Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung. Urstandsdogmas gedrängt, welcher das Lob einer streng-biblischenEinfalt und Nüchternheit nicht durchweg ertheilt werden kann. Zwar derartige Schilderungen der Gottbildlichkeit wie die in den Büchern vom Gottesstaate, welche Adam eine kraft ihrer Vernunft über alle Thiere des Wassers, des Landes und der Luft erhabene Seele anerschaffen werden lassen, welche die Seligkeit der Paradieses- bewohner vor dem Fall, ihre höchst gesunde, harmonisch gestimmte Leibes- und Seelenbeschaffenheit (-- summa in carne sanitas, in animo tota tranquillitas --), ihr Nicht-altern, ihr Freibleiben wie von sündiger Erregung so von jedwedem Schmerz und Leid mit lebhaften Farben schildern, können nicht ohne Weiters als Ueberschreitungen der rechten biblischen Norm getadelt werden1). Vermeidet doch Augustin, so phantasievoll er im Uebrigen beim Ausmalen der einzelnen Momente der Paradiesesglückseligkeit zu Werke gehen mag, immerhin glücklich jene Vorstellung von der Geschlechtsverbindung zwischen Mann und Weib als etwas erst durch den Sündenfall Nöthiggewordnen, welche wir für mehrere griechische Väter zur Klippe werden sahen. Und ist doch auch der bei ihm zuerst vorfindliche Begriff der "ersten oder ursprünglichen Gerechtigkeit" (prima justitia) ein theologisch unverfänglicher, aus der Schrift wohl zu begründender, mit dem er auch die Behauptung einer Nothwendigkeit sittlichen Fortschreitens und Vollkommenwerdens der Menschen auch ohne Sünde in richtige Verbindung setzt2). Was aber entschieden über die hl. Schrift hinausgeht, das ist einmal die Behauptung einer besonderen göttlichen Mithilfe (adiutorium) zum Beharren im Guten, wovon er die Gesinnung und Handlungsweise Adams vor dem Falle unterstützt sein ließ 1) De civitate Dei XII, 23; XIII, 19--21; XIV, 26. 2) De civ. Dei XIV, 21; De Gen. ad literam IX, 3 sq.; De nuptiis
et concupiscentia. -- Der Ausdruck "prima justitia", als Vorläufer des spät. dogmatischen Begriffs der justitia originalis, zuerst in der Schrift: De peccatorum meritis et remissione II, 37 (S. Cremer, Art. "Gerechtig- keit" etc. in Herzogs Real-Encykl., 2. Aufl.). I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. Urſtandsdogmas gedrängt, welcher das Lob einer ſtreng-bibliſchenEinfalt und Nüchternheit nicht durchweg ertheilt werden kann. Zwar derartige Schilderungen der Gottbildlichkeit wie die in den Büchern vom Gottesſtaate, welche Adam eine kraft ihrer Vernunft über alle Thiere des Waſſers, des Landes und der Luft erhabene Seele anerſchaffen werden laſſen, welche die Seligkeit der Paradieſes- bewohner vor dem Fall, ihre höchſt geſunde, harmoniſch geſtimmte Leibes- und Seelenbeſchaffenheit (— summa in carne sanitas, in animo tota tranquillitas —), ihr Nicht-altern, ihr Freibleiben wie von ſündiger Erregung ſo von jedwedem Schmerz und Leid mit lebhaften Farben ſchildern, können nicht ohne Weiters als Ueberſchreitungen der rechten bibliſchen Norm getadelt werden1). Vermeidet doch Auguſtin, ſo phantaſievoll er im Uebrigen beim Ausmalen der einzelnen Momente der Paradieſesglückſeligkeit zu Werke gehen mag, immerhin glücklich jene Vorſtellung von der Geſchlechtsverbindung zwiſchen Mann und Weib als etwas erſt durch den Sündenfall Nöthiggewordnen, welche wir für mehrere griechiſche Väter zur Klippe werden ſahen. Und iſt doch auch der bei ihm zuerſt vorfindliche Begriff der „erſten oder urſprünglichen Gerechtigkeit‟ (prima justitia) ein theologiſch unverfänglicher, aus der Schrift wohl zu begründender, mit dem er auch die Behauptung einer Nothwendigkeit ſittlichen Fortſchreitens und Vollkommenwerdens der Menſchen auch ohne Sünde in richtige Verbindung ſetzt2). Was aber entſchieden über die hl. Schrift hinausgeht, das iſt einmal die Behauptung einer beſonderen göttlichen Mithilfe (adiutorium) zum Beharren im Guten, wovon er die Geſinnung und Handlungsweiſe Adams vor dem Falle unterſtützt ſein ließ 1) De civitate Dei XII, 23; XIII, 19—21; XIV, 26. 2) De civ. Dei XIV, 21; De Gen. ad literam IX, 3 sq.; De nuptiis
et concupiscentia. — Der Ausdruck „prima justitia‟, als Vorläufer des ſpät. dogmatiſchen Begriffs der justitia originalis, zuerſt in der Schrift: De peccatorum meritis et remissione II, 37 (S. Cremer, Art. „Gerechtig- keit‟ ꝛc. in Herzogs Real-Encykl., 2. Aufl.). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023" n="13"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.</fw><lb/> Urſtandsdogmas gedrängt, welcher das Lob einer ſtreng-bibliſchen<lb/> Einfalt und Nüchternheit nicht durchweg ertheilt werden kann. Zwar<lb/> derartige Schilderungen der Gottbildlichkeit wie die in den Büchern<lb/> vom Gottesſtaate, welche Adam eine kraft ihrer Vernunft über alle<lb/> Thiere des Waſſers, des Landes und der Luft erhabene Seele<lb/> anerſchaffen werden laſſen, welche die Seligkeit der Paradieſes-<lb/> bewohner vor dem Fall, ihre höchſt geſunde, harmoniſch geſtimmte<lb/> Leibes- und Seelenbeſchaffenheit (— <hi rendition="#aq">summa in carne sanitas, in<lb/> animo tota tranquillitas</hi> —), ihr Nicht-altern, ihr Freibleiben<lb/> wie von ſündiger Erregung ſo von jedwedem Schmerz und Leid<lb/> mit lebhaften Farben ſchildern, können nicht ohne Weiters als<lb/> Ueberſchreitungen der rechten bibliſchen Norm getadelt werden<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">De civitate Dei XII, 23; XIII, 19—21; XIV,</hi> 26.</note>.<lb/> Vermeidet doch Auguſtin, ſo phantaſievoll er im Uebrigen beim<lb/> Ausmalen der einzelnen Momente der Paradieſesglückſeligkeit zu<lb/> Werke gehen mag, immerhin glücklich jene Vorſtellung von der<lb/> Geſchlechtsverbindung zwiſchen Mann und Weib als etwas erſt<lb/> durch den Sündenfall Nöthiggewordnen, welche wir für mehrere<lb/> griechiſche Väter zur Klippe werden ſahen. Und iſt doch auch der<lb/> bei ihm zuerſt vorfindliche Begriff der „erſten oder urſprünglichen<lb/> Gerechtigkeit‟ (<hi rendition="#aq">prima justitia</hi>) ein theologiſch unverfänglicher, aus<lb/> der Schrift wohl zu begründender, mit dem er auch die Behauptung<lb/> einer Nothwendigkeit ſittlichen Fortſchreitens und Vollkommenwerdens<lb/> der Menſchen auch ohne Sünde in richtige Verbindung ſetzt<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">De civ. Dei XIV, 21; De Gen. ad literam IX, 3 sq.; De nuptiis<lb/> et concupiscentia.</hi> — Der Ausdruck <hi rendition="#aq">„prima justitia‟,</hi> als Vorläufer des<lb/> ſpät. dogmatiſchen Begriffs der <hi rendition="#aq">justitia originalis,</hi> zuerſt in der Schrift: <hi rendition="#aq">De<lb/> peccatorum meritis et remissione II,</hi> 37 (S. <hi rendition="#g">Cremer,</hi> Art. „Gerechtig-<lb/> keit‟ ꝛc. in Herzogs Real-Encykl., 2. Aufl.).</note>.<lb/> Was aber entſchieden über die hl. Schrift hinausgeht, das iſt<lb/><hi rendition="#g">einmal</hi> die Behauptung einer beſonderen göttlichen Mithilfe<lb/> (<hi rendition="#aq">adiutorium</hi>) zum Beharren im Guten, wovon er die Geſinnung<lb/> und Handlungsweiſe Adams vor dem Falle unterſtützt ſein ließ<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [13/0023]
I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
Urſtandsdogmas gedrängt, welcher das Lob einer ſtreng-bibliſchen
Einfalt und Nüchternheit nicht durchweg ertheilt werden kann. Zwar
derartige Schilderungen der Gottbildlichkeit wie die in den Büchern
vom Gottesſtaate, welche Adam eine kraft ihrer Vernunft über alle
Thiere des Waſſers, des Landes und der Luft erhabene Seele
anerſchaffen werden laſſen, welche die Seligkeit der Paradieſes-
bewohner vor dem Fall, ihre höchſt geſunde, harmoniſch geſtimmte
Leibes- und Seelenbeſchaffenheit (— summa in carne sanitas, in
animo tota tranquillitas —), ihr Nicht-altern, ihr Freibleiben
wie von ſündiger Erregung ſo von jedwedem Schmerz und Leid
mit lebhaften Farben ſchildern, können nicht ohne Weiters als
Ueberſchreitungen der rechten bibliſchen Norm getadelt werden 1).
Vermeidet doch Auguſtin, ſo phantaſievoll er im Uebrigen beim
Ausmalen der einzelnen Momente der Paradieſesglückſeligkeit zu
Werke gehen mag, immerhin glücklich jene Vorſtellung von der
Geſchlechtsverbindung zwiſchen Mann und Weib als etwas erſt
durch den Sündenfall Nöthiggewordnen, welche wir für mehrere
griechiſche Väter zur Klippe werden ſahen. Und iſt doch auch der
bei ihm zuerſt vorfindliche Begriff der „erſten oder urſprünglichen
Gerechtigkeit‟ (prima justitia) ein theologiſch unverfänglicher, aus
der Schrift wohl zu begründender, mit dem er auch die Behauptung
einer Nothwendigkeit ſittlichen Fortſchreitens und Vollkommenwerdens
der Menſchen auch ohne Sünde in richtige Verbindung ſetzt 2).
Was aber entſchieden über die hl. Schrift hinausgeht, das iſt
einmal die Behauptung einer beſonderen göttlichen Mithilfe
(adiutorium) zum Beharren im Guten, wovon er die Geſinnung
und Handlungsweiſe Adams vor dem Falle unterſtützt ſein ließ
1) De civitate Dei XII, 23; XIII, 19—21; XIV, 26.
2) De civ. Dei XIV, 21; De Gen. ad literam IX, 3 sq.; De nuptiis
et concupiscentia. — Der Ausdruck „prima justitia‟, als Vorläufer des
ſpät. dogmatiſchen Begriffs der justitia originalis, zuerſt in der Schrift: De
peccatorum meritis et remissione II, 37 (S. Cremer, Art. „Gerechtig-
keit‟ ꝛc. in Herzogs Real-Encykl., 2. Aufl.).
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |