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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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X. Schluß.
lischen oder gar bibelfeindlichen Geschichtsansicht, mögen sie nun das
Gleichniß vom Kindesalter mit in Anwendung bringen oder nicht.

Anders stehen wir dagegen zur Behandlung der Urstandslehre
bei den Vertretern der positiv offenbarungsgläubigen Theologie
unsrer Zeit. So weit diese nicht abstract-supranaturalistischen Extra-
vaganzen gleich der vorhin beispielshalber hervorgehobenen huldigen,
oder wie ein Theil der ultramontanen Dogmatiker sich in Repro-
duction scholastischer Dogmen, z. B. der scotistischen Lehre von den
pura naturalia, oder auch in Erneuerung typischer Deutungskünste
u. dgl. gefallen,1) befinden wir uns mit ihnen in sachlichem Ein-
klang betreffs aller Hauptpunkte des Lehrstücks. Namentlich darin,
daß wir von der Gottbildlichkeit des paradiesischen Urstands alle
Erdichtungen hoher intellectueller oder physischer Vorzüge ausschließen
und auch die religiös-ethische Vollkommenheit (im Sinne des "aut
certe rectitudinem et vim" etc.
der Apologie der Augustana)
nicht als etwas absolut Abgeschlossenes, sondern vielmehr als eine
lebenskräftige Anlage und ein ungetrübt reines zukunftsvolles Ver-
mögen denken, namentlich in dieser relativen und vorsichtig ver-
mittelnden Fassung der ursprünglichen Gerechtigkeit stimmen wir mit
der größten Mehrzahl aller heutigen evangelischen Vertreter der
Urstandslehre überein.2) Auch in der Anwendung des Gleichnisses

1) Von Verirrungen der ersteren Art gewähren u. a. die Schriften von
Kleutgen (Die Theol. der Vorzeit II, 595 ff.) und Scheeben (Die Mysterien
des Christenthums S. 204 ff.) mit ihrer wider Kuhns milden Augustinismus
auf dem Gebiete der Urstandslehre gekehrten schroffen Polemik warnende Bei-
spiele. Ungesundes Typologisiren in der Weise der Weltalterspeculationen patri-
stischer Hexaemeron-Ausleger findet man z. B. bei Schlegel, J. v. Görres,
bei Karl vom hl. Aloys ("Die Menschengeschichte" etc., Würzburg 1861).
2) Vgl. namentlich Jul. Müller, Lehre von der Sünde. 5. Auflage, II,
437 ff.; Beck, Christl. Lehrwissenschaft I, 194; Schmieder, Präliminarien zu
einer bibl. Urgeschichte, Naumburg 1837; J. P. Lange, Posit. Dogmatik S.
395 ff.; Sell, Die Gottbildlichkeit des Menschen, Friedberg 1856; W. Engel-
hardt,
Die Lehre von der Gottbildlichkeit des Menschen, Jahrbb. f. deutsche
Theol. 1870, S. 44 f.; Cremer, Art. "Gerechtigkeit des Menschen", in Her-

X. Schluß.
liſchen oder gar bibelfeindlichen Geſchichtsanſicht, mögen ſie nun das
Gleichniß vom Kindesalter mit in Anwendung bringen oder nicht.

Anders ſtehen wir dagegen zur Behandlung der Urſtandslehre
bei den Vertretern der poſitiv offenbarungsgläubigen Theologie
unſrer Zeit. So weit dieſe nicht abſtract-ſupranaturaliſtiſchen Extra-
vaganzen gleich der vorhin beiſpielshalber hervorgehobenen huldigen,
oder wie ein Theil der ultramontanen Dogmatiker ſich in Repro-
duction ſcholaſtiſcher Dogmen, z. B. der ſcotiſtiſchen Lehre von den
pura naturalia, oder auch in Erneuerung typiſcher Deutungskünſte
u. dgl. gefallen,1) befinden wir uns mit ihnen in ſachlichem Ein-
klang betreffs aller Hauptpunkte des Lehrſtücks. Namentlich darin,
daß wir von der Gottbildlichkeit des paradieſiſchen Urſtands alle
Erdichtungen hoher intellectueller oder phyſiſcher Vorzüge ausſchließen
und auch die religiös-ethiſche Vollkommenheit (im Sinne des „aut
certe rectitudinem et vim‟ etc.
der Apologie der Auguſtana)
nicht als etwas abſolut Abgeſchloſſenes, ſondern vielmehr als eine
lebenskräftige Anlage und ein ungetrübt reines zukunftsvolles Ver-
mögen denken, namentlich in dieſer relativen und vorſichtig ver-
mittelnden Faſſung der urſprünglichen Gerechtigkeit ſtimmen wir mit
der größten Mehrzahl aller heutigen evangeliſchen Vertreter der
Urſtandslehre überein.2) Auch in der Anwendung des Gleichniſſes

1) Von Verirrungen der erſteren Art gewähren u. a. die Schriften von
Kleutgen (Die Theol. der Vorzeit II, 595 ff.) und Scheeben (Die Myſterien
des Chriſtenthums S. 204 ff.) mit ihrer wider Kuhns milden Auguſtinismus
auf dem Gebiete der Urſtandslehre gekehrten ſchroffen Polemik warnende Bei-
ſpiele. Ungeſundes Typologiſiren in der Weiſe der Weltalterſpeculationen patri-
ſtiſcher Hexaëmeron-Ausleger findet man z. B. bei Schlegel, J. v. Görres,
bei Karl vom hl. Aloys („Die Menſchengeſchichte‟ ꝛc., Würzburg 1861).
2) Vgl. namentlich Jul. Müller, Lehre von der Sünde. 5. Auflage, II,
437 ff.; Beck, Chriſtl. Lehrwiſſenſchaft I, 194; Schmieder, Präliminarien zu
einer bibl. Urgeſchichte, Naumburg 1837; J. P. Lange, Poſit. Dogmatik S.
395 ff.; Sell, Die Gottbildlichkeit des Menſchen, Friedberg 1856; W. Engel-
hardt,
Die Lehre von der Gottbildlichkeit des Menſchen, Jahrbb. f. deutſche
Theol. 1870, S. 44 f.; Cremer, Art. „Gerechtigkeit des Menſchen‟, in Her-
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[333/0343] X. Schluß. liſchen oder gar bibelfeindlichen Geſchichtsanſicht, mögen ſie nun das Gleichniß vom Kindesalter mit in Anwendung bringen oder nicht. Anders ſtehen wir dagegen zur Behandlung der Urſtandslehre bei den Vertretern der poſitiv offenbarungsgläubigen Theologie unſrer Zeit. So weit dieſe nicht abſtract-ſupranaturaliſtiſchen Extra- vaganzen gleich der vorhin beiſpielshalber hervorgehobenen huldigen, oder wie ein Theil der ultramontanen Dogmatiker ſich in Repro- duction ſcholaſtiſcher Dogmen, z. B. der ſcotiſtiſchen Lehre von den pura naturalia, oder auch in Erneuerung typiſcher Deutungskünſte u. dgl. gefallen, 1) befinden wir uns mit ihnen in ſachlichem Ein- klang betreffs aller Hauptpunkte des Lehrſtücks. Namentlich darin, daß wir von der Gottbildlichkeit des paradieſiſchen Urſtands alle Erdichtungen hoher intellectueller oder phyſiſcher Vorzüge ausſchließen und auch die religiös-ethiſche Vollkommenheit (im Sinne des „aut certe rectitudinem et vim‟ etc. der Apologie der Auguſtana) nicht als etwas abſolut Abgeſchloſſenes, ſondern vielmehr als eine lebenskräftige Anlage und ein ungetrübt reines zukunftsvolles Ver- mögen denken, namentlich in dieſer relativen und vorſichtig ver- mittelnden Faſſung der urſprünglichen Gerechtigkeit ſtimmen wir mit der größten Mehrzahl aller heutigen evangeliſchen Vertreter der Urſtandslehre überein. 2) Auch in der Anwendung des Gleichniſſes 1) Von Verirrungen der erſteren Art gewähren u. a. die Schriften von Kleutgen (Die Theol. der Vorzeit II, 595 ff.) und Scheeben (Die Myſterien des Chriſtenthums S. 204 ff.) mit ihrer wider Kuhns milden Auguſtinismus auf dem Gebiete der Urſtandslehre gekehrten ſchroffen Polemik warnende Bei- ſpiele. Ungeſundes Typologiſiren in der Weiſe der Weltalterſpeculationen patri- ſtiſcher Hexaëmeron-Ausleger findet man z. B. bei Schlegel, J. v. Görres, bei Karl vom hl. Aloys („Die Menſchengeſchichte‟ ꝛc., Würzburg 1861). 2) Vgl. namentlich Jul. Müller, Lehre von der Sünde. 5. Auflage, II, 437 ff.; Beck, Chriſtl. Lehrwiſſenſchaft I, 194; Schmieder, Präliminarien zu einer bibl. Urgeſchichte, Naumburg 1837; J. P. Lange, Poſit. Dogmatik S. 395 ff.; Sell, Die Gottbildlichkeit des Menſchen, Friedberg 1856; W. Engel- hardt, Die Lehre von der Gottbildlichkeit des Menſchen, Jahrbb. f. deutſche Theol. 1870, S. 44 f.; Cremer, Art. „Gerechtigkeit des Menſchen‟, in Her-

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/343>, abgerufen am 21.11.2024.