verhoͤhnt, der aufgeſchwungne Geiſt Jſt das alleine nun, was unverwelcklich heiſt. So lernt an ſeiner Grufft euch GOtt in Zeiten weyhen. Dringt dieſer junge Held ſo bald zu GOttes Sitz; Erzittert! euer Tod bricht ein als wie der Blitz, Der Falſchgeliebte kan euch einſt zur Qvaal gedeyhen. Jhn

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Zitationshilfe: Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735/60>, abgerufen am 29.04.2024.