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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzeu.
Hinweis auf eine noch sehr ursprüngliche, kindisch unvollkommne und
rohe Verstellungsweise der betreffenden Völker gelten; und demgemäß
ist denn öfter argumentirt worden. So meinte Lubbock, in den
Fetischen der Neger u. s. f. etwas derartiges wie Kinderspielzeuge,
Puppen oder dergleichen erblicken zu dürfen; die Puppe selbst, sagt
er, "ist eine Art von Bastardbildung aus Kind und Fetisch (a hy-
brid between the baby and the fetish);
gleich den Fetischen seien
die ihre Verehrung oft begleitenden Rasseln, Trommeln, Tänze etc.
deutliche Belege für den kindischen Charakter der sich mit solchen
Dingen abgebenden Wilden, u. s. f.1) Hier wird -- und das ist
ein zweiter Hauptgrund gegen die Fetischismushypothese -- kindisches
mit kindlichem, jugendlich aufstrebendem und entwicklungsfähigem
Wesen verwechselt. Werden nicht auch Greise oft wieder kindisch?
Versinken nicht Kranke, zumal geistig Erkrankte, Blödsinnige etc.,
oft genug in einen ganz und gar kindischen Zustand, wo sie am
läppischsten Spielwerk, an den sinnlosesten Vergnügungen Gefallen
finden? Und was eine Hauptsache ist: pflegt nicht ein kindischer
Zustand dieser letzteren Art völlig unheilbar zu sein? kündigt sich
in ihm nicht die allmählige Auflösung des gesammten Organismus
als in größerer oder geringerer Nähe bevorstehend an -- ganz wie
es entweder im Hinsterben begriffene oder sozusagen unheilbar geistes-
kranke, selbstverschuldeter roher Stupidität verfallene Stämme sind,
bei welchen der eigentliche Fetischcult in voller Blüthe zu stehen
pflegt. -- Die Analogie des Reliquiendiensts und andrer Formen
des Aberglaubens (theilweise auch des Hexenglaubens, des Kalender-
aberglaubens oder der Wettermacherei, etc.) im Buddhismus, Jslam,
Katholicismus und andren Religionen bildet eine weitere wichtige
Gegeninstanz gegen die Annahme einer Ursprünglichkeit der fetischi-
stischen Religionsform. So gut wie die Verehrung der Ueberbleibsel
von Heiligen eine ins Sinken und Ausarten gerathene höhere Weise
der Gottesverehrung voraussetzt, so gut wie die Amulete der alten
Griechen, Römer und vieler neuerer Völker Reminiscenzen an gewisse

1) Lubbock, Orig. of civil., p. 406.

VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzeu.
Hinweis auf eine noch ſehr urſprüngliche, kindiſch unvollkommne und
rohe Verſtellungsweiſe der betreffenden Völker gelten; und demgemäß
iſt denn öfter argumentirt worden. So meinte Lubbock, in den
Fetiſchen der Neger u. ſ. f. etwas derartiges wie Kinderſpielzeuge,
Puppen oder dergleichen erblicken zu dürfen; die Puppe ſelbſt, ſagt
er, „iſt eine Art von Baſtardbildung aus Kind und Fetiſch (a hy-
brid between the baby and the fetish);
gleich den Fetiſchen ſeien
die ihre Verehrung oft begleitenden Raſſeln, Trommeln, Tänze ꝛc.
deutliche Belege für den kindiſchen Charakter der ſich mit ſolchen
Dingen abgebenden Wilden, u. ſ. f.1) Hier wird — und das iſt
ein zweiter Hauptgrund gegen die Fetiſchismushypotheſe — kindiſches
mit kindlichem, jugendlich aufſtrebendem und entwicklungsfähigem
Weſen verwechſelt. Werden nicht auch Greiſe oft wieder kindiſch?
Verſinken nicht Kranke, zumal geiſtig Erkrankte, Blödſinnige ꝛc.,
oft genug in einen ganz und gar kindiſchen Zuſtand, wo ſie am
läppiſchſten Spielwerk, an den ſinnloſeſten Vergnügungen Gefallen
finden? Und was eine Hauptſache iſt: pflegt nicht ein kindiſcher
Zuſtand dieſer letzteren Art völlig unheilbar zu ſein? kündigt ſich
in ihm nicht die allmählige Auflöſung des geſammten Organismus
als in größerer oder geringerer Nähe bevorſtehend an — ganz wie
es entweder im Hinſterben begriffene oder ſozuſagen unheilbar geiſtes-
kranke, ſelbſtverſchuldeter roher Stupidität verfallene Stämme ſind,
bei welchen der eigentliche Fetiſchcult in voller Blüthe zu ſtehen
pflegt. — Die Analogie des Reliquiendienſts und andrer Formen
des Aberglaubens (theilweiſe auch des Hexenglaubens, des Kalender-
aberglaubens oder der Wettermacherei, ꝛc.) im Buddhismus, Jslam,
Katholicismus und andren Religionen bildet eine weitere wichtige
Gegeninſtanz gegen die Annahme einer Urſprünglichkeit der fetiſchi-
ſtiſchen Religionsform. So gut wie die Verehrung der Ueberbleibſel
von Heiligen eine ins Sinken und Ausarten gerathene höhere Weiſe
der Gottesverehrung vorausſetzt, ſo gut wie die Amulete der alten
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1) Lubbock, Orig. of civil., p. 406.
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[199/0209] VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzeu. Hinweis auf eine noch ſehr urſprüngliche, kindiſch unvollkommne und rohe Verſtellungsweiſe der betreffenden Völker gelten; und demgemäß iſt denn öfter argumentirt worden. So meinte Lubbock, in den Fetiſchen der Neger u. ſ. f. etwas derartiges wie Kinderſpielzeuge, Puppen oder dergleichen erblicken zu dürfen; die Puppe ſelbſt, ſagt er, „iſt eine Art von Baſtardbildung aus Kind und Fetiſch (a hy- brid between the baby and the fetish); gleich den Fetiſchen ſeien die ihre Verehrung oft begleitenden Raſſeln, Trommeln, Tänze ꝛc. deutliche Belege für den kindiſchen Charakter der ſich mit ſolchen Dingen abgebenden Wilden, u. ſ. f. 1) Hier wird — und das iſt ein zweiter Hauptgrund gegen die Fetiſchismushypotheſe — kindiſches mit kindlichem, jugendlich aufſtrebendem und entwicklungsfähigem Weſen verwechſelt. Werden nicht auch Greiſe oft wieder kindiſch? Verſinken nicht Kranke, zumal geiſtig Erkrankte, Blödſinnige ꝛc., oft genug in einen ganz und gar kindiſchen Zuſtand, wo ſie am läppiſchſten Spielwerk, an den ſinnloſeſten Vergnügungen Gefallen finden? Und was eine Hauptſache iſt: pflegt nicht ein kindiſcher Zuſtand dieſer letzteren Art völlig unheilbar zu ſein? kündigt ſich in ihm nicht die allmählige Auflöſung des geſammten Organismus als in größerer oder geringerer Nähe bevorſtehend an — ganz wie es entweder im Hinſterben begriffene oder ſozuſagen unheilbar geiſtes- kranke, ſelbſtverſchuldeter roher Stupidität verfallene Stämme ſind, bei welchen der eigentliche Fetiſchcult in voller Blüthe zu ſtehen pflegt. — Die Analogie des Reliquiendienſts und andrer Formen des Aberglaubens (theilweiſe auch des Hexenglaubens, des Kalender- aberglaubens oder der Wettermacherei, ꝛc.) im Buddhismus, Jslam, Katholicismus und andren Religionen bildet eine weitere wichtige Gegeninſtanz gegen die Annahme einer Urſprünglichkeit der fetiſchi- ſtiſchen Religionsform. So gut wie die Verehrung der Ueberbleibſel von Heiligen eine ins Sinken und Ausarten gerathene höhere Weiſe der Gottesverehrung vorausſetzt, ſo gut wie die Amulete der alten Griechen, Römer und vieler neuerer Völker Reminiſcenzen an gewiſſe 1) Lubbock, Orig. of civil., p. 406.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/209>, abgerufen am 23.11.2024.