Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VII. Der Ursitz des Menschengeschlechts. hohen Lage des Paradieses und einem unterirdischen Communicirender vier irdischen Paradiesesströme mit ihrem himmlischen Quellflusse, auf die abendländisch-kirchliche Tradition des Mittelalters über. Nur verschwand bei derselben die Donau aus der Reihe der vier Ströme; Gihon und Pison wurden auf Ril und Ganges gedeutet, und die Quelle Jenes (seit Beda dem Ehrwürdigen) ins Atlasgebirge, die des Letzteren in den Kaukasus verlegt. Die Gesammtvorstellung war so eine möglichst ungeographische, das ohnehin schon schwer Voll- ziehbare der biblischen Schilderung bis zur Naturwidrigkeit steigernde geworden! Die abweichenden Meinungen Einzelner, z. B. der hie und da auftauchende spiritualistische Gedanke: die ganze Erdoberfläche sei einst das Paradies gewesen, bis die schrecklichen Wirkungen zuerst des Sündenfalls dann der Sündfluth die Herrlichkeit dieser ursprüng- lichen Wohnstätte unsres Geschlechts bis zur Unkenntlichkeit verwischt und vertilgt hätten, blieben unberücksichtigt. Hugo v. St. Victor verwirft die letztere Meinung bestimmt und ausdrücklich. Das Reformationszeitalter ließ zwar einige neue Vertreter VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts. hohen Lage des Paradieſes und einem unterirdiſchen Communicirender vier irdiſchen Paradieſesſtröme mit ihrem himmliſchen Quellfluſſe, auf die abendländiſch-kirchliche Tradition des Mittelalters über. Nur verſchwand bei derſelben die Donau aus der Reihe der vier Ströme; Gihon und Piſon wurden auf Ril und Ganges gedeutet, und die Quelle Jenes (ſeit Beda dem Ehrwürdigen) ins Atlasgebirge, die des Letzteren in den Kaukaſus verlegt. Die Geſammtvorſtellung war ſo eine möglichſt ungeographiſche, das ohnehin ſchon ſchwer Voll- ziehbare der bibliſchen Schilderung bis zur Naturwidrigkeit ſteigernde geworden! Die abweichenden Meinungen Einzelner, z. B. der hie und da auftauchende ſpiritualiſtiſche Gedanke: die ganze Erdoberfläche ſei einſt das Paradies geweſen, bis die ſchrecklichen Wirkungen zuerſt des Sündenfalls dann der Sündfluth die Herrlichkeit dieſer urſprüng- lichen Wohnſtätte unſres Geſchlechts bis zur Unkenntlichkeit verwiſcht und vertilgt hätten, blieben unberückſichtigt. Hugo v. St. Victor verwirft die letztere Meinung beſtimmt und ausdrücklich. Das Reformationszeitalter ließ zwar einige neue Vertreter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0229" n="219"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Der Urſitz des Menſchengeſchlechts.</fw><lb/> hohen Lage des Paradieſes und einem unterirdiſchen Communiciren<lb/> der vier irdiſchen Paradieſesſtröme mit ihrem himmliſchen Quellfluſſe,<lb/> auf die abendländiſch-kirchliche Tradition des Mittelalters über.<lb/> Nur verſchwand bei derſelben die Donau aus der Reihe der vier<lb/> Ströme; Gihon und Piſon wurden auf Ril und Ganges gedeutet,<lb/> und die Quelle Jenes (ſeit Beda dem Ehrwürdigen) ins Atlasgebirge,<lb/> die des Letzteren in den Kaukaſus verlegt. Die Geſammtvorſtellung<lb/> war ſo eine möglichſt ungeographiſche, das ohnehin ſchon ſchwer Voll-<lb/> ziehbare der bibliſchen Schilderung bis zur Naturwidrigkeit ſteigernde<lb/> geworden! Die abweichenden Meinungen Einzelner, z. B. der hie<lb/> und da auftauchende ſpiritualiſtiſche Gedanke: die ganze Erdoberfläche<lb/> ſei einſt das Paradies geweſen, bis die ſchrecklichen Wirkungen zuerſt<lb/> des Sündenfalls dann der Sündfluth die Herrlichkeit dieſer urſprüng-<lb/> lichen Wohnſtätte unſres Geſchlechts bis zur Unkenntlichkeit verwiſcht<lb/> und vertilgt hätten, blieben unberückſichtigt. Hugo v. St. Victor<lb/> verwirft die letztere Meinung beſtimmt und ausdrücklich.</p><lb/> <p>Das Reformationszeitalter ließ zwar einige neue Vertreter<lb/> dieſer den Paradieſesſchauplatz kühn über den ganzen Erdkreis aus-<lb/> dehnenden Speculation erſtehen; ſo den St. Gallener Reformator<lb/> Vadianus in ſeinem „Abriß der drei Erdtheile‟ (1534), den My-<lb/> ſtiker Valentin Weigel, ſpäter im 17. Jahrhundert den ſpaniſchen<lb/> Calatrava-Ritter Gonzalez de Sala und den Engländer Thomas<lb/> Burnet; doch blieben dieſe Alle ſehr in der Minorität. Luther<lb/> beſtritt dieſe Theorie, daß das Paradies „der ganze Erdboden wäre,‟<lb/> obſchon ihn eine gewiſſe natürliche Neigung zu ihr hinzog. Dem<lb/> Texte, wonach „es ein ſonderlich Ort und Raum ſei‟, wußte er<lb/> nicht zu widerſprechen, bethätigte übrigens ein gewiſſes Streben nach<lb/> Beſeitigung des überſchwenglich ſupranaturaliſtiſchen Charakters der<lb/> kirchlich-traditionellen Theorie. Es galt ihm offenbar darum, die<lb/> Lage Edens unſrem wiſſenſchaftlichen Begreifen näher zu rücken und<lb/> geographiſch vorſtellbarer zu machen, wenn er es in den beglückteſten<lb/> Gegenden des Morgenlandes, „in Syrien oder Arabien‟ etwa,<lb/> oder vielleicht nach alter Sage „auf dem Gebiete von Damaskus‟<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [219/0229]
VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts.
hohen Lage des Paradieſes und einem unterirdiſchen Communiciren
der vier irdiſchen Paradieſesſtröme mit ihrem himmliſchen Quellfluſſe,
auf die abendländiſch-kirchliche Tradition des Mittelalters über.
Nur verſchwand bei derſelben die Donau aus der Reihe der vier
Ströme; Gihon und Piſon wurden auf Ril und Ganges gedeutet,
und die Quelle Jenes (ſeit Beda dem Ehrwürdigen) ins Atlasgebirge,
die des Letzteren in den Kaukaſus verlegt. Die Geſammtvorſtellung
war ſo eine möglichſt ungeographiſche, das ohnehin ſchon ſchwer Voll-
ziehbare der bibliſchen Schilderung bis zur Naturwidrigkeit ſteigernde
geworden! Die abweichenden Meinungen Einzelner, z. B. der hie
und da auftauchende ſpiritualiſtiſche Gedanke: die ganze Erdoberfläche
ſei einſt das Paradies geweſen, bis die ſchrecklichen Wirkungen zuerſt
des Sündenfalls dann der Sündfluth die Herrlichkeit dieſer urſprüng-
lichen Wohnſtätte unſres Geſchlechts bis zur Unkenntlichkeit verwiſcht
und vertilgt hätten, blieben unberückſichtigt. Hugo v. St. Victor
verwirft die letztere Meinung beſtimmt und ausdrücklich.
Das Reformationszeitalter ließ zwar einige neue Vertreter
dieſer den Paradieſesſchauplatz kühn über den ganzen Erdkreis aus-
dehnenden Speculation erſtehen; ſo den St. Gallener Reformator
Vadianus in ſeinem „Abriß der drei Erdtheile‟ (1534), den My-
ſtiker Valentin Weigel, ſpäter im 17. Jahrhundert den ſpaniſchen
Calatrava-Ritter Gonzalez de Sala und den Engländer Thomas
Burnet; doch blieben dieſe Alle ſehr in der Minorität. Luther
beſtritt dieſe Theorie, daß das Paradies „der ganze Erdboden wäre,‟
obſchon ihn eine gewiſſe natürliche Neigung zu ihr hinzog. Dem
Texte, wonach „es ein ſonderlich Ort und Raum ſei‟, wußte er
nicht zu widerſprechen, bethätigte übrigens ein gewiſſes Streben nach
Beſeitigung des überſchwenglich ſupranaturaliſtiſchen Charakters der
kirchlich-traditionellen Theorie. Es galt ihm offenbar darum, die
Lage Edens unſrem wiſſenſchaftlichen Begreifen näher zu rücken und
geographiſch vorſtellbarer zu machen, wenn er es in den beglückteſten
Gegenden des Morgenlandes, „in Syrien oder Arabien‟ etwa,
oder vielleicht nach alter Sage „auf dem Gebiete von Damaskus‟
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