ja vielleicht ein Durchschnittsalter von 150--230 Jahren, ähnlich dem gegen die abrahamidische Zeit hin in der Patriarchenlinie zur Gel- tung gelangenden nicht mehr überschritten.
Die Kühnheit der Behauptungen dieses Apologeten fordert auf manchen Punkten gewiß sehr zum Widerspruche heraus. Dennoch schließen seine Annahmen mehrere theils durch die biblische Dar- stellung selbst theils durch physiologische und culturgeschichtliche That- sachen nahe gelegte Gesichtspunkte in sich, die wir nothwendig in genauere Erwägung nehmen müssen. Auf das Gebiet jener vor Allem von ihm aufgezählten andersartigen äußeren Naturbedingungen um die Geburts- und Kindheitszeit des Menschengeschlechts wagen wir ihm kaum zu folgen. Ob die ersten Menschen zu denjenigen Zeiten lebten, wo wegen größerer Erdwärme, d. i. wegen noch stärkerer Wirkung des Centralfeuers, eine höhere und gleichmäßiger warme Temperatur über die Oberfläche des Planeten verbreitet war, dürfte sehr zweifelhaft sein. Diese Zeiten liegen jedenfalls weit jenseits der Anfänge unsrer Geschichte zurück; auch jene Wärme- periode des Miocän, auf welche die Palmen im Polareise zurück- zuführen sind, kann als viel zu entlegen für irgendwelche auf die Epochen der Menschheitsgeschichte bezügliche Speculation nicht benutzt werden. Die innerhalb der heutigen Geologie herrschende Strömung verlegt das erste Auftreten des Menschen lieber in die große Eiszeit oder doch unmittelbar ans Ende derselben. Jst irgendetwas Rich- tiges an dieser Zeitbestimmung, so kann eine derartige Gleichmäßig- keit der Temperatur, ein so wenig schroffer Jahreszeitenwechsel, wie unser Apologet ihn annimmt, nirgendwo auf der Erde geherrscht haben, auch nicht in der äquatorialen Zone, wo oder nahe bei welcher muthmaaßlich der Ursitz der Menschen sich befand. Winde und Stürme müssen ebenso gut damals vorgekommen sein, wie jetzt; nicht minder müssen schon Regenniederschläge stattgefunden haben. Für eine angebliche Regenlosigkeit der vorsintfluthlichen Epoche kann weder 1 Mos. 2, 6 angeführt werden, welche Stelle sich doch wohl bloß auf Zeit und Zustand des Paradieses bezieht, noch die Erzäh-
VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
ja vielleicht ein Durchſchnittsalter von 150—230 Jahren, ähnlich dem gegen die abrahamidiſche Zeit hin in der Patriarchenlinie zur Gel- tung gelangenden nicht mehr überſchritten.
Die Kühnheit der Behauptungen dieſes Apologeten fordert auf manchen Punkten gewiß ſehr zum Widerſpruche heraus. Dennoch ſchließen ſeine Annahmen mehrere theils durch die bibliſche Dar- ſtellung ſelbſt theils durch phyſiologiſche und culturgeſchichtliche That- ſachen nahe gelegte Geſichtspunkte in ſich, die wir nothwendig in genauere Erwägung nehmen müſſen. Auf das Gebiet jener vor Allem von ihm aufgezählten andersartigen äußeren Naturbedingungen um die Geburts- und Kindheitszeit des Menſchengeſchlechts wagen wir ihm kaum zu folgen. Ob die erſten Menſchen zu denjenigen Zeiten lebten, wo wegen größerer Erdwärme, d. i. wegen noch ſtärkerer Wirkung des Centralfeuers, eine höhere und gleichmäßiger warme Temperatur über die Oberfläche des Planeten verbreitet war, dürfte ſehr zweifelhaft ſein. Dieſe Zeiten liegen jedenfalls weit jenſeits der Anfänge unſrer Geſchichte zurück; auch jene Wärme- periode des Miocän, auf welche die Palmen im Polareiſe zurück- zuführen ſind, kann als viel zu entlegen für irgendwelche auf die Epochen der Menſchheitsgeſchichte bezügliche Speculation nicht benutzt werden. Die innerhalb der heutigen Geologie herrſchende Strömung verlegt das erſte Auftreten des Menſchen lieber in die große Eiszeit oder doch unmittelbar ans Ende derſelben. Jſt irgendetwas Rich- tiges an dieſer Zeitbeſtimmung, ſo kann eine derartige Gleichmäßig- keit der Temperatur, ein ſo wenig ſchroffer Jahreszeitenwechſel, wie unſer Apologet ihn annimmt, nirgendwo auf der Erde geherrſcht haben, auch nicht in der äquatorialen Zone, wo oder nahe bei welcher muthmaaßlich der Urſitz der Menſchen ſich befand. Winde und Stürme müſſen ebenſo gut damals vorgekommen ſein, wie jetzt; nicht minder müſſen ſchon Regenniederſchläge ſtattgefunden haben. Für eine angebliche Regenloſigkeit der vorſintfluthlichen Epoche kann weder 1 Moſ. 2, 6 angeführt werden, welche Stelle ſich doch wohl bloß auf Zeit und Zuſtand des Paradieſes bezieht, noch die Erzäh-
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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
ja vielleicht ein Durchſchnittsalter von 150—230 Jahren, ähnlich dem
gegen die abrahamidiſche Zeit hin in der Patriarchenlinie zur Gel-
tung gelangenden nicht mehr überſchritten.
Die Kühnheit der Behauptungen dieſes Apologeten fordert auf
manchen Punkten gewiß ſehr zum Widerſpruche heraus. Dennoch
ſchließen ſeine Annahmen mehrere theils durch die bibliſche Dar-
ſtellung ſelbſt theils durch phyſiologiſche und culturgeſchichtliche That-
ſachen nahe gelegte Geſichtspunkte in ſich, die wir nothwendig
in genauere Erwägung nehmen müſſen. Auf das Gebiet jener vor
Allem von ihm aufgezählten andersartigen äußeren Naturbedingungen
um die Geburts- und Kindheitszeit des Menſchengeſchlechts wagen
wir ihm kaum zu folgen. Ob die erſten Menſchen zu denjenigen
Zeiten lebten, wo wegen größerer Erdwärme, d. i. wegen noch
ſtärkerer Wirkung des Centralfeuers, eine höhere und gleichmäßiger
warme Temperatur über die Oberfläche des Planeten verbreitet
war, dürfte ſehr zweifelhaft ſein. Dieſe Zeiten liegen jedenfalls
weit jenſeits der Anfänge unſrer Geſchichte zurück; auch jene Wärme-
periode des Miocän, auf welche die Palmen im Polareiſe zurück-
zuführen ſind, kann als viel zu entlegen für irgendwelche auf die
Epochen der Menſchheitsgeſchichte bezügliche Speculation nicht benutzt
werden. Die innerhalb der heutigen Geologie herrſchende Strömung
verlegt das erſte Auftreten des Menſchen lieber in die große Eiszeit
oder doch unmittelbar ans Ende derſelben. Jſt irgendetwas Rich-
tiges an dieſer Zeitbeſtimmung, ſo kann eine derartige Gleichmäßig-
keit der Temperatur, ein ſo wenig ſchroffer Jahreszeitenwechſel, wie
unſer Apologet ihn annimmt, nirgendwo auf der Erde geherrſcht
haben, auch nicht in der äquatorialen Zone, wo oder nahe bei
welcher muthmaaßlich der Urſitz der Menſchen ſich befand. Winde
und Stürme müſſen ebenſo gut damals vorgekommen ſein, wie jetzt;
nicht minder müſſen ſchon Regenniederſchläge ſtattgefunden haben.
Für eine angebliche Regenloſigkeit der vorſintfluthlichen Epoche kann
weder 1 Moſ. 2, 6 angeführt werden, welche Stelle ſich doch wohl
bloß auf Zeit und Zuſtand des Paradieſes bezieht, noch die Erzäh-
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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/282>, abgerufen am 26.06.2024.
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