VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.
1. Was die Schädel nicht leisten wollen, hat man den Functionen des Kehlkopfs zuzuweisen versucht. Bären brummen, Katzen miauen, Rinder brüllen, Hühner gackern, Enten schnattern, Drosseln singen: warum sollte nicht das vornehmste der Wirbelthiere durch Zusammen- fassung dieser verschiednen Kunstleistungen es zur Production seiner Sprache gebracht haben? Klingt nicht die Sprache ähnlich den Lauten einer höher entwickelten Thierstimme? Können nicht Vögel mit hochdifferenziirtem Kehlkopfe, wie namentlich die Papageyen, ein ganz und gar menschenähnliches Sprechen erlernen, u. s. f.?
Das Problem, den Entwicklungsgedanken auch an diesem Gegen- stande zum Vollzuge zu bringen, leidet bekanntlich an ganz besonders großen Schwierigkeiten. Auf keinem Punkte hat Darwin unsicherere Schritte gethan, als da wo er dieser Klippe des absoluten Gegen- satzes zwischen Menschensprache und Thierstimmen zu entrinnen ver- suchte. Kein Umstand thut den Huxleyschen Satz vom angeblichen Vorhandensein eines geringeren Abstandes zwischen Menschen und höchsten Affen als zwischen höheren und niederen Affen schlagender in seiner Nichtigkeit dar, als die Thatsache unsres Sprechens und dessen absoluter Unerlernbarkeit durch irgendwelchen Simiaden. Warum nähert überhaupt nicht ein einziges Säugethier in Hinsicht auf Bildung und Klang seiner Stimme sich dem Menschen auch nur einigermaaßen? Warum muß man bis in die zweite Wirbel- thierclasse zurückgreifen, da wo es sich um Beispiele von Nachahmung
VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
1. Was die Schädel nicht leiſten wollen, hat man den Functionen des Kehlkopfs zuzuweiſen verſucht. Bären brummen, Katzen miauen, Rinder brüllen, Hühner gackern, Enten ſchnattern, Droſſeln ſingen: warum ſollte nicht das vornehmſte der Wirbelthiere durch Zuſammen- faſſung dieſer verſchiednen Kunſtleiſtungen es zur Production ſeiner Sprache gebracht haben? Klingt nicht die Sprache ähnlich den Lauten einer höher entwickelten Thierſtimme? Können nicht Vögel mit hochdifferenziirtem Kehlkopfe, wie namentlich die Papageyen, ein ganz und gar menſchenähnliches Sprechen erlernen, u. ſ. f.?
Das Problem, den Entwicklungsgedanken auch an dieſem Gegen- ſtande zum Vollzuge zu bringen, leidet bekanntlich an ganz beſonders großen Schwierigkeiten. Auf keinem Punkte hat Darwin unſicherere Schritte gethan, als da wo er dieſer Klippe des abſoluten Gegen- ſatzes zwiſchen Menſchenſprache und Thierſtimmen zu entrinnen ver- ſuchte. Kein Umſtand thut den Huxleyſchen Satz vom angeblichen Vorhandenſein eines geringeren Abſtandes zwiſchen Menſchen und höchſten Affen als zwiſchen höheren und niederen Affen ſchlagender in ſeiner Nichtigkeit dar, als die Thatſache unſres Sprechens und deſſen abſoluter Unerlernbarkeit durch irgendwelchen Simiaden. Warum nähert überhaupt nicht ein einziges Säugethier in Hinſicht auf Bildung und Klang ſeiner Stimme ſich dem Menſchen auch nur einigermaaßen? Warum muß man bis in die zweite Wirbel- thierclaſſe zurückgreifen, da wo es ſich um Beiſpiele von Nachahmung
<TEI><text><body><pbfacs="#f0190"n="[180]"/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">VI.</hi><lb/>
Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.</hi></head><lb/><p>1. Was die Schädel nicht leiſten wollen, hat man den Functionen<lb/>
des Kehlkopfs zuzuweiſen verſucht. Bären brummen, Katzen miauen,<lb/>
Rinder brüllen, Hühner gackern, Enten ſchnattern, Droſſeln ſingen:<lb/>
warum ſollte nicht das vornehmſte der Wirbelthiere durch Zuſammen-<lb/>
faſſung dieſer verſchiednen Kunſtleiſtungen es zur Production ſeiner<lb/><hirendition="#g">Sprache</hi> gebracht haben? Klingt nicht die Sprache ähnlich den<lb/>
Lauten einer höher entwickelten Thierſtimme? Können nicht Vögel<lb/>
mit hochdifferenziirtem Kehlkopfe, wie namentlich die Papageyen, ein<lb/>
ganz und gar menſchenähnliches Sprechen erlernen, u. ſ. f.?</p><lb/><p>Das Problem, den Entwicklungsgedanken auch an dieſem Gegen-<lb/>ſtande zum Vollzuge zu bringen, leidet bekanntlich an ganz beſonders<lb/>
großen Schwierigkeiten. Auf keinem Punkte hat Darwin unſicherere<lb/>
Schritte gethan, als da wo er dieſer Klippe des abſoluten Gegen-<lb/>ſatzes zwiſchen Menſchenſprache und Thierſtimmen zu entrinnen ver-<lb/>ſuchte. Kein Umſtand thut den Huxleyſchen Satz vom angeblichen<lb/>
Vorhandenſein eines geringeren Abſtandes zwiſchen Menſchen und<lb/>
höchſten Affen als zwiſchen höheren und niederen Affen ſchlagender<lb/>
in ſeiner Nichtigkeit dar, als die Thatſache unſres Sprechens und<lb/>
deſſen abſoluter Unerlernbarkeit durch irgendwelchen Simiaden.<lb/>
Warum nähert überhaupt nicht ein einziges Säugethier in Hinſicht<lb/>
auf Bildung und Klang ſeiner Stimme ſich dem Menſchen auch<lb/>
nur einigermaaßen? Warum muß man bis in die zweite Wirbel-<lb/>
thierclaſſe zurückgreifen, da wo es ſich um Beiſpiele von Nachahmung<lb/></p></div></body></text></TEI>
[[180]/0190]
VI.
Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
1. Was die Schädel nicht leiſten wollen, hat man den Functionen
des Kehlkopfs zuzuweiſen verſucht. Bären brummen, Katzen miauen,
Rinder brüllen, Hühner gackern, Enten ſchnattern, Droſſeln ſingen:
warum ſollte nicht das vornehmſte der Wirbelthiere durch Zuſammen-
faſſung dieſer verſchiednen Kunſtleiſtungen es zur Production ſeiner
Sprache gebracht haben? Klingt nicht die Sprache ähnlich den
Lauten einer höher entwickelten Thierſtimme? Können nicht Vögel
mit hochdifferenziirtem Kehlkopfe, wie namentlich die Papageyen, ein
ganz und gar menſchenähnliches Sprechen erlernen, u. ſ. f.?
Das Problem, den Entwicklungsgedanken auch an dieſem Gegen-
ſtande zum Vollzuge zu bringen, leidet bekanntlich an ganz beſonders
großen Schwierigkeiten. Auf keinem Punkte hat Darwin unſicherere
Schritte gethan, als da wo er dieſer Klippe des abſoluten Gegen-
ſatzes zwiſchen Menſchenſprache und Thierſtimmen zu entrinnen ver-
ſuchte. Kein Umſtand thut den Huxleyſchen Satz vom angeblichen
Vorhandenſein eines geringeren Abſtandes zwiſchen Menſchen und
höchſten Affen als zwiſchen höheren und niederen Affen ſchlagender
in ſeiner Nichtigkeit dar, als die Thatſache unſres Sprechens und
deſſen abſoluter Unerlernbarkeit durch irgendwelchen Simiaden.
Warum nähert überhaupt nicht ein einziges Säugethier in Hinſicht
auf Bildung und Klang ſeiner Stimme ſich dem Menſchen auch
nur einigermaaßen? Warum muß man bis in die zweite Wirbel-
thierclaſſe zurückgreifen, da wo es ſich um Beiſpiele von Nachahmung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. [180]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/190>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.