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Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.

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1724.
Ein jeder siehet sich ein klares Merckmahl aus,
Woran er Christi Geist und Christi Sinn erkennet,
Und ob der andre sey, was er sich gleichwol nennet,
Ein Glied am Bräutigam, ein Stein zum Tempel-Hauß;
Und kan er dieses nur nach aller Wahrheit finden,
So eilt er dürstiglich mit ihm sich zu verbinden.
Das Auge thränt, es schlägt das Hertz, die Hand ergreift,
Der Fuß beweget uns von einem Ort zum andern,
Und macht, daß Hertz und Hand und alle Glieder wandern;
Das Haupt ist mehrentheils mit Dencken überhäuft.
Das Ohr vernimmt das Wort, und trägt es zu den Sinnen,
Die durch den ofnen Mund ein Gegen-Wort beginnen.
So sehr veränderlich, so mancherley Gestalt
Sind Glieder, die zugleich nur einen Leib bedeuten,
Das Haupt betrachtet sie, die nahen und die weiten;
Jndeß, da ein Geblüt in ihnen allen wallt.
Der Seele Sorgfalt weiß sie alle zu verbinden,
Daß keines seine Ruh kan ohne jenes finden.
Jm Leibe Christi siehts von in- und aussen so,
Wie in dem Menschen aus; sie haben gleiche Kräfte,
Und doch so mancherley zergliederte Geschäfte,
Und ohne eines wird das andre sein nicht froh.
Der Leib wird munter, da der Seelen-Kräfte schlafen,
Und wenn er schläfrig wird, fängt jene an zu schaffen:
O Liebe! du hast dir hie einen Leib gebaut,
Ein liebes Tempel-Hauß von auserwehlten Steinen;
Die Pfort ist aufgethan, und seine Fenster scheinen,
Die jener nur verhöhnt, der mit Verwundrung schaut,
Wir haben dich dabey in GOttes grossen Nahmen
Zum Eckstein hingelegt, als wir gen Beth El kamen.
So kröne diesen Bau: und weil du je gewolt,
Der liebe Rothe solt' als Pfeiler drinne stehen,
Und ihn nach eigner Wahl dir dazu ausersehen,
Eh man noch einen Stein zu diesem Bau gerollt.
O Haupt! so lehre uns mit Beten und mit Wachen
Den gantzen Saphir-Grund des Tempels fertig machen!
Auf
E 5
1724.
Ein jeder ſiehet ſich ein klares Merckmahl aus,
Woran er Chriſti Geiſt und Chriſti Sinn erkennet,
Und ob der andre ſey, was er ſich gleichwol nennet,
Ein Glied am Braͤutigam, ein Stein zum Tempel-Hauß;
Und kan er dieſes nur nach aller Wahrheit finden,
So eilt er duͤrſtiglich mit ihm ſich zu verbinden.
Das Auge thraͤnt, es ſchlaͤgt das Hertz, die Hand ergreift,
Der Fuß beweget uns von einem Ort zum andern,
Und macht, daß Hertz und Hand und alle Glieder wandern;
Das Haupt iſt mehrentheils mit Dencken uͤberhaͤuft.
Das Ohr vernimmt das Wort, und traͤgt es zu den Sinnen,
Die durch den ofnen Mund ein Gegen-Wort beginnen.
So ſehr veraͤnderlich, ſo mancherley Geſtalt
Sind Glieder, die zugleich nur einen Leib bedeuten,
Das Haupt betrachtet ſie, die nahen und die weiten;
Jndeß, da ein Gebluͤt in ihnen allen wallt.
Der Seele Sorgfalt weiß ſie alle zu verbinden,
Daß keines ſeine Ruh kan ohne jenes finden.
Jm Leibe Chriſti ſiehts von in- und auſſen ſo,
Wie in dem Menſchen aus; ſie haben gleiche Kraͤfte,
Und doch ſo mancherley zergliederte Geſchaͤfte,
Und ohne eines wird das andre ſein nicht froh.
Der Leib wird munter, da der Seelen-Kraͤfte ſchlafen,
Und wenn er ſchlaͤfrig wird, faͤngt jene an zu ſchaffen:
O Liebe! du haſt dir hie einen Leib gebaut,
Ein liebes Tempel-Hauß von auserwehlten Steinen;
Die Pfort iſt aufgethan, und ſeine Fenſter ſcheinen,
Die jener nur verhoͤhnt, der mit Verwundrung ſchaut,
Wir haben dich dabey in GOttes groſſen Nahmen
Zum Eckſtein hingelegt, als wir gen Beth El kamen.
So kroͤne dieſen Bau: und weil du je gewolt,
Der liebe Rothe ſolt’ als Pfeiler drinne ſtehen,
Und ihn nach eigner Wahl dir dazu auserſehen,
Eh man noch einen Stein zu dieſem Bau gerollt.
O Haupt! ſo lehre uns mit Beten und mit Wachen
Den gantzen Saphir-Grund des Tempels fertig machen!
Auf
E 5
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[73/0083] 1724. Ein jeder ſiehet ſich ein klares Merckmahl aus, Woran er Chriſti Geiſt und Chriſti Sinn erkennet, Und ob der andre ſey, was er ſich gleichwol nennet, Ein Glied am Braͤutigam, ein Stein zum Tempel-Hauß; Und kan er dieſes nur nach aller Wahrheit finden, So eilt er duͤrſtiglich mit ihm ſich zu verbinden. Das Auge thraͤnt, es ſchlaͤgt das Hertz, die Hand ergreift, Der Fuß beweget uns von einem Ort zum andern, Und macht, daß Hertz und Hand und alle Glieder wandern; Das Haupt iſt mehrentheils mit Dencken uͤberhaͤuft. Das Ohr vernimmt das Wort, und traͤgt es zu den Sinnen, Die durch den ofnen Mund ein Gegen-Wort beginnen. So ſehr veraͤnderlich, ſo mancherley Geſtalt Sind Glieder, die zugleich nur einen Leib bedeuten, Das Haupt betrachtet ſie, die nahen und die weiten; Jndeß, da ein Gebluͤt in ihnen allen wallt. Der Seele Sorgfalt weiß ſie alle zu verbinden, Daß keines ſeine Ruh kan ohne jenes finden. Jm Leibe Chriſti ſiehts von in- und auſſen ſo, Wie in dem Menſchen aus; ſie haben gleiche Kraͤfte, Und doch ſo mancherley zergliederte Geſchaͤfte, Und ohne eines wird das andre ſein nicht froh. Der Leib wird munter, da der Seelen-Kraͤfte ſchlafen, Und wenn er ſchlaͤfrig wird, faͤngt jene an zu ſchaffen: O Liebe! du haſt dir hie einen Leib gebaut, Ein liebes Tempel-Hauß von auserwehlten Steinen; Die Pfort iſt aufgethan, und ſeine Fenſter ſcheinen, Die jener nur verhoͤhnt, der mit Verwundrung ſchaut, Wir haben dich dabey in GOttes groſſen Nahmen Zum Eckſtein hingelegt, als wir gen Beth El kamen. So kroͤne dieſen Bau: und weil du je gewolt, Der liebe Rothe ſolt’ als Pfeiler drinne ſtehen, Und ihn nach eigner Wahl dir dazu auserſehen, Eh man noch einen Stein zu dieſem Bau gerollt. O Haupt! ſo lehre uns mit Beten und mit Wachen Den gantzen Saphir-Grund des Tempels fertig machen! Auf E 5

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Zitationshilfe: Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735/83>, abgerufen am 29.04.2024.