Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung. deren Darstellung der Lehre vom Urstand ungefähr die Mitte hältzwischen der vorsichtig abgegrenzten und biblisch nüchternen Lehrweise Melanchthons in der Apologie (s. unten) und zwischen Luthers der- berer und phantasievollerer Behandlung des Gegenstandes1). Wohl aber sind die Schilderungen einer Anzahl von Predigern und Er- bauungsschriftstellern des ausgehenden 16. sowie die Lehrbestimmungen der meisten lutherischen Dogmatiker des folgenden Jahrhunderts hieher zu rechnen. Jn Simon Musäus'2) (+ 1576) Predigten über das 1. Buch Mose wird bei Behandlung der Paradiesesgeschichte im engen Anschlusse an Luther gezeigt, wie Gott den ersten Menschen "zu königlichen Eren erhoben und ihm die Königliche regalien und lehen überantwortet habe", durch Ertheilung von Gewalt und Herr- schaft über alle Thier, durch Zuweisung einer "reichen Speisekammer, einer vollen Küche und köstlichen Tisch", dazu "einer gemeinen Hof- stube mit allerley Profiant aufs allerbeste versorget für alle ge- schaffenen Creaturen, da Menschen und Thiere, d. i. Herren und Knechte, an einerlei Tisch gesetzet worden seien" etc. Dieser königlichen Gewalt habe aber Adam sich auch aufs Beste zu bedienen gewußt, da er denn "als ein guter Physikus auff alle Creaturen sich sehr wohl verstanden, wie ein jedes geartet und genaturet ware --, zu geschweigen anderer Gaben: daß er mit sterke allen Lewen und Beeren, mit schnelligkeit allen Hirschen und Hasen, mit Scharff- sichtigkeit allen Adlern und Falcken, und mit Schönigkeit des Leibes und langwirigkeit des Lebens allen Thieren weit weit überlegen gewest". Man beachte hier die mehrfachen oratorischen Steigerungen und Amplificationen der von Luther in Curs gesetzten Vorstellungs- 1) Form. Conc. p. 579 M.: "Etsi enim in Adamo et Heva natura initio pura, bona et sancta creata est" etc.; p. 580: ".... bonitatem suam, veritatem, sanctitatem et justitiam, quae dotes naturae in paradiso concreatae erant." Vgl. 536; 576; 638. 2) Simon Musäus, Richtige und reine Auslegung des ersten Buches
Mosy etc.; Magdeburg 1576 (vgl. m. Gesch. der Beziehungen etc. I, 674 f.). -- Joh. Arnd, Vom wahren Christenth, B. I, K. 1; B. IV, 1, 6. -- Scriver, Seelenschatz I, 1, § 15. I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. deren Darſtellung der Lehre vom Urſtand ungefähr die Mitte hältzwiſchen der vorſichtig abgegrenzten und bibliſch nüchternen Lehrweiſe Melanchthons in der Apologie (ſ. unten) und zwiſchen Luthers der- berer und phantaſievollerer Behandlung des Gegenſtandes1). Wohl aber ſind die Schilderungen einer Anzahl von Predigern und Er- bauungsſchriftſtellern des ausgehenden 16. ſowie die Lehrbeſtimmungen der meiſten lutheriſchen Dogmatiker des folgenden Jahrhunderts hieher zu rechnen. Jn Simon Muſäus’2) († 1576) Predigten über das 1. Buch Moſe wird bei Behandlung der Paradieſesgeſchichte im engen Anſchluſſe an Luther gezeigt, wie Gott den erſten Menſchen „zu königlichen Eren erhoben und ihm die Königliche regalien und lehen überantwortet habe‟, durch Ertheilung von Gewalt und Herr- ſchaft über alle Thier, durch Zuweiſung einer „reichen Speiſekammer, einer vollen Küche und köſtlichen Tiſch‟, dazu „einer gemeinen Hof- ſtube mit allerley Profiant aufs allerbeſte verſorget für alle ge- ſchaffenen Creaturen, da Menſchen und Thiere, d. i. Herren und Knechte, an einerlei Tiſch geſetzet worden ſeien‟ ꝛc. Dieſer königlichen Gewalt habe aber Adam ſich auch aufs Beſte zu bedienen gewußt, da er denn „als ein guter Phyſikus auff alle Creaturen ſich ſehr wohl verſtanden, wie ein jedes geartet und genaturet ware —, zu geſchweigen anderer Gaben: daß er mit ſterke allen Lewen und Beeren, mit ſchnelligkeit allen Hirſchen und Haſen, mit Scharff- ſichtigkeit allen Adlern und Falcken, und mit Schönigkeit des Leibes und langwirigkeit des Lebens allen Thieren weit weit überlegen geweſt‟. Man beachte hier die mehrfachen oratoriſchen Steigerungen und Amplificationen der von Luther in Curs geſetzten Vorſtellungs- 1) Form. Conc. p. 579 M.: „Etsi enim in Adamo et Heva natura initio pura, bona et sancta creata est‟ etc.; p. 580: „.... bonitatem suam, veritatem, sanctitatem et justitiam, quae dotes naturae in paradiso concreatae erant.‟ Vgl. 536; 576; 638. 2) Simon Muſäus, Richtige und reine Auslegung des erſten Buches
Moſy ꝛc.; Magdeburg 1576 (vgl. m. Geſch. der Beziehungen ꝛc. I, 674 f.). — Joh. Arnd, Vom wahren Chriſtenth, B. I, K. 1; B. IV, 1, 6. — Scriver, Seelenſchatz I, 1, § 15. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0032" n="22"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.</fw><lb/> deren Darſtellung der Lehre vom Urſtand ungefähr die Mitte hält<lb/> zwiſchen der vorſichtig abgegrenzten und bibliſch nüchternen Lehrweiſe<lb/> Melanchthons in der Apologie (ſ. unten) und zwiſchen Luthers der-<lb/> berer und phantaſievollerer Behandlung des Gegenſtandes<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Form. Conc. p. 579 M.: „Etsi enim in Adamo et Heva natura<lb/> initio pura, bona et sancta creata est‟ etc.; p. 580: „.... bonitatem<lb/> suam, veritatem, sanctitatem et justitiam, quae dotes naturae in paradiso<lb/> concreatae erant.‟</hi> Vgl. 536; 576; 638.</note>. Wohl<lb/> aber ſind die Schilderungen einer Anzahl von Predigern und Er-<lb/> bauungsſchriftſtellern des ausgehenden 16. ſowie die Lehrbeſtimmungen<lb/> der meiſten lutheriſchen Dogmatiker des folgenden Jahrhunderts<lb/> hieher zu rechnen. Jn Simon Muſäus’<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Simon Muſäus,</hi> Richtige und reine Auslegung des erſten Buches<lb/> Moſy ꝛc.; Magdeburg 1576 (vgl. m. Geſch. der Beziehungen ꝛc. <hi rendition="#aq">I,</hi> 674 f.). —<lb/><hi rendition="#g">Joh. Arnd,</hi> Vom wahren Chriſtenth, B. <hi rendition="#aq">I,</hi> K. 1; B. <hi rendition="#aq">IV,</hi> 1, 6. — <hi rendition="#g">Scriver,</hi><lb/> Seelenſchatz <hi rendition="#aq">I,</hi> 1, § 15.</note> († 1576) Predigten über<lb/> das 1. Buch Moſe wird bei Behandlung der Paradieſesgeſchichte<lb/> im engen Anſchluſſe an Luther gezeigt, wie Gott den erſten Menſchen<lb/> „zu königlichen Eren erhoben und ihm die Königliche regalien und<lb/> lehen überantwortet habe‟, durch Ertheilung von Gewalt und Herr-<lb/> ſchaft über alle Thier, durch Zuweiſung einer „reichen Speiſekammer,<lb/> einer vollen Küche und köſtlichen Tiſch‟, dazu „einer gemeinen Hof-<lb/> ſtube mit allerley Profiant aufs allerbeſte verſorget für alle ge-<lb/> ſchaffenen Creaturen, da Menſchen und Thiere, d. i. Herren und<lb/> Knechte, an einerlei Tiſch geſetzet worden ſeien‟ ꝛc. Dieſer königlichen<lb/> Gewalt habe aber Adam ſich auch aufs Beſte zu bedienen gewußt,<lb/> da er denn „als ein guter Phyſikus auff alle Creaturen ſich ſehr<lb/> wohl verſtanden, wie ein jedes geartet und genaturet ware —, zu<lb/> geſchweigen anderer Gaben: daß er mit ſterke allen Lewen und<lb/> Beeren, mit ſchnelligkeit allen Hirſchen und Haſen, mit Scharff-<lb/> ſichtigkeit allen Adlern und Falcken, und mit Schönigkeit des Leibes<lb/> und langwirigkeit des Lebens allen Thieren weit weit überlegen<lb/> geweſt‟. Man beachte hier die mehrfachen oratoriſchen Steigerungen<lb/> und Amplificationen der von Luther in Curs geſetzten Vorſtellungs-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [22/0032]
I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
deren Darſtellung der Lehre vom Urſtand ungefähr die Mitte hält
zwiſchen der vorſichtig abgegrenzten und bibliſch nüchternen Lehrweiſe
Melanchthons in der Apologie (ſ. unten) und zwiſchen Luthers der-
berer und phantaſievollerer Behandlung des Gegenſtandes 1). Wohl
aber ſind die Schilderungen einer Anzahl von Predigern und Er-
bauungsſchriftſtellern des ausgehenden 16. ſowie die Lehrbeſtimmungen
der meiſten lutheriſchen Dogmatiker des folgenden Jahrhunderts
hieher zu rechnen. Jn Simon Muſäus’ 2) († 1576) Predigten über
das 1. Buch Moſe wird bei Behandlung der Paradieſesgeſchichte
im engen Anſchluſſe an Luther gezeigt, wie Gott den erſten Menſchen
„zu königlichen Eren erhoben und ihm die Königliche regalien und
lehen überantwortet habe‟, durch Ertheilung von Gewalt und Herr-
ſchaft über alle Thier, durch Zuweiſung einer „reichen Speiſekammer,
einer vollen Küche und köſtlichen Tiſch‟, dazu „einer gemeinen Hof-
ſtube mit allerley Profiant aufs allerbeſte verſorget für alle ge-
ſchaffenen Creaturen, da Menſchen und Thiere, d. i. Herren und
Knechte, an einerlei Tiſch geſetzet worden ſeien‟ ꝛc. Dieſer königlichen
Gewalt habe aber Adam ſich auch aufs Beſte zu bedienen gewußt,
da er denn „als ein guter Phyſikus auff alle Creaturen ſich ſehr
wohl verſtanden, wie ein jedes geartet und genaturet ware —, zu
geſchweigen anderer Gaben: daß er mit ſterke allen Lewen und
Beeren, mit ſchnelligkeit allen Hirſchen und Haſen, mit Scharff-
ſichtigkeit allen Adlern und Falcken, und mit Schönigkeit des Leibes
und langwirigkeit des Lebens allen Thieren weit weit überlegen
geweſt‟. Man beachte hier die mehrfachen oratoriſchen Steigerungen
und Amplificationen der von Luther in Curs geſetzten Vorſtellungs-
1) Form. Conc. p. 579 M.: „Etsi enim in Adamo et Heva natura
initio pura, bona et sancta creata est‟ etc.; p. 580: „.... bonitatem
suam, veritatem, sanctitatem et justitiam, quae dotes naturae in paradiso
concreatae erant.‟ Vgl. 536; 576; 638.
2) Simon Muſäus, Richtige und reine Auslegung des erſten Buches
Moſy ꝛc.; Magdeburg 1576 (vgl. m. Geſch. der Beziehungen ꝛc. I, 674 f.). —
Joh. Arnd, Vom wahren Chriſtenth, B. I, K. 1; B. IV, 1, 6. — Scriver,
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